DLR Magazin 149 - page 26-27

MARITIME SICHERHEIT
DLRma
G
azin
149
27
26
DLRma
G
azin
149
MARITIME SICHERHEIT
Jede Menge Szenarien haben die Wissenschaftler des DLR für ihre
Messungen an diesem Mittwoch vorgesehen. Mal sollen die beiden
Schiffe möglichst nah parallel zueinander fahren, mal voreinander
kreuzen oder auch in großer Entfernung senden und empfangen.
Bisher hat noch niemand untersucht, wie sich Schiffskörper, raue See
oder auch die Rotoren eines Windparks auf die Signalausbreitung im
Breitband auswirken. Bei der üblichen Kommunikation zwischen
Schiffen über Sprechfunk wird halt nur eines übertragen: die Stimme.
Die Übertragung von hohen Datenmengen ist im maritimen Bereich
nicht möglich – es sei denn, die kostenaufwändige Kommunikation
über Satelliten kommt ins Spiel.
Mit neuen Erkenntnissen über den Übertragungskanal bei realistischen
Bedingungen auf See könnten in Zukunft Schiffe wie die „Marwede“
oder die „Neuwerk“ per Video erste medizinische Anweisungen senden,
schon bevor sie mit ihrem medizinischen Personal am Einsatzort selbst
ankommen. Auch Radarbilder zur Verkehrslage auf See könnten zwischen
Schiffen ausgetauscht werden. Die Messkampagne des Instituts für
Kommunikation und Navigation soll mit diesem Projekt im DLR-For-
schungsverbund Maritime Sicherheit dazu beitragen, dass ein Modell
entwickelt werden kann, das abbildet, wie das Signal bei der Übertra-
gung durch äußere Einflüsse verändert wird. Dann könnte die Industrie
später Sende- und Empfangsanlagen daran anpassen.
Von Wellental zu Wellental
Der zweite Vormann Thomas Müller blättert auf der „Marwede“ in den
Vorgaben der Forscher. Mit dem Finger fährt er die Wunschrouten ab
und diskutiert mit dem dritten Vormann, Norbert Sarnow. „Das fahren
wir besser in Nord-Süd-Richtung ab, damit wir nicht so sehr seitlich
schwanken.“ Am schwarzen, klobigen Telefonhörer der Steuerkonsole
ist jetzt der Kapitän der „Neuwerk“ zu hören. Die erste Formation, die
von den beiden Schiffen gefahren werden soll, steht fest: Die „Marwede“
fährt in das ruhige Gewässer zwischen Helgoland und der vorgelagerten
Düneninsel, die „Neuwerk“ nimmt den Weg um die Düneninsel herum.
Das Funksignal wird dabei von der Düneninsel abgeschattet. „Dann ist
das jetzt die erste Figur, die wir tanzen“, sagt Kapitän Dietmar Seidel
über Sprechfunk.
Es ist nicht der Tanz dieser ersten Figur, der dann einigen der DLR-
Forscher auf den Magen schlägt. Es ist die zweite Konstellation, bei der
die „Marwede“ das ruhigere Gewässer verlässt und einmal um die
Klippeninsel herumfährt. Für die Lange Anna – ein 48 Meter hohes
Stück Felsen im Nordwesten Helgolands und Wahrzeichen der Insel –
hat schnell niemand mehr ein Auge. „Alle jetzt mal wieder in die
Kommandobrücke rein“, ruft Rettungssanitäter Ulrich Wenzel. Der
Seenotrettungskreuzer springt wie ein störrischer Bulle durch die Wellen,
sackt ins Wellental ab und springt dann wieder in Richtung Himmel.
Wer jetzt noch vollkommen entspannt guckt, gehört mit großer Wahr-
scheinlichkeit zu den sieben Seenotrettern, die solche Fahrten zur Genüge
kennen.
