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Rezensionen
Wer Wissenschaft und Religion in Widerspruch setze, der missverstehe die eine wie die andere, so Guy
consolmagno. Der früher am Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT, lehrende Astronom würde vor-
züglich in die Reihe jener Wissenschaftler passen, die in dem hier zu besprechenden Buch vorgestellt werden,
wirkt er doch heute an der Vatikanischen Sternwarte und ist Jesuit. Wie steht es aber mit consolmagnos
These zur Vereinbarkeit von Religion und Wissenschaft? Mit seinem in der populär-wissenschaftlichen Reihe
„Erlebnis Wissenschaft“ des
Wiley-VCH-Verlags
erschienenen Buch
Göttliche Geistesblitze
wählt der Wissen-
schaftsjournalist Eckart Roloff einen wissenschafts- und personengeschichtlichen Zugang. Dabei geht es nicht
um die schon vielerorts dargestellte Spiritualität religiös musikalischer Physiker, sondern um „Pfarrer und Priester
als Erfnder und Entdecker“.
Zunächst gibt Roloff Einblick in die Genese wissenschaftlicher Rationalität im Mittelalter. Er schließt mit einer
Übersicht über die jüngsten Konfiktfelder im Verhältnis der Kirchen zu den Ergebnissen angewandter Wissen-
schaft. Ein Verhältnis, das sich weitgehend als ethische Technikfolgenabwägung bei grundsätzlicher Bejahung
der Forschungsfreiheit beschreiben lässt. Der Schwerpunkt aber liegt auf Biografen forschender Theologen
seit der frühen Neuzeit. Die Auswahl umfasst Namen wie Athanasius Kircher und Marin Mersenne, Sebastian
Kneipp und Gregor Mendel, während noch bedeutendere wie Nikolaus Kopernikus, Pierre Gassendi oder
Georges Lemaître fehlen. Besonders am Herzen liegen Roloff in Vergessenheit geratene Gelehrte wie Berthold
Schwarz und Adam Schall von Bell und auch Dom Pierre Pérignon. Auch die Erfnder von Füllfeder und Radier-
gummi fnden Erwähnung. Der Leser erfährt viel über damalige Zeitumstände und aktuelle Wirkungen.
Göttlicher Funke
oder das Feuer des Prometheus?
Doch was lernt er daraus über das in den Ursprüngen euro-
päischer Geisteskultur verwurzelte Problem des Verhältnisses von
Religion und Wissenschaft? Handelt es sich bei den geschilderten
Lebensgeschichten nur um skurrile Einzelfälle von anekdotischem
Reiz oder sind diese von exemplarischer Bedeutung, sofern sich
an ihnen eine Affnität zwischen unterschiedlichen Rationalitäts-
formen und Wissenskulturen ablesen lässt? Ist das Licht der Wis-
senschaft der Religion abgetrotzt oder glüht in ihm ein göttlicher
Funke? Zumindest ein Eindruck festigt sich bei der Lektüre: We-
der führt naturwissenschaftliche Neugier aus theologischer Sicht
zwangsläufg ins Abweichlertum, noch korreliert Glaubensfestig-
keit signifkant mit einem unkritischen Dogmatismus, der Vorur-
teilen über die Natur der Dinge dem offenen Fragen nach dieser
generell den Vorzug gäbe. Vielmehr scheint die biblisch entgött-
lichte Natur geneigt, zum Gegenstand eines Interesses zu werden,
das nicht durch Verehrung bestimmt ist, sondern sich theoretisch
als Wissenschaft und praktisch als Technik ausformt.
Eine Untersuchung der christlichen Dialektik von Weltab-
kehr und Weltzuwendung ergäbe indes ein anderes Buch. So
aber scheint es immerhin genug Veranlassung zu geben, Francis
Bacon zuzustimmen: „Ein wenig Wissenschaft entfernt von Gott,
viel Wissenschaft führt zu ihm zurück.“
Manuel Ströhlin