Ordnung in Schmelzen
Eine der grundlegendsten Fragestellungen auf dem Forschungsgebiet unterkühlter Schmelzen ist sicherlich die nach der strukturellen Nahordnung der Schmelzen. Bereits im Jahre 1952 sagte Frank [1] die Existenz einer ikosaedrischen Nahordnung in unterkühlten Metallschmelzen voraus. Das Ikosaeder (Abb. 1) ist einer der platonischen Körper [2]. Es besteht aus 13 Atomen und besitzt sechs fünfzählige Symmetrieachsen.
Obwohl Franks Hypothese inzwischen ca. 50 Jahre alt ist, gab es von experimenteller Seite bis vor kurzem nur indirekte Hinweise für die Existenz einer ikosaedrischen Nahordnung in unterkühlten Metallschmelzen. Es konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass die Unterkühlbarkeit von Schmelzen, die eine besondere Art von Festkörpern, sogenannte Quasikristalle, bilden, geringer ist als bei Schmelzen, die einfache Kristalle formen [3]. Dies wird dadurch gedeutet, dass Quasikristalle eine Struktur besitzen, die auf ikosaedrischen Strukturelementen basiert, wie sie auch für die Metallschmelze vorausgesagt werden.
Eine direkte Bestimmung der Nahordnung unterkühlter Schmelzen unter Nutzung von Untersuchungsmethoden, wie sie seit Jahren zum Studium der Struktur von Festkörpern eingesetzt werden (z.B. Beugungsexperimente mit Röntgen- oder Neutronenstrahlen), erweist sich insbesondere deshalb als problematisch, da hierzu der metastabile Zustand der unterkühlten Schmelze für hinreichend lange Zeiten, die eine Untersuchung erlauben, aufrechterhalten werden muss.
Kürzlich konnte jedoch das Ziel einer direkten Untersuchung der Nahordnung tief unterkühlter Metallschmelzen erreicht werden, indem die tiegelfreie Prozessiertechnik der elektromagnetischen Levitation mit der elastischen Neutronenstreuung und der energiedispersiven Beugung von Röntgenstrahlung kombiniert wurde [4]-[10]. Die Neutronenstreuexperimente wurden am Institut Laue-Langevin (ILL) und die Beugungsexperimente mit hochenergetischer Röntgenstrahlung an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF), beide in Grenoble, durchgeführt (siehe auch die bei einer Messzeit am ILL aufgenommene Videosequenz). Hierdurch wurde die Nahordnung stabiler und unterkühlter Schmelzen diverser reiner Metalle und von Al-Basislegierungen, die quasikristalline feste Phasen bilden, untersucht, indem Strukturfaktoren der unterschiedlichen Schmelzen gemessen wurden (Abb. 2). Unabhängig von der Struktur der zugehörigen festen Phasen wurde in allen Fällen eine ikosaedrische Nahordnung in der Flüssigkeit nachgewiesen. Diese existiert bereits bei Temperaturen oberhalb der Schmelztemperatur und wird mit fallender Temperatur ausgeprägter. Somit gelang es die ca. 50 Jahre alte Hypothese Franks [1] experimentell zu bestätigen.
Hier findet sich ein Quicktime-Video (5 MB) von Neutronenstreuexperimenten an unterkühlten Metallschmelzen am Institut Laue-Langevin (ILL), Grenoble.
Literatur: