Abenteuer Baikonur: Reisebericht zum Start von Alexander Gerst

Frank Fischer in einer Raumkapsel. Wir konnten den DLR_School_Lab-Leiter aus Braunschweig gerade noch daran hindern, selbst ins All zu starten ;-) Spaß beiseite: Er war zum Start von Alexander Gerst in Baikonur, um darüber für DLR_next zu berichten. Bild: DLR
Frank Fischer in einer Raumkapsel. Wir konnten den DLR_School_Lab-Leiter aus Braunschweig gerade noch daran hindern, selbst ins All zu starten ;-) Spaß beiseite: Er war zum Start von Alexander Gerst in Baikonur, um darüber für DLR_next zu berichten. Bild: DLR
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Am 6. Juni ist der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst zu seiner zweiten ISS-Mission aufgebrochen. Um auf unseren Social-Media-Kanälen darüber zu berichten, haben wir Frank Fischer zum Weltraum-Bahnhof Baikonur geschickt. Der DLR_School_Lab-Leiter aus Braunschweig nahm an der Pressereise zum Start teil und wäre am liebsten selbst mit ins All geflogen. Hier sein Reisebericht.

Von Frank Fischer, Leiter DLR_School_Lab Braunschweig

4 Tage bis zum Start:
Mit wummernden Bässen durch Moskau

Mit dem Taxi durch Moskau. Bild: Frank Fischer/DLR
Mit dem Taxi durch Moskau. Bild: Frank Fischer/DLR

Der Wecker klingelt früher als sonst. Es ist 1 Uhr in der Nacht. Niemand würde um diese Uhrzeit freiwillig aufstehen. Heute schon. Es geht nach Baikonur. Zum Start von Alexander Gerst. Für DLR_next und den Twitter-Kanal unseres Jugendportals soll ich vor Ort darüber berichten – als #DLR_next_Reporter. Also los: Den Schlaf aus den Augen reiben, die gepackten Koffer schnappen und über die leere Autobahn zum Flughafen Hannover. Zwischenlandung in Frankfurt, schnell zum Anschlussflug nach Moskau spurten – geschafft! Ein paar Stunden später: Taxifahrt durch Moskau. Der Fahrer spricht kein einziges Wort Englisch, ich kein Russisch. Stille. Ich sage „Radio“ und „Musik“, der junge Taxifahrer lächelt und russische Popmusik schallt mit wummernden Bässen durch den Wagen. Wir lachen beide. So geht Völkerverständigung heute. Abends im Hotel: Briefing für die 40 Journalisten, die an der Pressereise teilnehmen. Die Kolleginnen und Kollegen der europäischen Raumfahrtagentur ESA und des DLR erklären uns das Programm für die nächsten Tage. Morgen früh starten wir nach Baikonur! Wie sagte doch Juri Gagarin, der 1961 als erster Mensch ins All flog, kurz vor seinem Start? „Pojechali!“ – zu Deutsch „Auf geht’s!“.

3 Tage bis zum Start:
In der verbotenen Stadt

Unser Reporter Frank Fischer in Moskau – kurz vor dem Einsteigen in die kleine Maschine, mit der die Pressegruppe nach Baikonur aufbricht. Bild: DLR
Unser Reporter Frank Fischer in Moskau – kurz vor dem Einsteigen in die kleine Maschine, mit der die Pressegruppe nach Baikonur aufbricht. Bild: DLR

Der Check-In-Schalter am Moskauer Flughafen Domodedovo zeigt in kyrillischer Schrift den Namen der einst für „Westler“ verbotenen Stadt Baikonur. Der Name des Ortes ist eine Geschichte für sich: Als in den 1950-er Jahren – ganz zu Beginn der Raumfahrt – der streng geheime Weltraum-Bahnhof in der Steppe Kasachstans gebaut wurde, nannte man ihn Baikonur. Und das obwohl die kleine Stadt mit diesem Namen hunderte Kilometer entfernt liegt. So sollten die Amerikaner auf eine falsche Fährte gelockt werden. Eigentlich hieß die Siedlung in der Nähe des Startgeländes „Tyura Tam“. Später wurde sie tatsächlich in Baikonur umbenannt – und seitdem liegt der Startplatz Baikonur wirklich neben der Stadt Baikonur. Verwirrend …

