Beim Workshop über Research Software Engineers im Rahmen der FrOSCon haben sich Teilnehmer aus mehreren Ländern über Probleme bei der Softwareentwicklung in der Wissenschaft ausgetauscht. Den Organisatoren aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt macht die gute Resonanz Mut auf mehr – sie planen bereits Größeres.
Es ist kurz vor zehn Uhr und Tobias Schlauch und Carina Haupt sind gespannt. Wie viele Leute werden in den Veranstaltungsraum C120 kommen? Noch ist Zeit für letzte Absprachen. Sollen alle Vortragenden bei der Begrüßung gemeinsam vorgestellt werden oder jeweils einzeln vor ihren Vorträgen? Nach und nach spähen Gesichter vorsichtig zur Tür hinein, zögerlich nehmen erste Gäste Platz. Aufatmen bei den Organisatoren.
Schlauch und Haupt arbeiten im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und haben lange auf diesen Tag hingearbeitet. Im Rahmen der FrOSCon, einer Konferenz für freie Software und Open-Source-Projekte, organisieren die beiden einen Workshop zum Thema RSE. Hinter dieser Abkürzung vergibt sich die Bezeichnung Research Software Engineer. Also Personen wie Schlauch oder Haupt, die in der Forschung mit Softwareentwicklung zu tun haben. Und die nun Gleichgesinnte suchen, mit denen sie die Probleme lösen können, die dabei auftreten können.
Diagnose: Sie sind ein Research Software Engineer
Wer in einer Universität oder einer Forschungseinrichtung Software entwickelt, der lebt in zwei Welten. Zum einen ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter angehalten, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, zum anderen Software. Doch wie veröffentlicht und zitiert man Software?
Von diesem Zwiespalt berichtet Schlauch im ersten Teil des Workshops. Mittlerweile haben etwa 20 Teilnehmer in dem Seminarraum in der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in St. Augustin Platz genommen. Da sich die FrOSCon nicht primär an Forscher richtet, erläutert Schlauch zu Beginn, warum Softwareentwicklung in der Forschung so relevant ist. Schließlich gefährden Fehler in der Software die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse. Allerdings schreiben viele Forscher Code und Software selbst, was Fehleranfälligkeit mit sich bringt. Gleichzeitig haben ausgebildete Softwareentwickler in der Forschung nur wenige Karrierechancen. Daher muss das Bewusstsein für nachhaltige Software in der Wissenschaft gestärkt werden.
Und dann wäre da noch das Problem der eigentlichen Berufsbezeichnung. Was ist man denn nun: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forscher, Softwareentwickler? Haupt erzählt, sie wusste früher nie, wie sie anderen kurz und knapp erklären soll, was sie beruflich macht. Ähnlich ging es Paul Richmond von der Sheffield University in Manchester, der nächste Sprecher auf dem Workshop. Er beschreibt seine Tätigkeit mit einem Gif. Ein Tausendsassa, der sich irgendwie um alles kümmert. Bis Richmond auf der Webseite des britischen Software Sustainability Institutes auf eine Art Selbsttest für RSEs stieß und seine Arbeit dort wiedererkannte. „Es war ähnlich wie wenn man krank ist und seine Symptome selbst googelt“, lacht er. Diagnose: RSE. Gemeinsam mit Mike Croucher, dem RSE-Pionier Großbritanniens, gründete Richmond in Sheffield die erste RSE-Gruppe des Landes. Heute gibt es zahlreiche weitere.
Hähnchen, Ravioli und ein erstes Fazit
Beim Mittagessen zeigt sich Schlauch zufrieden mit dem ersten Teil des Workshops. Die Teilnehmerzahl habe seine Erwartungen bereits übertroffen. Doch während er seinen Teller mit Hühnchen und überbackenen Ravioli in kürzester Zeit leert, kreisen in seinem Kopf die Gedanken. Waren die Vorträge logisch aufeinander aufgebaut? Passen die Talks thematisch zueinander?
Schlauch und Haupt ergänzen sich auf diese Weise ideal: Er ist der selbstkritische Initiator im Hintergrund, sie fühlt sich dagegen sichtlich wohl im Rampenlicht. Nach dem Mittagessen spricht Haupt über RSE im DLR. Gemessen an der Teilnehmerzahl ist ihr Vortrag der erfolgreichste des Tages. Rund 30 Leute lauschen ihren Ausführungen. Haupt wirkt selbstbewusst und souverän, für Richmond und andere Zuhörer aus dem Ausland referiert sie spontan auf Englisch.
RSE im DLR: „Iss‘ dein Gemüse…“
Haupt identifiziert drei große Schwierigkeiten für RSEs im DLR: Zum einen fehlt Geld und Infrastruktur, Kosten für die Entwicklung von Software werden bei Forschungsprojekten häufig nicht einkalkuliert bzw. unterschätzt. Umgekehrt ist der Bereich bei Budgetkürzungen oft betroffen. Dazu wird nach Abschluss eines Projekts nicht weiter an der verwendeten Software geforscht. Auch die Forscher selbst und die Projektverantwortlichen unterschätzen die Wichtigkeit von nachhaltiger Software. Häufig fehlt es ihnen auch an Wissen und Fähigkeiten, um Software und Tests zu entwickeln.
