Team: Mathematisch-physikalische Prinzipien

Die satellitengestützte Fernerkundung stellt ein wichtiges Werkzeug der Atmosphären-, Klima- und Umweltforschung dar. Sie vermittelt den globalen Blick, der zusammen mit regionalen Messungen, z.B. an Bodenstationen, das Gesamtbild ergibt. Typische Produkte der atmosphärischen Fernerkundung sind Aussagen zur Zusammensetzung und zu den Eigenschaften der Atmosphäre. Dabei besteht die Ableitung geophysikalischer Größen aus atmosphärischen Fernerkundungs-Messdaten im Wesentlichen aus zwei Teilproblemen. Sie beziehen sich auf den grundlegenden, den Strahlungstransport in der Atmosphäre bestimmenden funktionalen Zusammenhang zwischen den thermodynamischen Eigenschaften des Mediums (Temperatur, Druck, Dichte und Zusammensetzung etc.) und den spektralen optischen Eigenschaften (Absorption, Streuung etc.) der beteiligten Spezies (Moleküle, Aerosole, etc.):

  • Vorwärtsproblem: effiziente und genaue Modellierung des Strahlungstransfers und der Streuung in der Atmosphäre: Das Ziel ist hier, aus gegebenen Atmosphäreneigenschaften auf das Absorptions- oder Emissionsspektrum zu schließen
  • Inverses Problem: numerisch stabile Verfahren zur Schätzung der gesuchten geophysikalischen Größen aus den gemessenen Spektren

Bei der Vorwärtsmodellierung werden die Anforderungen an das Strahlungstransfermodell weitgehend von den Messbedingungen, also insbesondere Spektralbereich, Messgeometrie, Sensortyp usw. bestimmt. Die Modellierung eines Spektrums in der Vorwärtsrechnung kann immer nur als Näherung aufgefasst werden, da z.B. zur Optimierung der Rechenzeit manche physikalischen Effekte nur vereinfacht beschrieben werden können. Die wesentliche Herausforderung im ultravioletten und sichtbaren Spektralbereich (UV/VIS) liegt vor allem in der Modellierung von Mehrfachstreuung als Strahlungsquelle. Für spektral hochauflösende Instrumente im Mikrowellen- und Infrarot-Spektralbereich sind dagegen in der Regel sogenannte Line-by-Line (LbL) Strahlungstransportmodelle unabdingbar. Hier kann man zwar Streuung meist vernachlässigen, schränkt jedoch dadurch die Anwendbarkeit des Vorwärtsmodells auf nahezu wolken- und aerosolfreie Atmosphären ein. Neben der Modellierung des eigentlichen atmosphärischen Strahlungstransports muss das Vorwärtsmodell auch in der Lage sein, Modifikationen des Spektrums durch das Instrument zu berücksichtigen, insbesondere den spektralen und räumlichen Einfluss des Sensors. Darüber hinaus wird eine möglichst gute Kenntnis spektroskopischer Molekül- und Aerosoldaten vorausgesetzt.

Die Inversion bzw. das Retrieval, also die Ermittlung der gesuchten atmosphärischen Parameter aus den Fernerkundungsmessdaten, erfolgt meist mit numerischen Optimierungsverfahren. In der Praxis geschieht das durch Vergleich der Messdaten mit den von einem geeigneten Modell des Messprozesses (Vorwärtsmodell) und einem geschätzten Parameter-Satz simulierter Daten. Da das Spektrum in der Regel in nichtlinearer Weise von den gesuchten Zustandsgrößen abhängt, erfordert die Auswertung meist iterative Ausgleichsverfahren (Least-Squares). Ausgehend von einem angenommenen Atmosphärenzustandsvektor wird durch die Vorwärtsrechnung ein Spektrum simuliert und mit dem gemessenen Spektrum verglichen. Nach geeigneter Anpassung des Zustandsvektors wird dies so lange wiederholt, bis das simulierte und gemessene Spektrum hinreichend genau übereinstimmen. Vor allem im UV/VIS haben sich zudem differentielle Methoden ohne Vorwärtsmodellierung (DOAS – Differential Optical Absorption Spectroscopy) etabliert. In neuerer Zeit kommen außerdem Neuronale Netze zum Einsatz, wie beispielsweise bei der GOME-Prozessierung. Die meisten Inversionsalgorithmen müssen mit einer Vielzahl von Parametern versehen werden. Neben der Selektion der Messdaten (gegebenenfalls auch der Auswahl geeigneter spektraler Micro-Windows) und der Festlegung der abzuleitenden Größen beinhaltet dies sowohl die Bereitstellung zusätzlicher Parameter für das Inversionsprogramm und das Strahlungstransport-Programm. Letztlich beginnt der Prozess jedoch bereits beim Design des Inversions-Algorithmus, z.B. bei der Auswahl mathematischer Routinen.

Jede exakte Behandlung des Strahlungstransfers muss die Streuung der elektromagnetischen Strahlung an Molekülen und Aerosolteilchen in der Atmosphäre berücksichtigen. Physikalisch betrachtet, handelt es sich dabei um die Wechselwirkung einer ebenen elektromagnetischen Welle mit einer dreidimensionalen Struktur, die durch ihre Geometrie sowie ihre dielektrischen Eigenschaften charakterisiert ist. Die theoretische Beschreibung dieses Prozesses muss einen Zusammenhang zwischen den Freiheitsgraden der Welle vor und nach der Wechselwirkung herstellen, sodass sich daraus streurelevante Messgrössen ableiten lassen. In der Fernerkundung der Erdatmosphäre gewinnt die Streuung elektromagnetischer Wellen an nichtsphärischen Teilchen zunehmend an Bedeutung. Die Modellierung dieses Problems ist deutlich komplexer als im Fall von sphärischen Streupartikeln im Rahmen der Mie-Theorie. Das betrifft sowohl den rechentechnischen Aufwand als auch das wesentlich komplexere Konvergenzverhalten der zur Verfügung stehenden Verfahren. Streudatenbanken nichtsphärischer Teilchen mit definierter Genauigkeit können hier Abhilfe schaffen, da sie den "fernerkundlichen" Anwender vom rechentechnischen Aufwand als auch von der Beurteilung der zugrundeliegenden Streumodelle entlasten.