Dass Juri Gagarin, der erste Mensch im All, vor seinem Start in diesem Bett geschlafen haben soll – das war natürlich nur ein kleiner Spaß der DLR_next Zentrale aus Köln, um unseren Reporter bei Laune zu halten. Bild: Frank Fischer/DLR
Dass Juri Gagarin, der erste Mensch im All, vor seinem Start in diesem Bett geschlafen haben soll – das war natürlich nur ein kleiner Spaß der DLR_next Zentrale aus Köln, um unseren Reporter bei Laune zu halten. Bild: Frank Fischer/DLR

Unser Regionaljet rollt auf dem Weg zur Startbahn an vielen abgestellten und teils ausgeschlachteten Flugzeugen vorbei – von Airlines, die es längst nicht mehr gibt. Wir heben ab. Etwas mehr als 3 Stunden dauert der Flug von Moskau nach Baikonur. Unter uns verwandelt sich die Landschaft in eine trockene und flache Steppe, aus der die Reste des Aral-Sees herausstechen. Einst einer der größten Seen der Erde, heute weitgehend ausgetrocknet. Plötzlich ein Pfeifen! Es kommt von der Einstiegstür in meiner Nähe. Die Türdichtung ist undicht. Ich merke den Druckabfall. Die Flugbegleiterin stopft das kleine Leck mit Servietten zu, die Piloten gehen in den Sinkflug – wir sind ohnehin gleich da.

Nach der Landung ab in den Bus. Es ist trocken und heiß. An den Busfenstern sind dunkel getönte Folien und dicke Vorhänge angebracht, um Sonne und Hitze auszusperren. Das Hotelzimmer ist eher karg eingerichtet. Als ich ein Foto des recht durchgelegenen Hotelbetts nach Köln maile, kommt prompt aus der Twitter-Zentrale von DLR_next augenzwinkernder Trost: Das müsse das Bett sein, in dem schon Juri Gagarin die letzten Nächte vor seinem Raumflug verbracht hat. Ich schmunzle. Und auf Komfort kommt’s ohnehin nicht an, wenn man bei einem so aufregenden Ereignis wie dem Start von Alexander Gerst dabei sein kann.

Oh je! Es gibt kein Internet im Hotel … Dann die Erleichterung: Im improvisierten Pressezentrum wurde eine traumhafte Breitband-Verbindung eingerichtet – ein Stück Hightech wie aus einem anderen Jahrtausend. Von hier aus kann ich Fotos und Infos nach Deutschland mailen, sodass der Twitter-Account von DLR_next viele Menschen an den Startvorbereitungen teilhaben lassen kann!

2 Tage bis zum Start:
Milchreis mit Butter und die Sojus-Rakete

Frühstück im Hotel der Pressegruppe: Milchreis mit zerlassener Butter. Bild: Frank Fischer/DLR
Frühstück im Hotel der Pressegruppe: Milchreis mit zerlassener Butter. Bild: Frank Fischer/DLR

Zum Frühstück gibt‘s Milchreis mit einem See aus geschmolzener Butter. Der Kaffee ist durchsichtig – und das um 5 Uhr morgens. Aber na gut: Raumfahrt ist eben voller Herausforderungen.

Wenig später sitzt unsere Pressegruppe im Bus. Es herrscht wenig Verkehr in Baikonur. Nur noch etwas mehr als 70.000 Menschen leben in der Stadt – früher waren es doppelt so viele. Wir passieren den Sicherheitsposten am Rande des legendären Weltraum-Bahnhofs. Das Gelände ist enorm groß: Die holprige Fahrt dauert weitere 45 Minuten bis zu den eigentlichen Startanlagen der Sojus-Rakete. Am Straßenrand grasen Kamele in der Steppe.