In der Einrichtung für Simulations- und Softwaretechnik begann Schlauch mit seinem Kollegen Michael Meinel bereits 2010, Trainings für Forscher im DLR anzubieten. 2015 stieß Haupt dazu. Inzwischen haben die drei mehrere Strategien und Lösungen entwickelt, mit denen sie Forscher im DLR zu RSEs machen. Das Prinzip dabei lautet „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Gruppe stellt dazu Software Engineering Guidelines, die kürzlich auch veröffentlicht wurden, zur Verfügung. Diese beinhalten Checklisten, die Forscher auf ihre individuellen Bedürfnisse anpassen und abarbeiten können. „Jeder weiß wie gut es sich anfühlt, Punkte auf einer Checkliste abzuhaken“, weiß Haupt. Sie und ihre Kollegen geben dabei nur Empfehlungen, die Umsetzung bleibt dem Forscher selbst überlassen. Ihnen ist wichtig, die Wissenschaftler stets respektvoll zu behandeln und sie in den Prozess einzubinden. Gleichzeitig muss ihnen nach und nach verdeutlicht werden, wie wichtig Softwareentwicklung für ihre Arbeit ist. „Es ist wie ein Kind zu überreden, sein Gemüse zu essen“, sagt Haupt mit einem Augenzwinkern. Lachen im Publikum.
Neben den Guidelines bietet die Gruppe seit mehreren Jahren regelmäßige Trainings und Workshops an. Außerdem haben Sie innerhalb des DLR das Software Engineering Network aufgebaut. Im Netzwerk gibt es einen Ansprechpartner für jedes Institut, für deren Arbeit Softwareentwicklung relevant ist. Schlauch ist SE-Beauftragter des DLR und damit sozusagen ‚Vorsitzender‘ des Netzwerkes. Über das Netzwerk werden Ideen gesammelt und ausgetauscht, Workshops angekündigt und Probleme gemeinsam besprochen. Die Plattform bietet großes Potential, benötigt aber verlässliche Ansprechpartner und eine grundlegende Sensibilität für das Thema. Das zeigt sich auch beim RSE-Workshop: Hier wirft ein ehemaliger Doktorand ein, in seinen sechs Jahren beim DLR habe er nie von SE-Aktivitäten innerhalb des DLR gehört. „Ja, das kommt leider immer noch vor“, gesteht Haupt.
Deutscher Verein de-RSE: Gründungsmitglieder gesucht!
Daher ist es wichtig, das Bewusstsein für das Thema RSE zu stärken. „Deswegen sind wir heute hier“, meint Haupt. Und um Erfahrungen auszutauschen, zum Beispiel mit David Klein. Er kümmert sich beim Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung um RSE. Seine Gruppe gründete sich im Jahr 2011, als es den Begriff noch gar nicht gab. Deswegen heißt sie bis heute „Model Operations“. Klein und seine vier Mitarbeiter verfolgen die gleichen Ziele wie Schlauch, Meinel und Haupt im DLR und Richmond in Sheffield – und stoßen dabei auf die gleichen Schwierigkeiten. Daher ist Klein begeistert von dem Workshop: „Es ist so cool, dass wir uns hier treffen und merken, dass wir ähnliche Probleme haben!“
Während Großbritannien Vorreiter auf dem Gebiet RSE ist, rückte das Thema in Deutschland erst in den vergangenen Jahren in den Fokus der Wissenschaft. Erste Initiativen von Forschungseinrichtungen starteten 2016. Im folgenden Jahr besuchten Haupt und Schlauch zum ersten Mal die damals zweite RSE-Konferenz in Manchester. Beeindruckt von der Veranstaltung beschlossen sie, wie ein Jahr zuvor bereits andere deutsche Teilnehmer, sich direkt der Community anzuschließen. Diese starteten direkt nach der RSE16 das Projekt de-RSE. Zunächst wurde eine Homepage eigerichtet, eine Mailingliste, ein Slack-Kanal. Das Projekt lädt alle Interessenten zum Mitmachen ein: Im Frühjahr 2019 soll de-RSE ein offizieller Verein werden, die Satzung kann aktuell in einem Google Doc bearbeitet werden. „Man kann auch noch Gründungsmitglied werden!“, wirbt Schlauch. Er und Haupt haben noch mehr vor: Im Sommer 2019 organisiert de-RSE eine eigene Konferenz in Deutschland. Der Workshop auf der FrOSCon ist dafür gewissermaßen eine kleine Testversion. Dabei wollten sie einschätzen, wie hoch das generelle Interesse für das Thema ist und den Begriff RSE in Deutschland schon einmal etwas bekannter machen.
Workshop wird gut angenommen
Und die Resonanz ist positiv, auch wenn im Verlauf des Nachmittags die Teilnehmerzahlen leicht zurückgehen. Klein beschreibt seine Arbeit am PIK, anschließend stellen die DLR-Mitarbeiter Brigitte Boden und Robert Mischke die verteilte Integrationsumgebung RCE vor. Die letzte Stunde ist für das sogenannte „Town Hall Meeting“ reserviert, ein offener Dialog zwischen Vortragenden und Zuhörern. Das Format kommt gut an, lange wird über diverse Probleme der RSEs gesprochen: Finanzierung, Veröffentlichung, rechtliche Bedingungen. Es gibt viele Baustellen, doch Meinel berichtet von positiven Ergebnissen: Häufig werden Workflows von Wissenschaftlern übernommen und auf andere Projekte übertragen. Das ist das endgültige Ziel eines RSEs, entgegnet Richmond: „Dass wir nicht mehr gebraucht werden.“
Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine aktive Community und Akzeptanz in der Wissenschaft. Der RSE-Workshop auf der FrOSCon war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Besonders, wenn betroffene Zuhörer dabei zu der Erkenntnis gelangen: „Ich bin ein RSE!“