Das Thema Gleichberechtigung im Berufsleben ist ein aktuelles und wichtiges Thema. Besonders im Fachbereich der Informatik gelten Frauen (noch) oft als Seltenheit. Dabei waren es Frauen, die maßgeblich die Softwareentwicklung geprägt haben – Was ist passiert?
Wo früher noch die Frauen maßgeblich an der Entwicklung beteiligt waren, liegt heute der Anteil an Frauen mit circa 19 Prozent in informationstechnischen Berufen in Deutschland weit unter dem der Männer. Vielen Frauen wird der Zugang zur Informatik durch sozialisationsbedingte, gesellschaftliche, kulturelle und strukturelle Hindernisse erschwert. Fehlende Berührungspunkte mit der Informatik als Heranwachsende verhindern, mögliche Interessen zu entwickeln oder auszubauen.
In der Abteilung für Intelligente und Verteilte Systeme herrscht hingegen eine im Vergleich zum freien Arbeitsmarkt hohe Frauenquote von circa fünfzig Prozent. Um herauszufinden, welche Determinanten die Berufswahl von Frauen im Bereich IT beeinflussen, interviewte ich fünf Frauen aus der Softwarebranche. Ist der Berufsweg von Frauen aufgrund eines impliziten Gender Bias tatsächlich bereits vorprogrammiert?
Der Gender Bias beschreibt versteckte Vorurteile, Einstellungen und Handlungen einer Person gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Diese beruhen auf dem umgangssprachlichen „Schubladendenken“ der Menschen, um die enorme Menge an Reizen, die den Individuen tagtäglich begegnen, effizient und schnell zu verarbeiten und Menschen in Kategorien einteilen.
Vorbilder in der Kindheit
Um die Forschungsfrage zu überprüfen, führte ich Interviews mit Frauen aus der Abteilung durch. Die Inhalte der Interviews bestätigen meine Theorien, dass vielen Frauen der Zugang zur Informatik durch sozialisationsbedingte, gesellschaftliche, kulturelle und strukturelle Hindernisse beeinträchtigt wird. Fehlende Berührungspunkte in Bereichen der Informatik erschweren es, mögliche Interessen zu entwickeln oder auszubauen. Die interviewten Frauen betonten und bestätigten die Theorien, dass maßgeblich die Erziehung und Sozialisation zur Interessenbildung von Kindern beiträgt. So bestimmt die Sozialisation nicht nur wesentlich über Normen und Werte der Akteure, sondern beeinflusst auch Interessenbildung und Förderung. Die so entstehende Kultur prägt und fördert das Verständnis von bestimmten Rollenbildern und Rollenzuschreibungen. Daraus ergeben sich Stereotype, Vorurteile und kognitive Verzerrungen, die zu Sexismus, Diskriminierung und Ungleichbehandlung sowie der unbewussten Bewertung von Individuen führen. Aus diesem Grund liegt der Ursprung der Determinanten des impliziten Gender Bias im Berufsfeld der Informatik bereits im Kindesalter. Bei den Akteuren dieser Erhebung sind die ersten Berührungspunkte in der Kindheit zu verzeichnen. Anschließend hat sich persönliches und natürliches Interesse entwickelt. Auffällig ist, dass (beinahe) alle Frauen berichten, durch männliche Bezugspersonen an den Computer herangeführt worden zu sein. Die Akteurinnen verfügten in ihrer Kindheit nicht über ein weibliches Vorbild, das als richtungsweisende Identifikationsperson im informationstechnischen Bereich fungierte. Stattdessen wurde das Interesse an der IT durch ein männliches Vorbild geprägt. Sei es der Vater, der Bruder oder der Lehrer einer Schule. Erst in der Pubertät kamen viele der Befragten (kurz) vom informationstechnischen Weg ab und beschäftigten sich mehr mit anderen Themen, die stereotyp eher als „weiblich“ und „feminin“ angesehen werden, wie beispielsweise Design oder sozialwissenschaftliche Themen. Medien haben zusätzlich dazu beigetragen, Informatikberufe zu stereotypisieren und ein bestimmtes Bild hervorzuheben. Die befragten Informatikerinnen berichteten ebenfalls von einem bestimmten Klischee „des typischen Informatikers und der typischen Informatikerin“. Dies betrifft sowohl das Verhalten, als auch den visuellen Aspekt des Kleidens und Auftretens. Dieses Bild wiederum ist sehr resistent gegen Veränderungen und konnotiert die Informatik als ein männliches Umfeld, welches in Wechselwirkung mit den tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt steht.