Die Sojus-Rakete wird von einer Lok aus der Montagehalle in Richtung Startrampe gezogen. Bild: Frank Fischer/DLR
Die Sojus-Rakete wird von einer Lok aus der Montagehalle in Richtung Startrampe gezogen. Bild: Frank Fischer/DLR

Es beginnt mit einem schrillen Pfiff der schweren Diesellokomotive. Dann zieht sie die Rakete aus der Endmontagehalle. Dort war in den Tagen und Wochen zuvor das Raumschiff auf die Rakete montiert worden. In Schrittgeschwindigkeit rollt die Lok wenige Meter neben unserer Gruppe vorbei – die Rakete waagerecht dahinter. Wir erinnern uns an die Warnungen: Nicht auf die Lok klettern, keine Geldmünzen auf die Gleise legen, nicht in der Nähe der Rakete rauchen! Wir halten uns brav an die Vorschriften – nicht nur wegen der Soldaten, die entspannt aber wachsam und mit Maschinengewehren bewaffnet neben dem Zug laufen. Erste Sonnenstrahlen fallen auf die 50 Meter lange Rakete, die übermorgen Alexander Gerst und Crew zur ISS bringen wird.

Die mächtigen Arme des Startturms klappen hoch und umfassen die Rakete. Bild: Frank Fischer/DLR
Die mächtigen Arme des Startturms klappen hoch und umfassen die Rakete. Bild: Frank Fischer/DLR

An der Startrampe angekommen wird die Rakete aufgerichtet. Das geht überraschend schnell, dauert gerade mal eine halbe Stunde. Die riesigen Stahlgerüste – anfangs zur Seite geklappt – umschließen die Sojus. Dann wird der Startturm an die inzwischen senkrecht stehende Rakete herangeschwenkt. Er sieht wie ein großes Gerüst aus, hat verschiedene Arbeitsplattformen auf den einzelnen Etagen und einen Aufzug, der die Fachleute und in zwei Tagen auch die Crew oben an die Spitze bringt, wo sich das Raumschiff befindet. Auffallend ist die Ruhe und Gelassenheit, mit der die Techniker ihre Arbeit verrichten.

Zurück in die Stadt Baikonur. Kinder spielen auf künstlichen Kamelen, hier und da dienen auch Raketen-Attrappen als Spielgerät. Die Kinder winken und lachen uns zu. Nach Museumsbesuch und Stadtführung folgen Gespräche und Interviews mit angereisten Astronauten: Thomas Reiter ist da, auch Reinhold Ewald und der erste Deutsche im All, Sigmund Jähn. Sie alle sind von hier aus ins All gestartet. Es fällt auf, dass alle Astronauten eines gemeinsam haben: Sie sind einfach sympathisch, können mit ihren Erzählungen echte Begeisterung auslösen. Und sie haben Humor: Als ich ihnen unsere DLR_next-Leuchtkulis überreiche, fordert Thomas Reiter seinen belgischen Kollegen Frank de Winne gleich zu einem „Lichtschwertkampf“ à la Star Wars heraus – und Reinhold Ewald ist ohnehin eine rheinische Frohnatur und man könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er über seine Erlebnisse im All berichtet.

Als ich abends das letzte Foto nach Deutschland gemailt habe, sehe ich im Internet nach, welche Bilder den Weg auf Twitter gefunden haben – ein tolles Gefühl, über Tausende von Kilometern all diese Infos an die Kölner DLR-Zentrale und von dort an mehr und mehr Menschen zu senden, die dem Start von Gerst entgegenfiebern. Die Begeisterung nimmt stündlich zu.

Die ISS zeichnet dank Langzeitbelichtung eine zarte Leuchtspur in den Himmel über Baikonur (im Vordergrund das Sojus-Denkmal). Bild: Frank Fischer/DLR
Die ISS zeichnet dank Langzeitbelichtung eine zarte Leuchtspur in den Himmel über Baikonur (im Vordergrund das Sojus-Denkmal). Bild: Frank Fischer/DLR

Eigentlich wäre jetzt Feierabend, nach einem wirklich ereignisreichen Tag. Doch dann folgt ein weiterer magischer Moment! Wir wussten, dass die Internationale Raumstation ISS gleich genau über Baikonur fliegen würde: hell leuchtend über der kasachischen Steppe! Also nochmal raus aus dem Hotel für eine Langzeitaufnahme, bei der die ISS eine „Leuchtspur“ in den dunklen Himmel zieht. Und damit die Kulisse passt, postieren wir uns mit den Kameras an dem Nachbau einer Sojus-Rakete, der hier vor einiger Zeit als Denkmal aufgestellt wurde.