Vergeblich arbeiten die Scheibenwischer gegen die Wassermassen. Die
„Neuwerk“ ist nur noch ein kleiner, verschwommener Punkt am Hori-
zont. Über Handy kommt die Nachricht: Auch dort schlägt die ruppige
Fahrt nicht nur Wissenschaftlern, sondern sogar auch einem neuen
Mannschaftsmitglied auf Gemüt und Magen. Die Messgeräte des DLR
hingegen laufen auf beiden Schiffen ohne Probleme. Gefunkt wird auf
einer Frequenz von fünf Gigahertz. Später, zurück im heimischen Labor,
wird die erste Sichtung der Messungen zeigen, dass alles so geklappt
hat, wie es die Wissenschaftler geplant hatten, und die Daten locker für
mehrere Doktorarbeiten reichen.
Zweite Runde durch die Nordsee
Kurz vor 13 Uhr ist dann der erste Durchlauf geschafft. Die „Neuwerk“
fährt in den Hafen, damit die Wissenschaftler in 26 Meter Höhe in den
Antennenmast des Schiffes klettern können, um dort eine Antenne
Das Team der „Marwede“ bespricht die unterschiedlichen Formationen, die es im
Zusammenspiel mit der „Neuwerk“ für die Messkampagne abfahren soll
Unübliches Terrain für die DLR-Messtechnik: Mit dem Kran geht es hoch hinaus auf
die Schiffsbrücke der „Neuwerk“.
Die „Marwede“ kämpft sich als mobile Sendestation durch die raue See
Ausrichtung und Position der Antenne müssen exakt bestimmt werden, um die
gewonnenen Daten im heimischen Labor analysieren zu können
Deutschlands lichtstärkster Leuchtturm wird zum Standort für die Signalübertragung
zwischen Schiff und Land. Hoch über Helgoland installieren die DLR-Wissenschaftler
ihre Antennen.
als seefest erwiesen hat oder sich erneut eine mehrstündige Schifffahrt
zutraut, geht dort gerade an Bord. Heute zählt auch die Fahrt zum
25 Kilometer weit entfernten Windpark zu den geplanten Szenarien.
Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie Teile des gesendeten Signals
an den Rotorblättern reflektiert werden und dann gestreut zum Schiff
gelangen.
Raus bis zum Windpark
Dass überhaupt gefahren wird, hat „Marwede“-Vormann Thomas Müller
erst am Morgen entschieden. „Gucken wir mal, wie das Wetter wird“,
hatte er am Vorabend abgewunken, als er zum Feierabend in der Messe
der „Marwede“ saß. Höhere Wellen und ein stärkerer Wind waren ange-
kündigt. „Wenn die Windstärke zu hoch ist, nehm‘ ich keinen mit an
Bord.“ Am Vormittag sollen sich die Wellen bis zu 3,5 Meter auftürmen
und erst am Nachmittag wieder auf drei Meter abschwächen. Immerhin
regnet es an diesem Donnerstag nicht. Alles aber noch im grünen Be-
reich, hat der Kapitän der „Marwede“ beschlossen. Die Messkampagne
kann also stattfinden.
Per Handy gibt Wei Wang das „Okay“ an Ronald Raulefs, der mit an
Bord der „Marwede“ ist. „Wir sind hier oben mit allem startklar.“ Die
Antennen sind stabil am Gitter der Außenplattform des Leuchtturms
von Helgoland befestigt, die Atomuhren in Sender und Empfänger arbei-
ten synchron, die Nordsee bietet die für die Messungen begehrten
Wellen. Auf dem Bildschirm des Empfängers sind die ersten Ausschläge
zu sehen, die sich aus dem dichten Balken mit dem Grundrauschen
abheben. Die „Marwede“ sendet, am Leuchtturm wird gelauscht. Die
Messungen werden bis in den Nachmittag hinein gehen und mit der
Fahrt zum Windpark und zurück enden.
Datenausbeute fürs heimische Labor
Die Aussichten für weitere Messungen am nächsten Tag sind schlecht.