Stereotype im Alltag
In der Pubertät vergleichen sich Jugendliche mit Akteuren der gleichen Gruppe, aber auch mit einzelnen Individuen, sowie mit gesellschaftlichen Strukturen und Systemen. Während dieser Zeit verfestigt sich der implizite Gender Bias, der bei den Akteuren dazu führt, sich eher gesellschaftskonform zu verhalten. Auch wenn Mädchen und Frauen Interesse für Informatik hegen, fühlen sich einige durch diese strukturellen und kulturellen Hindernisse abgeschreckt oder abgehalten, eine berufliche Laufbahn in einem von Männern dominierten Bereich zu beginnen. Hinzu kommt ein vergleichsweise schlechtes Image der IT, mit denen viele junge Frauen nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Der externe Effekt äußert sich durch geringe Frauenquoten in IT-Studiengängen. Verfolgen die Frauen dennoch das Ziel, einen Beruf in der IT-Branche auszuüben, begegnen ihnen oft die Auswirkungen externer Effekte des impliziten Gender Bias. Diese äußern sich konkret im Verhalten ihrer Mitmenschen, sind unabhängig vom Geschlecht und treten unbewusst auf. Oft sind sich die Individuen den Auswirkungen nicht bewusst. Implizite Verzerrungen beschränken sich nicht nur auf die Beurteilung und die Bewertung anderer, vor allem werden sie in alltäglichen Mikroverhaltensweisen sichtbar und reproduziert. Bei impliziten geschlechtsspezifischen Verzerrungen bestehen beispielsweise die Annahmen, dass ein Ingenieur oder ein Informatiker ein Mann ist und keine Frau. Der implizite Gender Bias tritt auf, wenn eine Kollegin von ihren männlichen Kollegen bei einem Meeting unterbrochen wird, ohne dass sie es überhaupt merkt. Und der Bias besteht darin, Spielzeug in einem Geschäft nach Geschlecht zu trennen, da angenommen wird, dass Mädchen gerne mit Puppen spielen und Jungen gerne Legos bauen.
Folgen des impliziten Gender Bias
Indem implizite Verzerrungen unser Verhalten beeinflussen, übertragen wir diese Verzerrungen effektiv auf andere – so übernehmen auch Kinder schnell Vorurteile und Stereotype. Dementsprechend haben beispielsweise eine Vielzahl von Aussagen der befragten Frauen die Schlussfolgerung gestützt, dass die Tendenz von Mädchen, sich schwächer mit der Mathematik zu identifizieren, auf kulturell vermittelte Botschaften zurückzuführen ist, welche MINT-Fächer eher mit Jungen als mit Mädchen verbinden. Diese geschlechtsstereotypischen Botschaften haben zur Folge, dass das Interesse an zukünftigen akademischen Studiengängen und mathematisch orientierten Berufen abnimmt, da diese Bereiche als unvereinbar mit den Selbstverständnissen der Mädchen wahrgenommen werden. Dieses Bild wiederum ist sehr resistent gegen Veränderungen und konnotiert die Informatik als ein männliches Umfeld, welches in Wechselwirkung mit den tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt steht. Das unveränderliche Bild des „typischen Informatikers“ führt zu einer geringen Partizipation von Frauen in der IT, wodurch ungenügend Rollenvorbilder für junge Frauen und Mädchen vorhanden sind und damit eine geringe Frauenquote im Studium einhergeht, was wiederrum dazu führt, dass auch der Anteil von Frauen in der IT nicht steigen kann.
Was müssen wir also tun?
Wir müssen auf die aktuelle Situation aufmerksam machen und ein Umdenken veralteter Stereotype fördern. Es müssen sich nicht nur Frauen, sondern auch Männer emanzipieren, auch „weibliche“ Eigenschaften ausleben zu können. Wir können bei uns anfangen, unsere Kinder nicht in bestimmte Rollenbilder drängen, Gleichberechtigung fördern und ein Bewusstsein für sein eigenes Handeln schaffen. Gesellschaft, Kultur und Sozialisation sind treibende Kräfte, die den Lebensweg vieler Mädchen vorprogrammieren können.
Die Frauen unserer Abteilung (und unser hoher Frauenanteil insgesamt) sorgen dafür, das allgemeine Bild der „typischen Informatikerin“ transparenter zu machen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Um anderen Mädchen Mut zu machen, ihren Interessen nachzugehen und zu fördern – für mehr Frauen in der IT!