1 Tag bis zum Start:
Letzte Pressekonferenz von Alex vor dem Start!

Wir besichtigen das Raumfahrt-Museum in Baikonur, dann werden wir nochmal zur Rakete gefahren. Kaum sind wir aus dem Bus, empfangen uns dicke Wassertropfen – und das bei sommerlichen Temperaturen von über 30 Grad, staubtrockener Luft und wolkenlosem Himmel. Der russisch-orthodoxe Pfarrer aus Baikonur hat eben die Rakete gesegnet und verspritzt das Weihwasser jetzt auch noch großzügig über die angereisten Journalisten – mit erkennbarem Spaß und exzellenter Rückhandtechnik.

Die letzten Vorbereitungen für den Start laufen plangemäß. Die Staatskommission – eine Gruppe von hochrangigen Fachleuten – hat den Termin für den morgigen Start offiziell bestätigt. Gleich wird es im Kosmonautenhotel in Baikonur die berühmte Pressekonferenz der Crew „hinter Glas“ geben. Das Kosmonautenhotel – das ist der Ort, in dem die Besatzung von der Außenwelt abgeschirmt die letzten Tage vor dem Start verbringt. Und auch bei der letzten Pressekonferenz befindet sie sich hinter einer Glasscheibe, um jede Ansteckungsgefahr kurz vor dem Flug ins All auszuschließen.

Pressekonferenz hinter Glas: Die Scheibe ist nötig, damit sich die Crewmitglieder nicht noch kurz vor dem Start anstecken. Selbst ein Schnupfen wäre mehr als lästig, zumal das Immunsystem in Schwerelosigkeit weniger leistungsfähig ist. Bild: Frank Fischer/DLR
Pressekonferenz hinter Glas: Die Scheibe ist nötig, damit sich die Crewmitglieder nicht noch kurz vor dem Start anstecken. Selbst ein Schnupfen wäre mehr als lästig, zumal das Immunsystem in Schwerelosigkeit weniger leistungsfähig ist. Bild: Frank Fischer/DLR

Der Saal füllt sich mit Journalisten, dicht gedrängt sitzend und stehend, jede Menge Fernsehkameras. Blitzlichter flammen auf, als Alex mit seiner NASA-Kollegin Serena Auñón-Chancellor und dem Russen Sergei Prokopjew endlich erscheint – samt der Reservemannschaft, die sich bis zuletzt bereithält, um notfalls einzuspringen. Auf Nachfrage von deutschen Journalisten räumt Gerst ein, dass er die WM-Abende mit Familie und Freunden in Deutschland vermissen wird. Aber wie schon bei seinem ersten Flug wird er auf der ISS abends die Spiele ansehen können. Alex antwortet mal Deutsch, mal Englisch und auch fließend Russisch. Am Ende treffen sich kurz unsere Blicke, er lächelt, winkt dann in die Menge im Saal, der inzwischen vor lauter Medienvertretern schier zu platzen scheint – ein ungeheures Interesse an diesem Flug!

Die Raumfahrt gilt als eines der letzten großen Abenteuer der Menschheit. Ähnlich abenteuerlich gestaltet sich für unsere Reisegruppe das Studium der Speisekarte, die es nur in kyrillischer Schrift gibt. Wir irren durch die für uns unverständliche Sprachwüste, Smartphones werden gezückt und Übersetzungs-Apps aktiviert. Nach einer Weile verstehen wir, dass es um eine „Space Pizza“ geht, die offenbar in mehreren Variationen angeboten wird. Sie schwebt zwar nicht schwerelos über dem Teller, schmeckt aber lecker. Nach einem weiteren Briefing geht’s wieder ins angebliche „Gagarin-Bett“. In vier Stunden klingelt der Wecker – und das Einschlafen fällt zumindest dem DLR_next-Reporter vor lauter Aufregung schwer. Wie hat Gagarin wohl in der Nacht vor seinem Start geschlafen? Was muss das für ein Moment gewesen sein: Als erster Mensch in den Weltraum zu fliegen! Und wie geht’s jetzt Alexander Gerst?

