DLR Magazin Sonderdruck - page 12-13

Sportler im Windkanal: Der querschnittsgelähmte Skifahrer
Georg Kreiter fährt seine Wettbewerbe auf einem sogenann-
ten Monoski. Welche Körperhaltung dabei optimal ist, wurde
von Forschern des DLR Göttingen im Windkanal der TU Ham-
burg-Harburg untersucht.
Wer im April 2012 den Kontrollraum des 1-Meter-Wind-
kanals im DLR Göttingen betrat, hörte ein vielstimmiges Zirpen
und ungewöhnliches Flattern. Überall waren seltsame Kartons
aufgestellt. Aufgeregte Wissenschaftler wiesen darauf hin, die
Tür zu schließen, „damit keine entwischt“. Ein Blick in die Kar-
tons verriet, wer gemeint war: Heuschrecken und Motten. For-
scher der Universität Oxford hatten sie mitgebracht, um sie mit
modernster Messtechnik im Windkanal zu untersuchen. Dafür
hatten sie den Kontrollraum kurzerhand in einen überdimensio-
nalen Brutkasten für die Insekten verwandelt. Die Wissenschaft-
ler wollten von den außergewöhnlichen Flugeigenschaften der
kleinen Tiere lernen. Die Erkenntnisse bringen Ingenieure dem
Bau von Mikro-Flugzeugen näher, die eines Tages ähnlich wie
Insekten fliegen sollen.
Tiere haben eine lange Tradition als wissenschaftliche
Untersuchungsobjekte – ihre Leistungen zu verstehen und nach-
zuahmen, war immer schon Ziel von Forschern. So lag es nahe,
dass bereits in den Anfängen der Aerodynamik Vögel als Vorbild
für Flugzeuge im Windkanal untersucht wurden. So wurden zu
Beginn des 20. Jahrhunderts tote Tauben präpariert und auf einer
Stange oder an Fäden hängend einer Luftströmung ausgesetzt –
mit mäßigem Erfolg. Immer wieder stellten die Wissenschaftler
damals fest, dass tote Tiere nicht mehr dieselben aerodynami-
schen Eigenschaften besitzen wie lebende. Darum gibt es heute
Versuche mit lebenden Tauben, Falken oder Eulen, die auf ver-
schiedenste Art und Weise dazu gebracht werden, an den Mess-
geräten der Forscher vorbeizufliegen – allerdings ohne dass die
Tiere dabei Schaden nehmen.
Reise in die Urzeit
Neben den Vögeln haben es auch die anderen großen
Flieger der Natur in den Windkanal geschafft: Flugsaurier –
natürlich nur als Modelle. So untersuchte der Paläontologe
Prof. Eberhard Frey vom Naturkundemuseum Karlsruhe einen
der agilsten Flugsaurier: den Pterosaurier Ramphorhynchus.
Dabei wurde er vom DLR Göttingen unterstützt. Die Forscher
untersuchten vor allem die Aerodynamik und Gleitperformance
der Flugsaurier. Auch diese Ergebnisse sollen der Entwicklung
neuartiger Klein-Flugzeuge dienen.
Vögel, Flugsaurier und fliegende Insekten im Windkanal –
das ist nachvollziehbar. Doch vor einigen Jahren steckten Forscher
aus Südkorea Fische in einen Windkanal. Das seltsame Experiment
wird verständlicher, wenn man weiß: Es handelte sich erstens um
Fliegende Fische und zweitens nur um ausgestopfte Exemplare.
Diese Tiere zeigen erstaunliche Leistungen. Bis zu 40 Sekunden
können sie in der Luft bleiben und dabei eine Geschwindigkeit
von bis zu 70 Kilometern pro Stunde erreichen. Dabei nutzen
sie einen besonderen aerodynamischen Trick: den sogenannten
Bodeneffekt. In der Nähe der Erd- oder Wasseroberfläche kann
sich unter dem Flügel ein Luftpolster bilden, das für zusätzlichen
Auftrieb sorgt. Dieses Prinzip wird seit Langem von speziellen
Flugzeugen, den Bodeneffektfahrzeugen, genutzt. Doch viel-
leicht bergen Fliegende Fische noch einiges mehr an nützlichen
Phänomenen …
Wie weiter fliegen mit dem Ski?
Werden Menschen in einem Windkanal Luftströmen aus­
gesetzt, so geht es dabei allerdings nicht um Erkenntnisse, die zu
besseren Flugmaschinen führen sollen. Bei den ersten Versuchen
mit Menschenpuppen sollte herausgefunden werden, wie der
Mensch selbst möglichst weit fliegen kann. Der Schweizer Flug-
zeugingenieur Reinhard Straumann erkannte als erster bereits
1924 den entscheidenden Einfluss der Luft als tragenden Faktor
beim Skispringen. Ab 1926 beschäftigte er sich wissenschaftlich
mit dem Wintersport und untersuchte die Beziehung von Ge-
schwindigkeit, Technik, Körperhaltung und Schanzenprofilen. Er
führte hierzu Messungen bei Sprungveranstaltungen durch und
experimentierte mit Springerpuppen im Göttinger Windkanal
des DLR-Vorgängers AVA (in der Literatur übrigens stets falsch
als Windkanal der Uni Göttingen angegeben). Er veröffentlichte
1926/27 seine Theorie über die aerodynamisch günstigste Körper-
haltung.
Straumann kam zu der Erkenntnis, dass der Springer
die besten Weiten erzielen kann, wenn er eine Flughaltung
annimmt, die dem aerodynamischen Prinzip von Flugzeugtrag­
flächen nachempfunden ist. Dabei segeln die Springer in weiter
Körpervorlage parallel zu ihren 2,60 Meter langen und bis zu
sechs Kilogramm schweren Sprung-Ski mit angelegten Armen.
Nur die Hände sollen wie Fischflossen im Wasser die Richtung
korrigieren: daher die Bezeichnung Fisch-Stil. Straumanns Theo-
rie wurde jedoch erst zwanzig Jahre später praktisch umgesetzt.
Ab 1953 etablierte sich dieser Stil bei der ersten Vierschanzen-
tournee. Bis in die Achtzigerjahre hinein dominierte, mit leichten
Variationen, die nach vorne gestreckte Flughaltung mit paralleler
Skiführung. Im Zusammenhang mit dem Ende der Achtzigerjahre
etabierten V-Stil wird der Fisch-Stil heute meistens wegen der
parallelen Skihaltung als Parallel-Stil bezeichnet. Einer der erfolg-
reichsten deutschen Skispringer, Jens Weißflog, erzielte seine
Siege mit diesem Stil.
Meistens, wenn Menschen in einem Windkanal unter-
sucht werden, geht es um Sport. Sowohl die Rennrodler als
auch die Bob- und Skifahrer des deutschen Teams sind 1974 in
Motten, Menschen und Monumente
es gibt fast nichts, was nicht schon im Windkanal untersucht worden ist. Was
haben wir dabei von Heuschrecken gelernt? Wie veränderten Windkanalversuche das Skispringen? Und warum sollten
Fische, Panzer und weibliche Brüste in einen Windkanal? Dies und mehr im dritten Teil der Serie „Die Windmaschinen”.
Motten, Menschen, Monumente
Teil 3 der Serie „Die Windmaschinen“
Tests im Windkanal sind nicht nur für Flugzeugkonstrukteure interessant
Von Jens Wucherpfennig
WINDKANALSERIE
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