Ein ausgeklügelter Mechanismus soll in der Schwerelosigkeit den
Mast entrollen. In der Bremer Integrationshalle testen die Wissen-
schaftler den reibunglosen Ablauf dieser Technik.
Auf dem Saugtisch schneidet und verklebt das Team die hauchzarte
Folie zu maßgerechten Segeln. Ein Faden an der Außenkante sorgt
anschließend dafür, dass die entfalteten Segel die richtige Span-
nung haben.
Das Projekt-Team von „Gossamer“: Patric Seefeldt, Siebo Reershemi-
us, Peter Spietz und Tom Spröwitz (v.l.n.r) wollen ihr erstes Solar-
Segel 2015 ins Weltall schicken
Schließlich müssen die Masten einiges aushalten, bevor
sie die entfalteten Segel beim Flug tragen. Aufgerollt auf elek­
trischen Abrollmechanismen, ist der Start die erste Bewährungs-
probe, wenn Kräfte bis zur fünfzigfachen Erdbeschleunigung
auf das Material einwirken. Da wäre eine Aluminiumstruktur
vielleicht stabiler – aber im Weltall ein Schwergewicht, das die
Beschleunigung und die Geschwindigkeit des Sonnenseglers
deutlich einschränken würde. „Je schwerer die Struktur selbst
ist, umso weniger Leistung kann der Schub durch die Sonnen-
strahlung erbringen. Oder die Segel müssten immer größer
werden, um das Gewicht auszugleichen.“
Test in Schwerelosigkeit
Bei einem Parabelflug im Jahr 2009 haben Mast und Ab-
rollmechanismus das erste Mal die Schwerelosigkeit erfahren.
Straubel startet das Video. Über dem Golf von Biscaya haben
die Wissenschaftler die unterschiedlichsten Methoden für das
Abwickeln der Masten getestet. Das unkontrollierte Abrollen,
die Unterstützung mit Luftdruck und schließlich den neu entwi-
ckelten Abrollmechanismus. Wie an einem Schnürchen gezogen
fährt der elektrische Motor aus und wickelt hinter sich den Mast
ab. Nach wenigen Sekunden löst sich der Motor wie vorgesehen
von seinem Mast. Strahlende Gesichter bei den Wissenschaftlern –
besser hätte der Test nicht laufen können. Acht Meter Mast ent-
rollen sich innerhalb von fünf, sechs Sekunden. „Beim Parabel-
flug haben wir ja nur eine begrenzte Zeit für das Experiment, im
Weltall werden die Masten langsamer abgerollt – das ist einfach
sicherer.“
In ihrer Integrationshalle in Bremen können die Wissen-
schaftler der Schwerkraft für ihre Tests allerdings kaum entgehen.
Mit einer selbst entwickelten Gravitationskompensationsanlage
stützen sie deshalb den Abrollmechanismus und gleichen so
sein Gewicht auf der Erde aus. Fehler, die auf der Erde erkannt
und getestet werden, können im Weltraum nicht mehr gefähr-
lich werden. „Wir prüfen beispielsweise, wie sich die Masten
beim schnellen oder langsamen Entrollen verhalten“, sagt der
Bremer Tom Spröwitz. Noch testen die Wissenschaftler Segel
und Masten einzeln. Der nächste Schritt ist aber schon klar:
„Wir wollen einen Mast entrollen und dabei gleichzeitig zwei
Segel entfalten.“ Damit kommen die Wissenschaftler dem Ziel
der ersten Weltraummission wieder ein Stückchen näher.
werden, dass sie sich nach dem Start problemlos entfalten und
auch über eine lange Missionsdauer hinweg für Antrieb sorgen?
Auf dem Saugtisch ist deshalb zuallererst handwerkliches Ge-
schick gefragt. Zunächst werden die einzelnen, einen Meter
breiten Streifen Kapton-Folie zu einem großen Segel verklebt.
Schließlich werden die Ränder des feinen Materials umgeklebt
und ein stärkender Faden wird in die Segelkanten eingelegt.
Entfalten sich die Segel im Weltall entlang des Masts, wird eben
dieser Faden der Struktur die notwendige Stabilität verleihen.
„Dann muss aus dem Segel eine Art Fächer werden“, erklärt
Spröwitz. Ein raumsparender Fächer, der sich auf zwei Spulen
aufwickeln lässt. Ohne den Saugtisch, der das leichte Material
für die Mannschaft um Projektleiter Peter Spietz bändigt, ginge
das nur schwer.