Der Starttag:
Mit 26 Millionen PS ins All!

Der Starttag bricht an. Es sollen über 40°C werden. Schon morgens ist es heiß. Eine Frau fegt mit einem Besen die Straße, Staubwolken wirbeln auf. Fahrzeuge, die an den deutschen Winterdienst erinnern, besprühen die Fahrbahn mit Wasser, um den heißen Asphalt wenigstens etwas zu kühlen.

Wir stehen vor dem Kosmonautenhotel. Gleich werden Alex und Crew aus der Tür kommen und in den Bus steigen, der sie zum Startgelände bringt. Immer mehr Menschen versammeln sich, eine bunte Menge. Manche halten Fähnchen hoch – deutsche, russische und amerikanische Mini-Flaggen. Wir warten auf die Crew. Plötzlich plärrt der fetzige russische Rock-Song „Trava U Doma“ der Gruppe „Zemlyane“ über das Gelände. Das Lied beschreibt den sehnsüchtigen Blick eines Kosmonauten aus seinem Raumschiff-Fenster auf die Erde.

Alex und Crew steigen vor dem Kosmonautenhotel in den Bus ein, der sie aufs Gelände des Weltraum-Bahnhofs bringt. Bild: Frank Fischer/DLR
Alex und Crew steigen vor dem Kosmonautenhotel in den Bus ein, der sie aufs Gelände des Weltraum-Bahnhofs bringt. Bild: Frank Fischer/DLR

Auch jetzt wieder hunderte von Menschen! Unglaublich, welches Interesse dieser Start auslöst. Und dann kommen sie: Sergei, Serena und Alex strahlen um die Wette, während sie den Bus besteigen. Immer wieder rufen Leute die Vornamen der drei Crewmitglieder, winken, feuern sie an und wünschen ihnen Glück. Alex formt mit den Händen hinter dem Busfenster ein Herz und lacht. Als der Bus das Gelände in Richtung Kosmodrom verlässt, gibt es ein kleines Hupkonzert der einheimischen Autos wie bei einem WM-Korso.

Die Crew meldet sich zum Flug bereit. Bild: Frank Fischer/DLR
Die Crew meldet sich zum Flug bereit. Bild: Frank Fischer/DLR

Im Gebäude 254 auf dem Kosmodrom zieht die Besatzung ihre Raumanzüge an, die sie beim Start vor einem plötzlichen Druckverlust im Raumschiff beschützen sollen. Die meisten Pressevertreter sichern sich zwischenzeitlich die besten Plätze im Innenhof des Gebäudes, denn hier wird die Besatzung gleich erscheinen. Viel Prominenz ist da – darunter auch die erste Frau im Weltraum, Walentina Tereschkowa. Gegen 14 Uhr Ortszeit ist es soweit: Wieder strahlend, winkend und jetzt mit den Klimageräten in der Hand laufen Alex und Crew durch das Spalier aus Medienvertretern und Zuschauern, um salutierend vor der Staatskommission anzutreten und ganz offiziell Abflugbereitschaft zu melden. Danach geht es für sie schnurstracks in den Bus zur Startrampe. Wir werden stattdessen zur Zuschauer- und Pressetribüne gefahren, die mit 1,4 km Abstand deutlich näher an der Rakete ist, als es bei westlichen Startplätzen und Trägerraketen üblich ist. Aber vorher stelle ich mich für ein Erinnerungsfoto noch schnell an die am Boden markierte Stelle, wo sich die Crew verabschiedet hat. Pojechali!"

