DLR Magazin 138 - page 14-15

Im Keller des Instituts für Fahrzeugkonzepte sieht es ein
bisschen aus wie im Kontrollraum einer Raumfahrtmission. Das
Team um Dr. Frank Rinderknecht, der die Abteilung für Alternati­
ve Energiewandler leitet, sitzt in einer Schallschutzkabine hinter
schweren Panzerglasscheiben. Konzentriert verfolgen die Inge­
nieure von hier aus die schnell wechselnden Zahlenkolonnen
und bunten Kurvenverläufe auf den Monitoren vor ihnen. Ab
und zu werfen sie einen prüfenden Blick nach draußen zum
Teststand. Mit Hilfe einer detaillierten Checkliste arbeiten sie
sich voran: Temperiergeräte und Kraftstoffversorgung müssen
angeschaltet, Sensoren initialisiert, Drücke und Ventile einge­
stellt werden – alles in einer streng vorgegebenen Reihenfolge.
Ein letzter Mausklick in der Steuerungssoftware bringt sie ans
Ziel. Nach Jahren intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit
läuft der von ihnen entwickelte Freikolbenlineargenerator zum
ersten Mal ohne Hilfssysteme und erzeugt Strom.
Projektleiter Florian Kock und die wissenschaftlichen Mitarbeiter
Alex Heron und Roman Virsik sowie Johannes Haag vom Nach­
barinstitut für Verbrennungstechnik gehören: Denn ihr Freikol­
benlineargenerator kombiniert die Vorteile des elektrischen Fah­
rens mit der Flexibilität herkömmlicher Motoren.
Zwei Takte für mehr Ausdauer
„Bereits existierende Range-Extender basieren oft auf ei­
ner kleinen Version des klassischen Ottomotors“, erklärt Frank
Rinderknecht. „Im Gegensatz dazu haben wir automobiles Neu­
land betreten und ein grundsätzlich anderes Antriebskonzept
entwickelt. Es besteht aus drei Teilsystemen: einem Zweitakt­
verbrennungsmotor, einem Lineargenerator und einer Gasfeder.“
Der vom Freikolbenlineargenerator erzeugte Strom treibt das
Elektroauto an, wenn die Batterie leer ist. In seinem Inneren
laufen dazu folgende Prozesse ab: Im Verbrennungsraum zündet
ein Kraftstoff-Luft-Gemisch, das sich ausdehnt und den Kolben
antreibt. Die lineare Bewegung des Kolbens wird jedoch nicht
in eine Drehbewegung umgewandelt. Stattdessen schiebt der
Kolben Magnete durch die Spulen eines Generators und erzeugt
so Strom. Die Gasfeder bremst die Bewegung des Kolbens ab
und drückt ihn wieder zurück in Richtung Brennraum.
Im Vergleich zu herkömmlichen Aggregaten kommt das
Konzept der Stuttgarter Forscher mit weniger beweglichen Bau­
teilen aus. So entfällt neben der Kurbel- auch die Nockenwelle.
Das bedeutet geringe Reparaturanfälligkeit und wenig Wartungs­
aufwand. Gleichzeitig zeichnen sich Freikolbenmaschinen noch
durch weitere Vorteile aus, wie etwa eine kompakte Bauweise
und ein sehr gutes Verhältnis zwischen Gewicht und Leistung.
Unter Ingenieuren ist das Prinzip schon lange bekannt und wurde
immer wieder diskutiert – doch der Durchbruch ließ auf sich
warten. Trotz der vielen Vorteile galt die Freikolbenbauweise
als nicht realisierbar, vor allem wegen der notwendigen hoch­
komplexen Steuerungssoftware und der dafür erforderlichen
Rechenkapazität.
Mit Verwendung einer Gasfeder und der Entwicklung
einer besonders leistungsfähigen Regelung ist der Gruppe um
Frank Rinderknecht nun gelungen, woran andere Freikolbenpro­
jekte bislang gescheitert sind: Als erstes Team weltweit haben
sie die Machbarkeit dieser speziellen DLR-Technologie nachge­
wiesen und konnten das System auf einem eigens entwickelten
Prüfstand erfolgreich in Betrieb nehmen.
Der Freikolbenlineargenerator verhilft Elektroautos zu mehr
Reichweite und arbeitet mit unterschiedlichen Kraftstoffen
Von Denise Nüssle
Effizienter Alles-Schlucker
Eine Million Elektrofahrzeuge sollen im Jahr 2020 leise und sauber auf deutschen Straßen unterwegs sein – so das Ziel der
Bundesregierung. Bisher surren allerdings nur etwas mehr als 7.000 solcher E-Autos durchs Land. Ein großes Hindernis
ist die Batterie. Sie ist schwer, teuer und bietet nur eine sehr begrenzte Reichweite. Gleichzeitig sind die Ansprüche der
Verbraucher an alternativ angetriebene Fahrzeuge hoch: Neben dem gewohnten Komfort großer Reichweiten und schneller
Tankvorgänge muss auch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Um Elektromobilität alltagstauglich und für ein breites
Publikum interessant zu machen, haben DLR-Ingenieure des Instituts für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart einen Range-
Extender entwickelt, der auf einem komplett neuen Antriebskonzept basiert.
Range-Extender
Range-Extender sind zusätzliche Antriebsaggregate,
welche die Reichweite eines Elektrofahrzeugs ver­
größern. Die meisten Konzepte basieren auf einem
Verbrennungsmotor, der einen Generator antreibt und
so Strom erzeugt. Wenn die Batterie des Elektroautos
leer ist, versorgt der Range-Extender das Fahrzeug mit
Strom und erhöht so die Reichweite.
Noch ist das neuartige Antriebsaggregat mit dem sperrigen
Namen von einer Vielzahl an Leitungen und Messgeräten umge­
ben und füllt gut und gerne einen Kleintransporter. Doch wenn
es nach den Stuttgarter DLR-Wissenschaftlern geht, soll der Frei­
kolbenlineargenerator, kurz FKLG, in wenigen Jahren als kompak­
ter Range-Extender in jedes E-Auto passen und der Elektromobi­
lität zum Durchbruch verhelfen. Denn die leisen Stromer fahren
zwar lokal emissionsfrei, müssen aber abhängig vom Fahrverhal­
ten und der Außentemperatur nach rund 150 Kilometern wieder
mehrere Stunden aufgeladen werden. Hier setzt die Arbeit von
Rinderknechts Team an, zu dem in der jetzigen Besetzung der
Speziell für den Freikolbenlineargenerator haben die DLR-Wissenschaftler in Stuttgart einen
hydraulischen Motorenprüfstand entwickelt und aufgebaut, den einzigen seiner Art
Fahrzeugkonzepte
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