DLR Magazin 139 - page 30-31

„GO!“ für den Raketenstart: In der Telemetriestation des DLR
empfängt Andreas Kimpe die Daten während des Fluges
Unsanfte Landung: Nach dem Bergen der Nutzlast aus dem
sumpfigen Boden wird sie vom Schmutz befreit. Zum Glück
haben die Datenträger den Aufprall überstanden.
traditionelle Gruppenbild mit den schwedischen Kollegen.
Am nächsten Tag werden Motor und Nutzlast zur Startrampe
gefahren und dort montiert. Im Idealfall liegen dann nur noch
der Testcountdown und die Wettervorhersage vor dem Druck
auf den roten Startknopf.
„Flugticket“ in die Höhe
Für acht bis zwölf Missionen im Jahr stellt die MORABA
das „Flugticket“ für die Experimente aus. Manche davon blei-
ben besonders im Gedächtnis. „Shefex II, das ist so eine“, sagt
Wolfgang Jung. Auf seinem Arm stellen sich die Härchen hoch.
„Die war extrem anspruchsvoll und hat so perfekt funktioniert.“
Vor einem Jahr stieg das Experiment mit seiner scharfkantigen
Spitze in den Himmel. „Für so was macht man seinen Job bei der
MORABA.“ Missionen in der Mitternachtssonne oder im tiefen,
eisigen Winter, Raketenstarts über Monate hinweg in der Ant-
arktis oder auch Geburtstage mit den MORABA-Kollegen anstatt
mit der Familie zu Hause – die Kampagnen vor Ort prägen. Die
übrige Zeit werden im DLR Oberpfaffenhofen mit Ausnahme des
Raketenmotors alle verwendeten Flugsysteme, Ground-Support-
Systeme und Telemetriestationen selbst entwickelt, die Logistik
für neue Missionen geplant und Countdown-Pläne erstellt. „Die
Entwicklungsarbeit hat sehr zugenommen“, betont MORABA-
Leiter Peter Turner. „Manchmal können wir in unseren Baukasten
greifen, oft entwickeln und qualifizieren wir neue Systeme für
die jeweilige Mission.“ Diese Kombination macht die MORABA
in Europa einzigartig: Zu den Auftraggebern gehören das DLR,
das DLR Raumfahrtmanagement, aber auch internationale
Raumfahrtagenturen oder Universitäten.
Spannung hinter dicken Schutzwänden
Am 15. Juli 2013 klingelt der Wecker mitten in der Nacht –
der Countdown beginnt um 3.30 Uhr. Der Testlauf war erfolg-
reich, die Wettervorhersage für den Morgen am günstigsten. Noch
in der Nacht lässt Alexander Kallenbach den ersten Windballon
steigen. Frank Scheuerpflug, zuständig für die Flight Control der
Flugbahn, sitzt an der Konsole im Hauptgebäude der Range. In
der Telemetriestation sitzen Frank Hassenpflug, Thomas Janke
und Andreas Kimpe. Von hier aus wird die Rakete auf ihrer Flug-
bahn verfolgt. „Beim Start, da geht einem schon mal die Pumpe“,
sagt Andreas Kimpe. Markus Pinzer und Nils Höger sitzen im
sogenannten Blockhouse – dicht an der Startrampe – im Kontroll-
raum hinter dicken Schutzwänden. Wolfgang Jung, Johann
Pfänder, Marcus Hörschgen-Eggers, Tobias Ruhe und Jürgen Knof
werden als Einzige etwa zwei Stunden vor dem Start noch einmal
den Schutzraum verlassen und an der Startrampe den Zünder für
den Start vorbereiten. Mit großen Ziffern zählt der Countdown
auf den Bildschirmen herunter. Die Startrampe ragt mittlerweile
in Richtung Himmel. 7.00 Uhr: Die Verbindungen für die Zündun-
gen werden freigeschaltet. Um 7.15 Uhr wird die schwere Stahl-
tür geschlossen. Der Start liegt in greifbarer Nähe, im Nutzlastteil
beginnen nun die Öfen damit, die Proben auf 900 Grad Celsius
aufzuheizen, um sie vollständig zu schmelzen. Die letzten zehn
Minuten beginnen.
In dem Kontrollraum scheint sich die Luft zusammenzubal-
len. Noch könnten die Windmessungen dem Ganzen einen Strich
durch die Rechnung machen. Aus dem Lautsprecher hallt ein „Go!“
nach dem nächsten. Jede Station gibt grünes Licht. 10, 9, 8. Der
Finger des schwedischen Kollegen schwebt über dem Startknopf.
Fünf Sekunden lang muss er ihn gedrückt halten, damit das Com-
putersystem die Zündung auslöst. 3, 2, 1. Ein dumpfes Grollen
drängt von außen gegen das Gebäude mit dem Kontrollraum.