Dann ist es so weit: Auf zwei Schienen, die im rechten
Winkel zueinander stehen, laufen die beiden Spulen auf Schlit-
ten nach außen. Die Wissenschaftler behalten ihr Segel, das sich
gleichmäßig entfaltet, sorgfältig im Auge. Beim kleinsten Fehler
können die Schlitten auf ihren Schienen innehalten. Im Weltall
dürfte jetzt allerdings kein Fehler geschehen: Die Geschwindig-
keit der Schlitten muss stimmen, die Spulen dürfen nicht haken.
Erst dann kann das Raumfahrt-Segelschiff die Kraft der Sonne
nutzen und Fahrt aufnehmen. Nach dem Start werden mehrere
Kameras an Bord des Segelfliegers Bilder zur Erde senden – von
der gelungenen Entfaltung, aber auch von den eventuellen Pro­
blemen, die bei der Premiere im All aufkommen könnten.
Federleichter Mast
Nur wenige Meter neben der Testanlage, mit der die Wis-
senschaftler das Entfalten der Sonnensegel auf die Probe stellen,
steht der Prüfstand für die Masten. Die sind ebenfalls Leichtge-
wichte für den Flug ins All – „ein Meter Mast wiegt gerade ein-
mal 40 Gramm, also noch nicht einmal so viel wie eine halbe
Tafel Schokolade“, betont Marco Straubel vom DLR-Institut für
Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig, dessen
Team die Masten und die Abrollmechanismen entwickelt hat.
Damit das Material stabil und flexibel zugleich ist, werden Koh-
lefasern in flüssigem Harz getränkt. Härtet das Harz aus, ent-
steht ein Mast, dessen Wände nur einen Zehntelmillimeter stark
und dadurch enorm biegsam sind. „Vergleichbar mit einer Feder:
Die springt auch immer wieder in ihre Form zurück.“
Fahrplan fürs All
Fliegt „Gossamer 1“ mit seinen Fünf-mal-fünf-Meter-
Segeln und seinen vier Masten erfolgreich auf seiner Bahn um
die Erde durchs Weltall, steigen die Anforderungen für die
nächsten Missionen: Zwei Jahre später soll „Gossamer 2“ dann
schon Segel mit einer Größe von 20 mal 20 Metern entfalten
und 500 Kilometer über der Erde segeln. Kameras an Bord
werden dokumentieren, wie sich das Sailcraft dann auch len-
ken lässt. Dafür verändern die Wissenschaftler über Seilzüge
die Positionen von Gewichten im Inneren der hohlen Masten.
Über die damit verbundene Verschiebung des Schwerpunkts
des Fliegers lässt sich seine Ausrichtung beeinflussen. Knapp
60 Kilogramm Gewicht werden bei dieser Mission durchs All
befördert. „Gossamer 3“ würde dann 2019 mit 50 mal 50
Meter großen Segeln in einem sehr hohen Orbit mehr als
10.000 Kilometer entfernt von der Erde fliegen und dort lang-
sam seine Flugmanöver durchführen. „Wir haben bei keinem
Flug eine wissenschaftliche Nutzlast an Bord – ‚Gossamer‘ ist
ausschließlich eine technologische Demonstrationsmission“,
betont Spröwitz.
Bevor es so weit ist, muss das silbrig glänzende Segel
aber noch einen weiteren Härtetest überstehen: In einer kom-
pakten Anlage in Bremen muss es Weltraumbedingungen
standhalten. In der „komplexen Bestrahlungseinrichtung“
KOBE prallen ein Mix aus Protonen, Elektronen, UV- und VUV-
Licht sowie Sonnenlicht auf die aluminiumbeschichtete Folie.
„Wir wollen ja mit ‚Gossamer‘ auf Langzeitmission gehen – da
müssen wir genau wissen, wie sich das Material dabei verän-
dert“, sagt Spröwitz. Der feine Stoff, aus dem die Segel sind,
muss also beweisen, dass er auch über längere Zeit hinweg
nicht schwächelt und bereit ist für die Segeltour in die Weiten
des Weltraums.
Weitere Informationen:
Solar-Antrieb
|
DLR
ma
G
azın
137
|
27
Projektleiter Peter Spietz begutachtet die hochempfindlichen Kanten
des Sonnensegels. Das Material ist gerade einmal 0,007 Millimeter
dünn. Das Leichtgewicht muss mit Vorsicht angefasst werden.
Der Mast, der beim Flug durchs All die Segel hält, muss stabil und
flexibel zugleich sein. In flüssigem Harz getränkte Kohlefasern
eignen sich dazu, weiß Tom Spröwitz. Er leitet die Abteilung
Systemkonditionierung am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme.
26
|
DLR
ma
G
azın
137
|
Solar-ANtrieb
1...,6-7,8-9,10-11,12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25 28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,...64