Precise and integer Localisation and Navigation in Rail and Inlandwater Traffic
Hochgenaue und verlässliche Ortung und Navigation im Schienen- und Wasserverkehr
Im Mittelpunkt des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderten Projekts „Hochgenaue und verlässliche Ortung und Navigation im Schienen- und Wasserverkehr“ (engl. “Precise and Integer Localisation and Navigation in Rail and Inlandwater Traffic”, kurz PiLoNav) stehen die Verkehrsträger Schiene und Binnenwasserschifffahrt. Ziel des Projekts ist es, auf Basis einer verbesserten Navigationseinheit (Train Location Unit für den Schienenverkehr bzw. PNT-Unit für den Binnenschifffahrtsbereich) Fahrerassistenzsysteme zu entwickeln, die es ermöglichen, den Verkehrsfluss auf der Schiene und den Binnengewässern zu optimieren und somit den Anforderungen hinsichtlich Effizienz und Umweltverträglichkeit gerecht zu werden.
Herausforderung
Spezielle Navigationsanwendungen im Bereich des Schienenverkehrs und der Binnenschifffahrt erfordern äußerst genaue und zuverlässige Positions-, Navigations- und Zeitinformation, die mit einem herkömmlichen GNSS Empfänger (GPS-Empfänger) nicht zu erreichen sind. Dazu gehören z.B. in der Binnen- und Hochseeschifffahrt das automatische Andocken oder speziell für die Binnenschifffahrt das Durchfahren von Brücken sowie das Schleusen zur Überwindung von Höhendifferenzen. Im Gegensatz zur Hochseeschifffahrt sind für den Binnenbereich bislang jedoch keine Anforderungen an die Positionsgenauigkeit definiert. Aktuelle Studien kommen aber zu dem Schluss, dass Positionsgenauigkeiten im Bereich von 1 bis 2 dm erreicht werden müssen. Da bei Schleusungen Höhenunterschiede von mehreren Metern überwunden werden müssen, ist zudem davon auszugehen, dass die GNSS-Signale durch Abschattungen blockiert oder durch Mehrwegeeffekte derart verfälscht werden, sodass eine exakte Positionierung in dem geforderten Genauigkeitsbereich nicht möglich ist. Im Schienenverkehr spielen Signalabschattungen ebenfalls eine wichtige Rolle. Für sicherheitskritische Anwendungen wird Ortung bislang immer mit ortsfesten Einrichtungen vorgenommen, wobei die Möglichkeit besteht, das Ergebnis mittels fahrzeugseitiger Technik zwischen den Detektionspunkten fortzuschreiben. Rein fahrzeugseitige Systeme bieten das Potential zur Kostenoptimierung für wenig ausgelastete Strecken. GPS Empfänger werden bisher aber nur zu Informationszwecken (z.B. zur Disposition, Fahrgastinformation) auf Schienenfahrzeugen eingesetzt. Deshalb sind auch hier Ortungssysteme zu entwickeln, die eine kontinuierliche, zuverlässige und hochgenaue Ortungsinformation liefern, die für energieeffizientes Fahren sowie sicherheitskritische Anwendungen wie z.B. die Schließzeitenoptimierung an Bahnübergängen genutzt werden kann.
Projektinhalte
Im Projekt PiLoNav werden fahrzeugseitig Daten verschiedener Sensoren mit den seitens GNSS gewonnenen Positions-, Navigations- und Zeitinformationen fusioniert und in ein integriertes System überführt. Auf dieser Kombination beruht die Idee einer generischen Ortungsplattform, die als integriertes Ortungs- und Navigationssystem fungiert. Abgebildet auf den Schienenverkehr spricht man dann von einer Train Location Unit (TLU) bzw. als Äquivalent für den Binnenwasserbereich von einer Position, Navigation and Timing (PNT) Unit, wobei insbesondere der Begriff PNT im Sprachgebrauch der Schifffahrt bereits fest verankert ist. Beide Begriffe kennzeichnen Entwicklungslinien, die auf der gekoppelten Nutzung von GNSS-Endgeräten (Global Navigation Satellite System) mit weiteren Sensoren (z.B. Inertial Measurement Unit - IMU, Radar, optische Sensoren) beruhen.