Astronaut Fischer meldet sich zum Flug bereit ;-) Bild: DLR
Astronaut Fischer meldet sich zum Flug bereit ;-) Bild: DLR

Die Pressetribüne ist jetzt voll. Noch 3 Minuten bis zum Start. Gespannte Stille. Frostige Dampfwolken wabern an der Rakete herunter, die mit tiefgekühltem Treibstoff gefüllt ist. Ich dagegen spüre die Gluthitze des Bodens durch die Schuhsohlen. Noch 1 Minute! 300 Tonnen ist die Rakete schwer, 26 Millionen PS stark. Funksprüche zwischen Sojus-Raumschiff und Startkontrolle dröhnen per Lautsprecher über die unendlich scheinende Steppe. Die Luft flirrt. Und dann der Gänsehaut-Moment: Die Triebwerke zünden, bauen Schub auf – und die Rakete hebt mit einem tiefen Grollen ab. Laut! Immer lauter! So laut, dass allein durch den Schalldruck die Hosenbeine flattern! Bei einem Auto hinter der Tribüne wird dadurch sogar die Alarmanlage ausgelöst. Das Feuer, das unten aus der Raketen flammt, ist weiß-gelb und mit unglaublicher Leuchtkraft und Brillanz. So gleißend hell wie bei einem Schweißbrenner. 

Start der Sojus-Rakete mit Alex und Crew. Bild: ESA/S. Corvaja
Start der Sojus-Rakete mit Alex und Crew. Bild: ESA/S. Corvaja

Immer höher steigt die Sojus – erst langsam, dann schneller werdend, und schließlich verschwindet sie als kleiner heller Punkt in den Wolken. Wir schauen uns bewegt an, manche mit feuchten Augen. Es wird sich umarmt und auf den Rücken geklopft, eine Gruppe lässt eine Art Party-Konfetti über sich regnen. Ich klatsche mit Jan Wörner, dem Chef der ESA, mit einem „High Five“ ab. Der nächste Europäer ist im All – und sechs Monate Spitzenforschung in Schwerelosigkeit mit vielfältigem Nutzen für unseren Alltag auf der Erde beginnen.

Dann geht’s eilig ins Pressezentrum. Weil auf dem Weltraum-Bahnhof so gut wie keine Handy-Verbindung besteht, können es die Medienvertreter kaum erwarten ins Pressezentrum zurückzukehren. Unzählige Berichte, Fotos und Filmaufnahmen müssen in die Welt geschickt werden, und auch ich maile ein Foto nach dem anderen in die Kölner Twitter-Zentrale von DLR_next.

1 Tag nach dem Start:
Bye-bye Baikonur

Der letzte Morgen in Baikonur beginnt wie immer mit Milchreis und flüssiger Butter. Dann schnell zum Flieger. Es ist derselbe wie auf dem Hinflug – inzwischen mit reparierter Türdichtung. Zurück in Moskau unternehme ich mit den neuen kanadischen Freunden abends noch einen Ausflug zum Roten Platz, der in geradezu goldenes Abendlicht getaucht ist. Morgen steht das Docking bevor, das wir im russischen Kontrollzentrum bei Moskau verfolgen werden …

