1998 wurde die Simulations- und Softwaretechnik (SC) vom Vorstand des DLR ins Leben gerufen. Zunächst noch als Projekt angelegt, zeigte sich bald der Bedarf innerhalb des DLR für dauerhafte Expertise in der Softwareentwicklung. In den darauffolgenden Jahren gewann SC einen immer festeren Stand innerhalb des DLR und wurde zum Ansprechpartner für Qualitätssicherung von Software sowie zum Entwickler für Softwarelösungen mit spezifischen Anforderungen diverser DLR-Institute. Der DLR-Senat bestätigte 2007 die Simulations- und Softwaretechnik offiziell als wissenschaftlich-technische Einrichtung entsprechend der wachsenden Bedeutung von Softwaretechnologien für weite Bereiche der Forschung. Ende des Jahres 2019 erfolgte die Umwandlung zu einem eigenständigen Institut, und seit März 2020 firmiert das Institut unter dem neuen Namen „Institut für Softwaretechnologie“.
Der Weg aus dem Projekt zum Institut
Seit den frühen Zeiten der Simulations- und Softwaretechnik der 1990er Jahre hat sich vieles verändert: Was als Projekt begann mit kleiner Besetzung, ist nun zu einem Institut mit stattlicher Zahl von Mitarbeitenden gewachsen, und auch die Schwerpunkte der Forschung haben sich verlagert. Zu Beginn stellte sich SC noch auf zwei Standbeine – einmal war es die Qualitätssicherung von DLR-Softwareentwicklungen, zum anderen die Kopplung der verteilt ablaufenden Ingenieursanwendungen zu komplexen Prozessketten.
Seit 2016 besteht das heutige Institut für Softwaretechnologie aus drei Abteilungen: Intelligente und verteilte Systeme (IVS), Software für Raumfahrtsysteme und interaktive Visualisierungen (SRV) und High-Performance Computing (HPC). Heute kann der Institutsleiter Rolf Hempel stolz über nahezu 80 Projekte berichten, die diese drei Abteilungen bei SC zusammen stemmen. Seit bald 20 Jahren hält er die Leitungsposition bei SC inne und entwickelt zusammen mit seinem Team mit Erfolg innovative Softwaretechnologie für das DLR. SC sieht sich als starken Partner innerhalb des DLR und betreibt mit den meisten der 51 DLR-Institute und -Einrichtungen gemeinsame Projekte – eine große Leistung der Vernetzung, der Kommunikation und des Wissensaustausches im DLR.
Innovationsschub durch den Schiffbau
Die Erfolgsgeschichte von SC bekam einen wichtigen Impuls etwas überraschend abseits der Luft- und Raumfahrt, nämlich aus dem Schiffbau. In einem großen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt entwickelte SC in den Jahren 2005 bis 2008 das Softwaretool „SESIS“, ein schiffbauliches Entwurfs- und Simulationssystem als integrierte und flexibel einsetzbare Arbeitsumgebung für den frühen Entwurf. Das Tool ermöglichte eine zuverlässige Einschätzung der technischen und finanziellen Aspekte eines Großprojektes noch vor Baubeginn, da alle Phasen des Schiffbaus simuliert werden konnten. SC entwickelte in diesem Projekt die Softwareplattform RCE (Remote Component Environment) für die verteilte Simulation. Die Plattform erlaubt die Konstruktion und automatische Ausführung kompletter Workflows bestehend aus Simulationsanwendungen, Pre- und Postprocessing sowie Visualisierung. RCE beinhaltet ein fortschrittliches Datenmanagement auf der Grundlage offener Standards und unterstützt kooperatives Arbeiten über Standortgrenzen hinweg.
RCE wird auch heute noch weiterentwickelt und stellt eines der erfolgreichsten Open-Source-Produkte SCs da. Es wird sowohl von internen als auch externen Instituten genutzt. Innerhalb des DLR unterstützt es die Forschung unter anderem an dem Institut für Lufttransportsysteme, dem Institut für Physik der Atmosphäre, dem Institut für Verbrennungstechnik und dem Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik.
Kooperationen quer durch das DLR und darüber hinaus
Seit mehreren Jahren weitet SC Kooperationen auf viele neue Bereiche aus – in der Robotik, im Raumflugbetrieb, aber auch im Bereich Verkehr und Energie wird Software von SC eingesetzt. Zusammen mit dem DLR-Institut für Robotik und Mechatronik entwickelt SC Softwaretools, um Reparaturen an Satelliten im Weltall ferngesteuert durchzuführen. Neben der Grundlagenforschung im Quantencomputing untersucht SC in Zusammenarbeit mit dem Institut für Technische Thermodynamik Einsatzmöglichkeiten von Quantencomputern in der Batterietechnik, wo große Fortschritte für die e-Mobilität erwartet werden. Auch an weiteren Anwendungsfällen des Quantencomputings wird geforscht, so zum Beispiel an der Optimierung von Flugrouten und Flughafenlogistik. Seit vielen Jahren findet SC-Software auch in der medizinischen Forschung im DLR Anwendung. Die Software GAP (Group Assessment of Perfomance and Behaviour) unterstützt die Mitarbeitenden am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in der Eignungsdiagnostik von Pilotenbewerberinnen und -bewerbern.
