Hochaufgelöste Simulation der COVID19-Ausbreitung dank High-Performance Computing
Die Corona-Pandemie stellt nicht nur jeden einzelnen Menschen vor viele Fragen. Auch die Politik muss Entscheidungen über sinnvolle und vertretbare Gegenmaßnahmen und Eindämmungsversuche treffen. Für politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden fundierte Informationen aus Bereichen der Virologie und Epidemiologie benötigt. Darüber hinaus kann aber auch die Expertise in den Bereichen der Mathematik und Informatik, speziell der numerischen Simulation einen wichtigen Beitrag leisten.
Das Institut für Softwaretechnologie entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-zentrum für Infektionsforschung ein umfassendes Softwarepaket, welches das COVID19-Infektionsgeschehen per Simulation darstellt. Neben einer hochaufgelösten Modellierung der Infektionsausbreitung steht im Mittelpunkt die Wirkung der Gegenmaßnahmen zu bewerten. Teil des Softwarepaktes ist ein Online-Tool, welches der Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt wird. Das Tool soll zum einen der Politik dienen, um sich bei Entscheidungen zu weiteren Maßnahmen auf fundierten wissenschaftlichen Daten und Hochrechnungen zu stützen. Zum anderen soll das intuitive User-Interface helfen, den Verlauf der Infektionsketten auch der Bevölkerung erkennbar zu machen.
Relevanz von mathematischer Modellierung bei Pandemien
Die Komplexität der Pandemiesimulation steigt, je höher aufgelöst das Infektionsgeschehen verfolgt werden soll. Ein komplexes Modell ist notwendig, um verlässliche Prognosen und Auswertungen erstellen zu können. Wie in der kürzeren Vergangenheit geschehen, kommt es immer wieder zu lokalen Ausbrüchen der Krankheit. Diese sollen im besten Fall vorhergesagt und eingegrenzt werden.
Mit steigender Komplexität sind konventionelle Rechner schnell überfordert, und die Rechenkraft von Hochleistungsrechnern wird benötigt. High-Performance Computing erlaubt, eine Vielzahl geografischer, demografischer und zeitlicher Faktoren im Modell zu berücksichtigen.
Hochaufgelöste Modellierung der Infektionsketten
Zusammen mit der Abteilung System Immunologie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung arbeitet das Institut für Softwaretechnologie an einer räumlich und demografisch hochaufgelösten Simulation der Corona-Pandemie für Deutschland. Auf Stadt- und Landkreisebene fließen mehrere Faktoren in die Simulation ein, um so unter anderem eine Bewertung der Gegenmaßnahmen auf kleinster lokaler Ebene zu ermöglichen. Die Simulation und die daraus resultierenden Prognosen können ebenfalls auf bundesweiter Ebene abgebildet werden.
Zur Modellierung der Infektionsketten werden sowohl differentialgleichungsbasierte als auch agentenbasierte Modelle herangezogen. Dabei werden in der Modellierung des Krankheitsverlaufes Zustände wie „Infiziert“, „Trägerstatus“, „Hospitalisierung“, „Gesund“ oder „Immun“ definiert. Die möglichst altersgerechte Parameterschätzung in eben jene Zustände zu fallen, basiert auf großen Datenmengen verschiedener Quellen.
Darüber hinaus beachtet die Simulation geografische Heterogenität. Neben der Modellierung eines Infektionsgeschehens auf Stadt- oder Landkreisebene fließt eine realistische Mobilität zwischen verschiedenen Regionen in die Simulation ein. So kann zum Beispiel der Einfluss von Pendlerverkehr untersucht werden. Die geografische Ausbreitung nach lokalen „Superspreading-Events“ wird ebenfalls analysiert und soll möglichst frühzeitig erkannt werden, um neue Infektionsketten zu verhindern.
Hinweise auf SARS-CoV-2-Mutationen über die lokalen Reproduktionszahlen
Seit Ende des Jahres 2020 sind Mutationen des SARS-CoV-2 bekannt, die eine deutlich höhere Infektiosität aufweisen als andere bislang erkannte Virusvarianten. Eine Untersuchung des Reproduktionswertes auf Stadt- und Landkreisebene bekommt durch das Auftreten der neuen Virusvarianten mit deutlich erhöhter Übertragbarkeit eine neue Bedeutung, denn eine auffällig erhöhte lokale Reproduktionszahl könnte auf einen Einfluss dieser Virusvariante hindeuten. Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Menschen unter den aktuellen Maßnahmen von einer infektiösen Person durchschnittlich angesteckt werden. Die Reproduktionszahl der neuen Variante B.1.1.7 ist nach Untersuchungen des Imperial College London deutlich höher als bei der bislang vorherrschenden SARS-CoV-2-Virusvariante und sie kann daher zu einer beschleunigten lokalen Ausbreitung führen.
Im Januar 2021 wurde im Rahmen des HPC against Corona-Projekts eine online-Visualisierung veröffentlicht, die die aktuelle Reproduktionszahl in den einzelnen Landkreisen anzeigt: https://hpcvscorona.dlr.de/
Die Visualisierung basiert auf den dem Robert Koch-Institut gemeldeten Fällen und zeigt die ausgewerteten Daten jeweils bis zwei Tage vor dem aktuellen Datum an.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Ein proaktiver Ansatz zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 in Deutschland und Europa wurde mit der „NoCovid“-Öffnungsstrategie im Frühjahr 2021 vorgeschlagen (Link: https://nocovid-europe.eu/). Dabei werden regionale Lockdowns so lange in roten Zonen umgesetzt, bis die Inzidenz unter 10 Fällen pro Woche pro 100.000 Einwohner liegt, und die Zone somit grün angezeigt wird. Lokale Maßnahmen werden schnell wieder eingeführt, wenn die Infektionstätigkeit zunimmt. Bisher wurde die Machbarkeit und Effektivität der Strategie in Bezug auf Pendlertests und die Intensität der lokalen Lockdowns noch nicht numerisch untersucht.
Zusammen mit dem HZI erforscht das DLR die Quantifizierung der notwendigen Testfrequenz, der erforderlichen Stärke der lokalen Lockdowns und den Zeitrahmen, der für die Umsetzung der Intervention zur Verfügung steht, um die Ausbreitung des Virus in benachbarte Regionen zu verhindern. Die Untersuchung der NoCovid-Strategie mithilfe des Online-Simulationstools ist detailliert beschrieben im Forschungspaper sowie in der Pressemeldung der Projektpartner (Mai 2021).
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