7.53 Uhr, MAPHEUS-4 startet. Noch sagt niemand etwas. Alle
drängen sich um den Bildschirm, der das Bild der Kamera im
Bergungssystem überträgt. Erst muss sich der Raketenmotor
abtrennen, die Nutzlast im Flug stabilisieren und danach am Fall-
schirm sicher landen – dann erst kann gejubelt werden. Über
dem blauen Erdball auf dem Bildschirm bleibt der Raketenmotor
allmählich zurück, während die Nutzlast weiter in den Himmel
steigt. Knapp vier Minuten wird die Schwerelosigkeit für die Expe-
rimente dauern. „Na also!“ Andächtig blicken alle auf den Film. –
„Was ist das?“ Tobias Ruhe guckt entsetzt auf die Kameraübertra-
gung. „Mist, der Bremsfallschirm öffnet sich zu früh …“ Er öffnet
sich nicht nur zu früh, er reißt ab – der Hauptfallschirm kann sich
daduch nicht entfalten. Nur ein einzelner Tragegurt weht vor der
Kamera hin und her. „Hat sich der Hitzeschild zu früh geöffnet?“
„Welche Höhe haben wir?“ Und dazwischen immer wieder das
leise Fluchen von Tobias Ruhe und Marcus Hörschgen-Eggers.
Allen ist jetzt klar: Der Teil mit den Experimenten an Bord wird fast
ungebremst auf dem Boden aufkommen. Aus der Freude über
den gelungenen Start ist stilles Entsetzen geworden. Im Moment
ist nicht klar, ob die Mission überhaupt noch erfolgreich sein wird.
Im schlimmsten Fall zerschellt die Nutzlast bei der Landung.
Unsanfte Landung im Sumpf
Schon kurze Zeit später startet der Bergungshubschrauber
mit einem Team von der MORABA und den Wissenschaftlern an
Bord. Mit den empfangenen Daten konnte die Position der gelan-
deten Nutzlast genau bestimmt werden. Eine halbe Stunde lang
geht es über eine Landschaft aus Bäumen, Flechten, Steinen und
Seen. Dann kommt die blauschimmernde Höhenforschungsrakete
ins Blickfeld. Knapp neben sumpfigem Gelände ist sie in den wei-
chen Morast der Länge nach eingeschlagen, ist in ihre Einzelteile
zerlegt worden, die sich in die Erde gegraben haben. Jörg Drescher
und Christian Neumann vom Wissenschaftler-Team blicken ratlos
auf die Überreste ihrer Experimente. Haben die Speicherkarten mit
den wichtigen Aufnahmen die Belastung ausgehalten? Oder sind
die Daten alle verloren? Nach und nach schleppt das Team die
verdreckten Teile zum Hubschrauber. Auf dem Rückflug sehen sie
unter sich den orangefarbenen Motor mit seinen Finnen aus dem
Sumpf blitzen. Fast senkrecht hat sich die Rakete in den weichen
Boden gebohrt.
Nach einer guten halben Flug-Stunde kommt Esrange
in Sicht. Auf dem Hubschrauberlandeplatz steht das restliche
MORABA-Team. Fünf Minuten dauert es, bis alle Teile ausgela-
den und zur Launcher-Halle gefahren sind. Die Akkuschrauber
beginnen zu surren, Hammerschläge hallen durch den Raum.
Erdklümpchen für Erdklümpchen rieselt aus den Experimenten.
Tobias Ruhe, Marcus Hörschgen-Eggers und Jürgen Knof neh-
men sich das Modul mit dem gescheiterten Bergungssystem
vor. Einen Tisch weiter schraubt Florian Kargl an einem Modul.
„Die Kamera ist noch heil“, ruft er. Stück für Stück wird auf drei
Tischen zerlegt, was den harschen Aufprall überstanden hat.
Seit 3.30 Uhr sind alle auf den Beinen, aber an Pause denkt jetzt
niemand. Es dauert noch ein paar Stunden, bis ganz sicher ist:
Die allermeisten Daten sind gerettet. Florian Kargl kommt mit
seinem Laptop in die Halle, auf dem Bildschirm sind zwei Auf-
nahmen der Röntgenröhre zu sehen. „Ganz perfekte Aufnah-
men“, ruft er. „Es ist ein Traum!“ – Endlich fällt von allen die
Spannung ab. Die Wissenschaft hat funktioniert, die Daten für
die Auswertung sind da.
„Fürs Bergungssystem müssen wir wohl noch mal ans
Reißbrett“, sagt Tobias Ruhe. Mittlerweile kann er auch wieder
lächeln. Anscheinend war die Hitze an der Rakete zu groß, so-
dass der Hitzeschild sich zu früh öffnete. Die genaue Analyse
wird am Standort in Oberpfaffenhofen folgen. Das Bergungs-
system wird für Missionen wie MAPHEUS durch ein leistungs­
fähigeres ersetzt werden müssen. „Wir bauen halt Prototypen“,
sagt MORABA-Kampagnenleiter Frank Scheuerpflug. Und da ist
nichts Routine.
Weitere Informationen:
DLR.de/RB
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