Als Basissystem für PNT und TLU kommen im Projekt PiLoNav zwei GNSS-Empfänger und -Antennen zum Einsatz. Zur Genauigkeitssteigerung kommt als differentielles Verfahren Real-Time Kinematic (RTK) zum Einsatz. Um in empfangserschwerten Bereichen eine hochgenaue PNT-Datenbestimmung zu gewährleisten, wird das Basissystem um eine kurzzeitstabile IMU zur Bestimmung von Beschleunigungen und Drehraten im Raum erweitert. Die Integration erfolgt durch s.g. „tightly-coupled“ Sensordatenfusion. Mit der gewählten Konfiguration lässt sich zusätzlich ein Integritätsparameter ermitteln, der eine Abschätzung über die Zuverlässigkeit des Basissystems, mit Ausnahme zweier Drehwinkel, ermöglicht. Ergebnis ist ein s.g. PNT-I Datensatz.
Auf der PNT-Unit oder der TLU aufbauend werden jeweils Fahrerassistenzsysteme entwickelt, die dem Zug- oder Schiffsführer kontinuierlich zuverlässige Informationen über den Standort, die Geschwindigkeit und die Fahrtrichtung liefern und ihn bei kritischen Manövern in Form eines Assistenzsystems unterstützen. Das entstehende System wird für beide Verkehrsträger im Rahmen von Demonstrationen getestet und validiert.
PNT-Unit
Im Bereich der Binnenschifffahrt existieren nur sehr eingeschränkte Ausrüstungspflichten für Ortungs- und Navigationssensorik. Um jedoch alle Lagewinkel eines Schiffes sowie die Bewegungsrichtung messen zu können, besteht die PNT Unit aus 3 GNSS-Empfängern bzw. –Antennen und einer IMU. Die Fusion der Daten aller Sensoren erfolgt in einem sogenannten Level1-Prozessierungsmodul. Der resultierende PNT-I-Datensatz wird dann für weitere Anwendungszwecke bereitgestellt.
PNT-Anwendung
Es wird ein fahrzeugseitig installiertes Fahrerassistenzsystem entwickelt, welches primär drei Aufgaben zu erfüllen hat:
• Trajektoriengenerierung und -verfolgung, • Kollisionsrisikoerkennung, • Ausgabe von Manöverempfehlungen und Warnungen.
Eine hinsichtlich Zeit- und Kraftstoffaufwand ideallinienbasierte Trajektorie wird dem Schiffsführer bereitgestellt. In PiLoNav werden bei der Berechnung dieser Trajektorien ideallinienbeeinflussende Wasser- und Windströmungen noch nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund wird eine Trajektorie zugrunde gelegt, die Ergebnis einer umfassenden Fahrspurauswertung im Demonstrationsgebiet ist. Es wird kontinuierlich der Ist-Zustand mit der geplanten Fahrtrajektorie (Soll-Zustand) verglichen. Bei Abweichung vom Soll-Zustand wird eine optimale Rückführung auf die vorgegebene Trajektorie unter Berücksichtigung statischer und dynamischer Umgebungsdaten errechnet. Dafür werden dem Schiffsführer als Handlungsempfehlung Sollkurs und -geschwindigkeit Verfügung gestellt.
Ein Kollisionsrisiko kann von statischen oder dynamischen Hindernissen ausgehen. Demzufolge reicht die alleinige Position des jeweiligen Schiffes nicht aus, um sensible Manöver zu planen und durchführen zu können. Zur Erkennung der statischen und dynamischen Umgebungsfaktoren werden Radar und AIS (Automatic Identification System) verwendet. Relevante Abstände zwischen Schiffen und Hindernissen werden so bestimmt und überwacht. Bei Unterschreiten eines für den Manöverstatus erlaubten Grenzwertes wird eine entsprechende Alarmmeldung generiert und angezeigt. Eine Validierung erfolgt durch kontinuierliche Abstandsbestimmung zur Umgebung durch bordseitige, unabhängige Laserdistanzmesser und Vergleich mit den Ausgaben des Fahrerassistenzsystems. Die beschriebenen Fahrerassistenzfunktionalitäten werden im Zuge von PiLoNav zu Demonstrationszwecken auf dem ECDIS Vollsystem „RadarPilot720°“ der Firma Innovative Navigation GmbH umgesetzt.