Sturm ist angesagt, die „Marwede“ wird einsatzbereit für den Notfall im
Hafen bleiben. Das Equipment im Leuchtturm wird abgebaut und muss
wieder acht Etagen nach unten befördert werden. Erst am Samstag wer-
den die Wissenschaftler vom Hafen aus auf „Meereshöhe“ empfangen,
während der Seenotrettungskreuzer vor Helgoland seine Bahnen bis
hinter den Horizont von Helgoland zieht. Projektleiter Ronald Raulefs ist
trotzdem mehr als zufrieden. Das Team wird mit jeder Menge Daten
nach Oberpfaffenhofen ins Institut zurückkehren. „Und zwischendurch
einen Tag nur Land unter den Füßen zu haben, ist echt gut.“
auszutauschen. Statt der Einzelantenne soll im zweiten Teil ein Anten-
nen-Array mit 32 Antennenelementen die unterschiedlichen Richtun-
gen der Signalrefexionen getrennt erfassen. Die „Marwede“ fährt auf
Warteposition in ruhigere Gewässer zwischen den Inseln. Kurze Pause
vom Auf und Ab durch die Wellen – für das Gleichgewichtsorgan von
manchem ist das die notwendige Abwechslung, um die so schwanken-
de Welt wieder in den Griff zu bekommen. Dann beginnt das gleiche
Programm, inklusive der stürmischen Fahrt vor Helgoland und einer
„Neuwerk“, die sich nur 50 Meter entfert ihren Weg durch die Wellen
bahnt.
Als es dunkel wird, fahren die Schiffe in den ruhigen Hafen. Neben der
„Neuwerk“, die wie ein schwimmendes Hochhaus am Kai liegt, wirkt
die „Marwede“ auf einmal wie ein kleines Boot. Zum stürmischen
Wind hat sich nun noch Regen gesellt. Mit Akku-Lampen beleuchten
die Wissenschaftler die Wägelchen, die ihre Empfangsgeräte vom Kai
zum Leuchtturm auf der Felseninsel fahren. Nach der Kommunikation
von Schiff zu Schiff soll auch gemessen werden, wie die Kommunikation
vom Land zum Schiff durch die Umgebung beeinflusst und verändert
wird. Vom Dach des schwimmenden Hochhauses schwebt langsam ein
Metallkorb vollgepackt mit Messgeräten am Kran hinunter. Das spart
wenigstens den Transport über enge Treppenaufgänge von Deck zu
Deck. Im 35 Meter hohen Leuchtturm an Land sieht dies am nächsten
Tag anders aus.
Messen unter dem Leuchtfeuer
160 Stufen geht es im Turm nach oben. Acht Stockwerke, bis die Platt-
form unterhalb von Deutschlands lichtstärkstem Leuchtfeuer erreicht ist.
Auf den Fensterbänken im obersten Stockwerk liegen Brot, Aufschnitt
und Käse. Die Bordverpflegung vom vorherigen Tag hat bei der ruppigen
Seefahrt niemand gegessen, jetzt dient sie als Mahlzeit für die Mess-
kampagne an Land. Irgendjemand hat sogar daran gedacht, Kaffeepulver
mit auf den Leuchtturm zu nehmen. Das Team wird den ganzen Tag vom
Turm aus arbeiten, während die „Marwede“ als Sendeanlage ihre Routen
abfährt. „Das hier war das sperrigste Teil“, sagt Michael Walter und tippt
leicht vorwurfsvoll gegen den Metallrahmen, in dem mittlerweile Emp-
fänger, Recorder und Bildschirm eingebaut sind.
Eine Etage höher pfeift der Wind über die Außenplattform des Leucht-
turms. Christian Gentner und Markus Ulmschneider vermessen die exakte
Position der DLR-Antenne. Nur wenn die Wissenschaftler ganz genau
verorten, wo sich Empfänger und Sender befinden, kann der Übertra-
gungskanal zwischen beiden präzise analysiert werden. Unten im Hafen
liegt die „Marwede“ noch an der Mole. Wer sich am vergangenen Tag
1...,6-7,8-9,10-11,12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25 28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,...60
Powered by FlippingBook