2 Tage nach dem Start:
Ankunft bei der ISS

Heute steht die Ankunft des Sojus-Raumschiffs an der ISS bevor. Danach wird die Crew mit Alexander Gerst in die Station einschweben. Überwacht wird das Kopplungsmanöver vom Kontrollzentrum in einem Vorort von Moskau. Auf dem Weg dorthin legt unsere Gruppe noch ein Stopp bei der legendären Raumfahrt-Firma „Energia“ ein. Sie ist so etwas wie die Wiege der russischen Raumfahrt. Das Firmenmuseum sorgt bei allen, die sich für Raumfahrt interessieren, für einen Gesichtsausdruck wie bei Kindern unterm Weihnachtsbaum oder im Süßwarenladen. Prototypen der Sputnik-Satelliten, Luna-Mondsonden, die Venus-Sonden namens „Venera“ – alles ist im Raum zu bewundern. Vorsichtig strecke ich die Kamera in eine offene Sojus-Kapsel, die Anfang der 1980er im Weltraum war. Plötzlich höre ich hinter mir die Stimme der russischen Museumsführerin: „Wenn Sie die Schuhe ausziehen, können Sie sich auch reinsetzen“. Ohne nochmal nachzufragen, ob ich richtig gehört habe, klettere ich in die kleine Raumkapsel, gleite in den Sitz, drücke auf den Startknopf und hebe ab ins All … Natürlich nur in Gedanken! Aber immerhin: Ich sitze in einer echten Sojus! Wow! Der Sitz passt wie ein Handschuh, nur die Beinfreiheit hat nicht wirklich mit Komfort zu tun. Wie gut, dass Alex und Co. in ihrem Raumschiff nicht nur die rund 4 m³ kleine Kapsel haben, in der ich gerade sitze, sondern zusätzlich eine kugelförmige „Orbital-Sektion“. Dieser Teil des Raumschiffs, mit dem die Crew jetzt gerade im All unterwegs ist, misst zwar (einschließlich Bordtoilette) auch nur rund 6 m³. Aber das macht die zweitägige Reise zur ISS doch um einiges erträglicher.

Das Kontrollzentrum bei Moskau. Bild: Frank Fischer/DLR
Das Kontrollzentrum bei Moskau. Bild: Frank Fischer/DLR

Eine Stunde später stehen wir im russischen Kontrollzentrum „TSUP“ auf der Besucher-Empore. Von hier schaut man hinunter in den riesigen Saal mit Großbildleinwand und jeder Menge Monitore. Dort wird das Annähern und Andocken des Sojus-Raumschiffs überwacht. Das Manöver wird von den Sojus-Bordcomputern zwar automatisch geflogen, aber Geschwindigkeit, Winkel, Abstand werden von den Fachleuten an den Konsolen genauestens beobachtet. Wenn etwas nicht stimmt, könnte die Crew jederzeit eingreifen, also die manuelle Steuerung übernehmen und von Hand andocken. Das ganze Andockmanöver ist Präzisionsarbeit vom Feinsten. Um eine gefährliche Kollision zu vermeiden, wird die Flugbahn des Raumschiffs so berechnet, dass es die ISS ganz knapp verfehlen würde. Erst im letzten Moment – wenn alles nach Plan läuft – dreht die Sojus zur Station und dockt an. Gespannt verfolgen wir alle die Livebilder aus dem All. 28.000 Kilometer pro Stunden sind Sojus und ISS schnell, die Sojus etwas schneller, zuletzt nur wenige Zentimeter pro Sekunde. Ein netter französischer Journalist aus unser Gruppe reicht mir einen Kopfhörer und ich höre den ungestörten Original-Funkverkehr zwischen Sojus, ISS und Kontrollzentrum. Noch 30 Meter, dann noch 10, dann Docking! Ganz ohne Aufregung oder Applaus, eher mit routinierter Zufriedenheit in den Gesichtern wird von dem Team des Kontrollzentrums das Einrasten und Festmachen an der ISS registriert.

Applaus kommt erst rund zwei Stunden später auf: Nach vielen Tests auf Dichtigkeit öffnet sich die Luke zur ISS, Alex und Crew „betreten“ die Station und werden von den drei Kollegen, die sich auf der ISS befinden, herzlich begrüßt. Doch was ist das? Da schwebt ein weiteres Crewmitglied in die Station! Es ist die „Maus“ aus der gleichnamigen TV-Sendung. Alex hat sie mitgenommen, um Kindern die faszinierende Welt der Forschung näherzubringen. Er gibt ihr einen Schubs, dann schwebt er direkt hinter ihr mit einem Strahlen im Gesicht auf die Bordkamera zu.

Die Faszination von Forschung und Technik vermitteln – das ist auch der Job des DLR_next_Reporters. Nicht nur bei dieser außergewöhnlichen Dienstreise, sondern auch im normalen Berufsleben als Leiter des DLR_School_Labs Braunschweig. Und so sitze ich wenig später im Flieger zurück nach Deutschland – nach diesen großartigen Eindrücken der letzten Tage wie Alex mit einem Strahlen im Gesicht. „Over and out“.