Train Location Unit
Im Gegensatz zur Binnenschifffahrt bewegen sich Fahrzeuge im Schienenverkehr spurgebunden, so dass die Ortung als in weiten Teilen eindimensionales Problem angesehen werden kann. Nur an Weichen wird die Ortungsaufgabe komplexer, denn dort muss zuverlässig die Überfahrtrichtung ermittelt werden, um im Folgenden das Fahrzeug dem richtigen von zwei möglichen Gleisen zuordnen zu können. Das bezeichnet man als Gleisselektivität. Das Ortungsergebnis als Ausgabe der TLU wird ebenso wie bei der PNT Unit in einem PNT-I-Datensatz ausgegeben. Die Anforderung der Gleisselektivität kann ohne den Einsatz digitaler Streckenkarten und Anwendung von Map-Matching-Algorithmen nicht zuverlässig erfüllt werden. Entsprechend wird mit dem PNT-I+m-Datensatz ein zweites Ortungsergebnis spezifiziert, welches die PNT-I-Werte in Bezug zu einem Gleisnetz einer digitalen Karte setzt. Die Basis für die Ortung mittels TLU und die zugehörigen PNT-I(+)m-Datensätze bildet das Ergebnis des Level1-Prozessierungsmoduls. Da die Fusion der GNSS- und IMU-Daten nicht immer zu einer ausreichend genauen und zuverlässigen Lösung führt, wurde die TLU um weitere Sensorik ergänzt. Für die gleisbezogene Ortung werden zusätzlich ein Laserscanner und ein berührungslos messender Geschwindigkeitssensor (Correvit-Rail) verwendet. Mittels des Laserscanners können die Konturen charakteristischer Elemente des Oberbaus und entlang der Strecke, wie z.B. Weichen und Signalmasten, detektiert werden. Das ermöglicht bei Kenntnis der Position dieser Elemente eine Referenzierung im Rahmen des Ortungsprozesses. Durch die Berücksichtigung der integrierten Werte des zusätzlichen Geschwindigkeitssensors wird die Ortung in Gleislängsrichtung präzisiert. Aufgrund der modularen Systemarchitektur ist die Einbindung weiterer Ortungsdaten, die teilweise auf den Fahrzeugen zur Verfügung stehen, mit geringem Aufwand realisierbar. Zur Herstellung des Bezugs zwischen dem in 2D-Koordinaten vorliegendem Ortungsergebnis und dem befahrenen Gleis unter Anwendung von Map-Matching-Algorithmen ist das Vorhandensein einer digitalen Streckenkarte zwingend Voraussetzung. Die für den Einsatz in der TLU spezifizierte digitale Karte umfasst alle seitens der Ortungsanwendungen benötigten und von den Fahrzeugsensoren bereitgestellten georeferenzierten Informationen. Das Herzstück der TLU bilden die beiden Teilsysteme der Level1- und Level2-Prozessierung. In ihnen werden die von den Sensoren erfassten Messdaten unter Anwendung von Fusionsalgorithmen miteinander verknüpft und die aktuelle Fahrzeugposition berechnet. Während das Level1-Prozessierungsmodul die Messdaten der GNSS- und IMU-Daten zu einer ersten Positionslösung fusioniert, setzt das Level2-Processing darauf auf und integriert unter Anwendung von Map-Matching-Algorithmen neben den schienenverkehrsspezifischen Laserscanner- und Geschwindigkeitssensordaten auch Informationen aus der digitalen Karte in den Ortungsprozess.
TLU-Anwendung
Die Anwendungen der Train Location Unit finden sowohl auf dem Fahrzeug als auch in der Streckenzentrale statt.
Die streckenseitige Unterstützung läuft unter dem Titel „Operatives Verkehrsmanagement“ (OVM), um den Bahnbetrieb zu optimieren. Durch die genaue Kenntnis der Positionen der Züge, die in die Streckenzentrale (bei der DB Betriebszentrale) übertragen werden, lässt sich eine genauere Prognose des Verkehrsablaufs auf der Schiene durchführen. Dies erlaubt es, den Zügen solche Informationen zu liefern, die es ihnen ermöglichen, langsamer, aber ohne anzuhalten, dicht belegte Abschnitte durchfahren zu können. Das OVM-Tool berechnet, wann die vorausliegenden Gleisabschnitte wieder frei werden und gibt dem nachfolgenden Zug diese Informationen. Der Nutzen dieses Systems sind eine energiesparsamere Fahrt des Zuges und auch eine Reduzierung der Streckenbelegung. Die Kapazität hochbelasteter Streckenabschnitte kann so noch weiter erhöht werden. Weiterhin ist auch der Verspätungsanstieg eines Zuges geringer, wenn dieser nicht vor einem Halt-Signal vollständig zum Stillstand kommt. Das System eignet sich darüber hinaus auch zur Berechnung der Dispositionen. Hiermit wird das Ziel verfolgt, durch
gezielte Reihenfolgeänderungen (Verlegung oder außerplanmäßige Einlegung von Überholungen) und Gleisänderungen die Gesamtsituation des Bahnbetriebs zu optimieren. Optimierungskriterien sind hierbei die Pünktlichkeit, Streckenleistungsfähigkeit und der Energieverbrauch.
Auf der Fahrzeugseite werden Anwendungen entwickelt, die in vier Ebenen untergliedert werden:
• Betriebsebene • Sicherungsebene • Modellierungsebene • Hilfssystemebene.
