Zement stellt mit einem jährlichen Produktionsvolumen von 4,1 Milliarden Tonnen (2014) das größte industriell hergestellte Produkt weltweit dar. Wenngleich seine Entdeckung bereits mehr als 2000 Jahre zurückreicht, sind die bei der Aushärtung ablaufenden chemischen Reaktionen mit Wasser bis heute Gegenstand intensiver Forschung. Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die sehr komplexen Reaktionen, Auflösungs- und Kristallisationsprozesse bei der Hydratation des Zements zu erhalten. So lösen sich Zementbestandteile direkt nach der Zugabe von Wasser teilweise auf – es entsteht eine übersättigte Lösung vor allem von Calciumhydroxid, Silikat und Aluminat. Aus dieser Lösung kristallisieren anschließend Mineralien (sogenannte Zement-Hydrat-Phasen), die miteinander verwachsen und so ein festes Zementstein-Gefüge ausbilden – der Zement ist erhärtet. Die hier genannten Reaktionen werden in der Fachsprache unter dem Begriff „Hydratation“ des Zements zusammengefasst. Erste Hydrat-Phasen bilden sich bereits innerhalb von Sekunden nach Wasserzugabe in Gestalt von Kristallen mit einer Größe von nur wenigen Nanometern. Auf diesen ersten Sekunden der Zement-Hydratation liegt der Fokus unserer Untersuchungen.
Neben der Zement-Hydratation selbst liegt ein weiterer Schwerpunkt der aktuellen Forschung auf den sogenannten „bauchemischen Zusatzmitteln“. Als solche werden spezielle Chemikalien bezeichnet, die dem Beton oder Mörtel zugegeben werden, um ihre Eigenschaften zu verbessern. So bewirken beispielsweise Beschleuniger und Verzögerer, dass die Aushärtung des Zements schneller oder langsamer abläuft. Die Zugabe von Fließmitteln hingegen bewirkt, dass der Beton bei gleicher zugegebener Wassermenge bessere Fließeigenschaften aufweist. Der Einsatz solcher Zusatzmittel ist in der heutigen Bauindustrie vor allem notwendig, um die Eigenschaften des Betons an die jeweiligen Anforderungen anpassen zu können. Die Wirkung der Zusatzmittel basiert meist auf deren Adsorption auf den Zementoberflächen. Die negativ geladenen Zusatzmittel werden hier von den positiv geladenen Zementpartikeln angezogen und an deren Oberfläche gebunden. Dies wiederum hat großen Einfluss auf das oben beschriebene Kristallwachstum – vor allem auf Form und Größe der Kristalle.
Die Ergebnisse aus den bereits absolvierten 25. und 27. DLR Parabelflug-Kampagnen (Oktober 2014 und September 2015) haben gezeigt, dass Zementhydrate in Schwerelosigkeit meist kleinere Kristalle bilden, das heisst, das Kristallwachstum ist verlangsamt. Auf der anderen Seite ist die Keimbildung erhöht, wodurch mehr Kristalle entstehen. In den meisten Systemen tritt zudem eine gleichmäßigere Kristallgrößenverteilung auf. Auch die Kristallstruktur ändert sich unter 0 g gegenüber 1 g nicht, sodass die Aspektverhältnisse (Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser eines Kristalls) vergleichbar sind. Ziel unseres Forschungsprojekts für die 28. DLR Parabelflug-Kampagne ist es erneut, den Einfluss der Mikro-Gravitation auf Größe, Menge und Form (Morphologie) der sich in den ersten 10 Sekunden der Hydratation von Zement bildenden Kristallisationsprodukte unter Zugabe weiterer Zusatzmittel zu untersuchen. Darüber hinaus werden einzelne Zement-Hydrat-Phasen, zum Beispiel sogenannte Calcium-Silikat-Hydrate (C-S-H-Phasen) in Schwerelosigkeit aus Lösung sowie durch Auflösen der reinen Klinkerphase in Gegenwart verschiedener Zusatzmittel kristallisiert. Die C-S-H-Phasen sind verantwortlich für die Festigkeitsentwicklung beim Abbinden von Zement, indem sie ein dichtes Geflecht aus nadeligen Kristallen ausbilden. Dabei spielt die Morphologie der C-S-H-Phasen, welche von verschiedenen Reaktionsparametern abhängig ist, eine große Rolle. In weiteren Experimenten soll das Verhalten der reaktivsten Zementklinkerphase, dem Calcium-Aluminat, untersucht werden. Um die Unterschiede zwischen „0 g“ und „1 g“ quantifizieren zu können, werden sämtliche Versuche aus der Parabelflug-Kampagne unter normalen Schwerkraftbedingungen wiederholt.
Wir erhoffen uns, mit diesen Untersuchungen zu einem besseren Verständnis der frühen Zement-Hydratation und insbesondere der Auskristallisation der ersten Zement-Hydrat-Phasen beizutragen. Diese bestimmen die Verarbeitbarkeit des frischen und die physikalischen und mechanischen Eigenschaften des erhärteten Betons. Die gewonnenen Erkenntnisse können direkt in die Entwicklung neuartiger Zement- oder Baustoffsysteme einfließen. Auch für eine mögliche Bauaktivität auf Mond und Mars lassen die beschriebenen Erkenntnisse bereits jetzt Rückschlüsse hinsichtlich des Abbindeverhaltens und der Festigkeitsentwicklung zementärer Bindemittel unter reduzierter Schwerkraft zu.