Rezensionen
|
DLR
ma
G
azın
137
|
63
62
|
DLR
ma
G
azın
137
|
Rezensionen
So einfach ist das!?
Sich über ein Wissenschaftsthema zwischen zwei U-Bahn-Stationen zu informie­
ren, hat seinen Reiz.
Weltall für Eierköpfe (rororo)
von dem amerikanischen
Wissenschaftsjournalisten J. R. Minkel gibt jedem Thema nicht mehr und nicht
weniger als zwei Seiten, keine Illustration. Konsequenz über 240 Seiten. An je­
dem Abschnittsende zwei, drei „Fakten zum Angeben“. Das macht Laune.
So mutig-knapp wurde Wissenschaft selten in Szene gesetzt: Elf Kapitel
zu komplexen Themengebieten, die jedes für sich sonst ganze Buchbände füllen,
wie „Das Sonnensystem“ oder „Teilchenphysik“, werden in kleinen appetitlichen
Häppchen verabreicht. Unter „Fakten“ rangieren auch schon mal Anekdoten
oder überraschende Vergleiche. Geschmückt mit nicht allzu ernst zu nehmenden
Fragen (Haben sich die Aliens selbst zerstört? Sind sie schüchtern?) düst Minkel
durchs Universum. Auf seine ganz eigene, an die schnelllebige Zeit angepasste
Weise will er Hürden auf dem Weg zu Astronomie und Physik abbauen. Und so
saust er vom Quark zum Pulsar, am Higgs-Boson vorbei zu Strings und Multiversen.
So leichtfüßig, so flüchtig.
Cordula Tegen
Wissenschaft
in pinkfarbenem Samtmantel
Ein Neurophysiker, ein Astrophysiker und ein Satiriker hinter den Bergen bei den
Wissenschaftszwergen tun sich zusammen. Fortan erobert die selbst ernannte
schärfste Science Boygroup Bühnen, Internetplattformen, den Buch- und Hör­
buchmarkt. Sie werden geliebt oder verachtet. Geliebt wegen ihrer pointierten
Plaudereien, ihrer respektlosen Annäherung an Themen, die bis dato im Comedy-
Bereich – nun sagen wir mal – nicht eben heimisch waren. Gescholten, weil sie
allzu biergartensalopp mit Weisheiten umgehen und auch vor Klamauk nicht
zurückschrecken.
Hanser
hat nun ein Buch der „Science Buster“ aufgelegt. Sein Titel
Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
hält, was er verspricht. In pinkfar­
benem Kuschel-Velours-Einband erwartet uns eine heiter-satirische Betrachtung
von Himmel und Hölle (ja, auch Raumfahrt), der hehren Wissenschaft hinter allzu
Menschlichem, pardon, besser: hinter Tierischem, denn schließlich geht es um
das „Was wir von Tieren über Physik lernen können“. Dafür haben die Kapitel
eine lehrreiche Fact Box. Doch Werner Gruber, Heinz Oberhummer und Martin
Puntigam geht es nicht in erster Linie um neue Erkenntnisse. Ihren assoziativen,
launigen Texten fügen sie eine Prise Kulinarisches hinzu. Reizvoll ergänzt durch
hintergründige Zeichnungen offerieren sie Bekanntes in neuem Licht, lassen erst
schmunzeln, dann nachdenken.
Wer nach dem ersten Satz weiterliest, hat 282 Seiten lang Lese- und Lern­
spaß. Wer allerdings die eingangs gestellte Frage, ob er lieber Seehase, Wasser­
bär oder Wurmgrunzer hätte werden wollen, einfach zu dämlich findet und aus­
steigt, hat halt keinen …, was schade wäre.
Cordula Tegen
Der Nutzen des zweiten Blicks
Manchmal haben Verlage Pech: Da legt
Klett-Cotta
das wirklich gute Buch
Platon in Bagdad
von John Freely auf deutsch vor, aber einige Monate, nachdem
der S. Fischer-Verlag mit „Im Haus der Weisheit“ von Jim Al-Khalili dasselbe Thema
auf dem Markt platziert hatte (siehe oben), und das ganz hervorragend. Der Unter­
titel des 2009 erstmals auf englisch veröffentlichten Buchs von Freely gibt im
Grunde für beide Publikationen das Thema vor: wie das Wissen der Antike zurück
nach Europa kam.
Was zunächst wie ein verlegerischer Unfall aussieht, entpuppt sich indes
schon beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses als Glücksfall. Freely wählt nämlich die
entgegengesetzte Perspektive zu Al-Khalili. Hatte der die Sichtweise der persischen
und arabischen Welt in den Fokus genommen, so beginnt Freely in Ionien mit den
Naturphilosophen, führt uns über das klassische Athen nach Alexandria und Kon­
stantinopel, bevor auch er, aber mit einem eher kurzen Kapitel, ins Haus der Weis­
heit nach Bagdad und zur Übertragung des Griechischen ins Arabische gelangt.
Überschneidungen sind natürlich unausweichlich, doch in jedem Fall ist das Thema
auch in diesem Buch spannend und erhellend aufbereitet. Leider ist noch immer zu
wenig bekannt, dass der Okzident und das heutige, moderne wissenschaftliche
Wissen und Denken auf Säulen steht, die in der islamischen Welt gründen. Dieses
Wissen sollte in jede politische Kulturdebatte rund um den Islam als eine Selbstver­
ständlichkeit mit eingehen.
Peter Zarth
Der Vorteil des freien Blicks
Täglich grüßt Europa, der Rundfunkmeldung folgt die Nachricht im Fernsehen,
Symbolbild und Karte manifestieren das Bild im Kopf, bis hin zum Wetterbericht.
Irgendwann haben wir ein europäisch geprägtes Bild von der Welt verinnerlicht.
Die Dominanz Europas galt und gilt in der Tat für viele Bereiche: In den Wissen­
schaften gaben europäische Gelehrte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Ton
an. Noch heute hört man im Kanon des Schulwissens die Behauptung, (erst) in
der Renaissance seien die Antike und damit auch die antiken wissenschaftlichen
Erkenntnisse wieder entdeckt und für die Zukunft be­wahrt worden. Weit gefehlt:
Europäische Kultur beruht nicht zuletzt auch auf mindestens 700 Jahren persischer
und arabischer Weisheit; sie erreichte weit vor der Renaissance eine Qualität, die
bei „uns im Okzident“ die Renaissance erst ermöglichen sollte.
Es ist dem britischen Wissenschaftshistoriker Jim Al-Khalili zu verdanken,
dass mit seinem Buch
Im Haus der Weisheit (S. Fischer Verlag)
die äußerst
spannende Geschichte vorliegt, wie Perser und Araber das antike Wissen rette­-
ten und, weit mehr noch, belegt ist, welche wissenschaftlichen Höchstleistungen
sie vollbrachten und welche bahnbrechenden Erkenntnisse sie der Menschheit
schenkten. Es nimmt danach fast wunder, weshalb in Europa bis heute Kultur­
geschichte noch immer nahezu gleichgesetzt wird mit okzidentaler Geschichte.
Wissenschaftshistoriker wie Al-Khalili besitzen glücklicherweise den Vorteil des
freien Blicks. Al-Khalili lehrt uns, dass es die großen Fortschritte in der Renais­
sance ohne persische und arabische Denker nie gegeben hätte, auch und gerade
nicht in der Wissenschaft.
Peter Zarth
1...,42-43,44-45,46-47,48-49,50-51,52-53,54-55,56-57,58-59,60-61 64