Die Betriebsebene beinhaltet die Optimierung der Fahrt anhand einer energieoptimalen Fahrtrajektorie sowie zeitoptimalen Bremsens. Hierzu zählt auch ein energieeffizienter Tempomat, der nicht als alleiniges Ziel eine konstante Geschwindigkeit hat, sondern unter Nutzung von Zeitreserven auch Steigungen und Gefälle bei der Bestimmung einer energieoptimalen Geschwindigkeitskurve berücksichtigt. An Bahnsteigen kann eine Zielbremsung so erfolgen, dass der Zug an einer definierten Position zum Stillstand kommt. Sofern der Fahrer Informationen braucht, sollen diese ihm über eine gemäß den Regeln der Gebrauchstauglichkeit erstellte Mensch-Maschine-Schnittstelle kommuniziert werden.
Die Sicherungsebene beinhaltet eine Optimierung der Fahrt im Rahmen der Beschränkungen des Sicherungssystems. Die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) wirkt z.B. nur an bestimmten Stellen. Mit Kenntnis der genauen Zugposition durch die TLU lassen sich im Falle einer Beeinflussung noch einige Reserven zum Energiesparen und zum Abbauen von Verspätungen nutzen. Mit einer Kommunikation mit Bahnübergangssicherungsanlagen lassen sich in bestimmten Situationen die Schließzeiten für den Straßenverkehr reduzieren.
Die Modellierungsebene dient der Erstellung bzw. Verbesserung von Modellen des Zuges bzw. der Strecken. Eine Adaption des Fahrzeugmodells kann z.B. durch präzise Kenntnis der Bewegungen des Zuges erfolgen. Wenn klar ist, dass der Zug seine übliche Betriebsbeschleunigung oder –bremsung durchführt, dies aber vom akademischen Fahrzeugmodell abweicht, kann dies genutzt werden, um für die weitere Berechnung ein aktualisiertes Modell zu verwenden. Ursachen können z.B. Verschleiß oder tagesaktuelle Wetterbedingungen sein. Die Kartengenerierung dient dazu, nach dem Befahren von Strecken und der Auswertung aller Sensordaten eine digitale Karte der Schienenstrecken zu erstellen.
Die Hilfssystemebene ermöglicht mehrere Verbesserungen. Zum einen kann durch die tagesaktuelle Ermittlung von Stellen im Schienennetz, an denen eine Schmierung erforderlich ist, der Verbrauch von Schienenschmiermitteln und die Umweltbelastung reduziert werden. Auf der anderen Seite wird durch eine Schmierung die Lärmbelastung reduziert. Eine Verringerung des Schmiermitteleinsatzes erlaubt eine Ausweitung des Einsatzes der Schienenschmierung. Weiterhin kann auf Basis hochgenauer Ortungsinformationen eine gezielte Türfreigabe erfolgen sowie die Oberleitungssignale präziser befolgt werden. Letzteres ist zum Beispiel bei einem Streckentrenner sinnvoll, wenn der Fahrer nicht genau weiß, wann der elektrische Zug von der Oberleitung getrennt werden muss (z.B. wenn die Lok sich hinten befindet und den Zug schiebt).
Ein Teil der beschriebenen TLU-Anwendungen wird umgesetzt, erprobt und zum Projektabschluss demonstriert. Insbesondere das Sicherungssystem betreffende Anwendungen mit Rückwirkungen auf die Fahrzeugsteuerung, aber auch einige der genannten Anwendungen der anderen Ebenen werden in PiLoNav nur konzeptionell entwickelt. Eine Demonstration dieser kann aufgrund der notwendigen Zulassungsprozesse nicht im Rahmen der Projektlaufzeit stattfinden.
Partner
Um die vielfältigen Anforderungen zu bündeln, wird PiLoNav als interdisziplinäres Verbundprojekt mit Partnern aus Forschung und Entwicklung (den Instituten für Kommunikation und Navigation (IKN) sowie für Verkehrssystemtechnik (ITS) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR. e.V.), dem Institut für Verkehrstelematik und dem Geodätischen Institut der TU Dresden) sowie Anwendungspartnern aus dem Bereich Binnenschifffahrt (Fachstelle der Wasserschifffahrtsverwaltung (WSV) für Verkehrstechniken (FTV)) sowie dem Schienenverkehr (Interautomation GmbH und Delimon GmbH) realisiert.
Förderung
Das Projekt wird unter dem Förderkennzeichen 19 G 10015A vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert
Projektlaufzeit
01.12.2010 bis 31.01.2014
Videokanal des Instituts