Generell kommen die von SC entwickelten Softwaretechnologien nicht nur innerhalb des DLR zum Tragen. So hat SC zum Beispiel im HIFIS-Projekt die Aufgabe übernommen, seine im DLR erfolgreich etablierten Methoden und Prozesse des Software-Engineerings auch bei den übrigen Helmholtz-Forschungseinrichtungen bedarfsgerecht einzuführen, um auch dort die Qualität und Effizienz der Softwareentwicklung zu verbessern.
Der wissenschaftliche Horizont weitet sich durch Kooperationen
Die Mitarbeitenden von SC kommen aus unterschiedlichen Studienrichtungen: der Physik, der Mathematik, und der Informatik, sogar Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaften. Sie arbeiten alle bei SC an der vordersten Front der Entwicklung von innovativen Softwaretechnologien. Durch die vielfältigen Kooperationen aus allen Forschungsgebieten des DLR bildet sich ein bereichernder wissenschaftlicher Austausch: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liefern ihre Expertise der Mathematik, der Physik, der Data Science und des Software-Engineering und lernen durch die vielfältigen Anwendungsfälle Neues unter anderem aus Medizin, Energie, Robotik, Digitalisierung, Verkehr, Flugzeugbau und Raumfahrtmissionen. Dies wiederum bereichert die eigene Forschung und verdeutlicht die Einsatzmöglichkeiten von Softwaretechnologien.
Einsatz des Know-hows zum Nutzen der Gesellschaft im Fall COVID-19
Dass das geballte Wissen und Können im Bereich von Analyse, Simulation, Modellierung und Visualisierung keineswegs nur für die Raumfahrt einsetzbar ist, zeigte sich während der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020. Zentraler Forschungsgegenstand bei SC ist die parallele Verarbeitung großer Simulations- und Messdaten und Visualisierung dieser, teilweise auch in Echtzeit. So geht es zum Beispiel im Projekt VESTEC darum, Methoden für das Krisenmanagement zu bieten, zum Beispiel in der Bekämpfung von Waldbränden oder in der Analyse der Verbreitung von Malaria über Mücken. Der italienische Projektpartner des VESTEC-Projekts konnte mithilfe ihrer Methodenforschung die italienische Regierung in der Analyse der Corona-Pandemie unterstützen.
Die Anwendbarkeit der Ansätze zeigte sich auch in anderen Bereichen von SC, als sich mehrere Initiativen gebildet haben, um die Expertise in Simulationen und High-Performance Computing einzubringen und die Rechenkapazitäten des DLR für einen gesellschaftlich besonders relevanten Zweck zu nutzen. So arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes zum Beispiel aktuell daran, die Wirkung von Eindämmungsmaßnahmen durch realitätsnahe Computermodelle zu beschreiben. Unter Einsatz von High-Performance-Computern ermöglichen diese, den Einfluss einer Vielzahl von Modellparametern detailliert vorherzusagen.
Digitalisierung: Hardware weicht der Software – unsichtbar und doch überall
Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass die Bedeutung von Software für die Missionen des DLR rasant angestiegen ist. Lösungen, die noch vor zehn Jahren als Hardware umgesetzt worden sind, werden zunehmend von digitaler Steuerung und Software ersetzt. Die wachsende Zahl der Mitarbeitenden im Institut für Softwaretechnologie, sowie die Vielzahl der Kooperationsprojekte zeugen davon, dass Software einen Stellenwert in der Forschung und Praxis von Luft- und Raumfahrt erreicht hat, der nicht mehr wegzudenken ist.
Darin besteht der Kern der Aufgabe des Instituts für Softwaretechnologie – durch eigene Forschung sowie im Verbund mit den Projektpartnern arbeiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Softwarelösungen der Zukunft. Informationssysteme, die auf Software basieren, sind neben Industrie und Forschung auch überall in Anwendungen unseres alltäglichen Umfelds verbreitet. Die immer komplexer werdende Softwarelandschaft bedarf neuer Technologien, damit die Systeme beherrschbar bleiben und Fehlerzustände mit schwerwiegenden Folgen vermieden werden. SC leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Spitzenforschung der Zukunft.
Die entwickelten Programmiertechniken dienen nicht nur internen DLR-Partnern – über 90% der Produkte von SC sind Open-Source-Software und können somit auch außerhalb des DLR ohne Einschränkungen eingesetzt werden. Zahlreiche Nutzer weltweit bestätigen die Qualität der SC-Entwicklungen.