eMIR – e-Maritime Integrated Reference Platform

Das in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik und dem Institut für Kommunikation und Navigation konzipierte und implementierte generische Testfeld eMIR (e-Maritime Integrated Reference Platform) dient seit 2014 der Erforschung und Entwicklung innovativer Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge zur Entwicklung, Verifikation und Validierung (V+V) von neuen maritimen Systemen.

Ähnlich wie auch in anderen Branchen (Automobil, Luftfahrt) werden zukünftig auch maritime Systeme einen zunehmend höheren Automatisierungsgrad aufweisen und die Systeme in die Lage versetzen, direkt auf Einflüsse aus ihrer physischen Umgebung, wie die aktuelle Verkehrssituation, zu reagieren. Dies stellt Entwicklungsabteilungen und Zertifizierungsstellen vor neue Herausforderungen. Es fehlt aktuell noch an Absicherungsverfahren, die während der Entwicklung solcher hochautomatisierten Systeme einen Nachweis über deren Funktionalität (Verifikation) und Praxistauglichkeit (Validierung) liefern und zur Zertifizierung geeignet sind. Solche Absicherungsverfahren sind jedoch zwingend notwendig, um Sicherheitsanforderungen einzuhalten und um das Vertrauen in solche Systeme zu fördern. Dementsprechend sind effiziente Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge zur V+V zu erforschen und bereitzustellen.

Forschungsboot im Testfeld in der Deutschen Bucht

eMIR bietet als international bekanntes maritimes Testfeld der Industrie, kleinen und mittleren Unternehmen sowie Forschungsinstituten die Möglichkeit, hochautomatisierte maritime Assistenzsysteme und Konzepte für autonome Schiffe zu erforschen und zu entwickeln. Diese können unter virtuellen wie realen Bedingungen in eMIR getestet werden. Funktionen, die bei der Entwicklung von automatisierten Systemen und Technologien entstehen, werden sukzessiv mittels des Testfelds erprobt. eMIR bietet bei der Erforschung und Entwicklung solcher Systeme und Technologien drei wesentliche Einsatzmöglichkeiten: Datensammlung und -analyse, Durchführung von Simulationen und physischen Experimenten sowie Erprobung und Demonstration. eMIR soll in Kooperation u. a. mit den DLR-Instituten Kommunikation und Navigation und Schutz maritimer Infrastrukturen für die Themen Sensordatenintegration, Plattformen, Datenaustausch und Erprobungsgebiete auf See weiter ausgebaut werden. Es soll darüber hinaus als Großforschungsinfrastruktur mit Diensten zur Hafensensorik, Kommunikationstechnik, hochgenauen Karten etc. ergänzt werden.

Datensammlung und -analyse

Es werden diverse Daten von Schiffsbewegungen und Umweltbedingungen gesammelt und im Rahmen einer Langzeitanalyse ausgewertet, um die Umwelt, für die ein neues System entwickelt werden soll, besser kennenzulernen und zu begreifen. Aus diesen Daten werden Schlüsse darüber gezogen, wie häufig und unter welchen Umständen bestimmte Situationen auftreten. Dabei werden grundlegende Verkehrsmuster untersucht, speziell im Hinblick auf menschliches Verhalten und die damit einhergehenden Mensch-Maschine-Interaktionen. Dazu bedarf es einer qualitativ äußerst hochwertigen Datensammlung: Je umfangreicher und genauer die Datensätze sind, desto besser erlauben sie die Analyse des maritimen Verkehrs und desto stabiler ist ihre Basis für eine wissenschaftliche Modellbildung. Diese Vielzahl an Daten wird insbesondere benötigt, um selbstlernende Systeme zu trainieren.

Durchführung von Simulationen und physischen Experimenten

eMIR unterstützt die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsprozesse für automatisierte Systemfunktionen und Technologien während des gesamten Entwicklungsprozesses. Durch sein umfassendes und integriertes aus zwei Komponenten bestehendes Testfeld ermöglicht eMIR die Durchführung von Simulationen und physischen Experimenten. Der virtuelle Teil HAGGIS basiert auf einer Co-Simulations-Infrastruktur unter Verwendung von High Level Architecture (HLA). LABSKAUS, der physische Teil, kann im Anschluss nahtlos auf die HAGGIS-Elemente zurückgreifen. Der gesamte Testvorgang bewegt sich also sukzessiv und möglichst übergangslos von virtuellen zu physischen Tests. Diese graduelle Vorgehensweise in der Erprobung automatisierter Systemfunktionen und Technologien verspricht erfolgreiche und aussagestarke Testergebnisse, weil der Übergang von Simulationen zu Realexperimenten nicht ad hoc stattfindet. Bekannte und neu entwickelte V&V-Methoden können basierend auf X-in-the-Loop in allen Phasen des Entwicklungsprozesses genutzt werden. eMIR stellt dabei insbesondere auch Methoden zur Sicherstellung der Validität der genutzten Testfeldkomponenten bereit. Validität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die im virtuellen und physischen Testfeld durchgeführten Experimente Ergebnisse liefern, die zuverlässige und übertragbare Informationen über das Verhalten der untersuchten Systeme in der realen Welt beinhalten. Das offene Testfeld-Design von eMIR unterstützt hinsichtlich neuer Technologien, Kooperationsschemata und Mensch-Maschine-Schnittstellen einen systemtechnischen Ansatz, auf dessen Basis sich am Ende der Erprobungsphase das Gesamtsystem testen lässt. Der Vorteil dieser sukzessiven Erprobungs-Methode liegt darin, Experimente zunächst uneingeschränkt in Simulationen durchführen zu können, die verglichen mit physischen Tests deutlich kostengünstiger sind. Darüber hinaus besteht im virtuellen Testfeld quasi kein potentielles Gefahrenrisiko, und es lassen sich die für eine statistische Bewertung von neuen Methoden notwendigen Massentests durchführen. eMIR nutzt ein gemeinsames Datenmodell, das auf dem internationalen Standard S-100 für den maritimen Datenaustausch basiert. Die HAGGIS-Simulatoren werden am DLR-Standort in Oldenburg und beim Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg betrieben. LABSKAUS umfasst den Bereich der Elbe zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven und das Seegebiet zwischen Cuxhaven, Wilhelmshaven und Helgoland. Auf Schillig Reede und westlich von Helgoland ist in Zusammenarbeit mit dem Jade-Weser-Port die Errichtung von weiteren physischen Testfeldern für die Erforschung der autonomen Schifffahrt geplant.

Erprobung und Demonstration

Automatisierte Systeme können mit eMIR für ihren Einsatz in industriellen Prozessen und Anwendungen demonstriert und evaluiert werden. eMIR bietet die Möglichkeit des Nachweises der Funktionalität und der Praxistauglichkeit neuer Produkte zur Verkaufsunterstützung an. Die Kombination und Kooperation vom maritimen Testfeld eMIR und automobilen Testfeldern (Testfeld Niedersachsen) sorgen dafür, dass eines der weltweit größten zusammenhängenden Testfelder für den automatisierten und autonomen Verkehr gebildet wird. Die Verknüpfung automobiler und maritimer Forschungsaktivitäten erreicht schließlich die Möglichkeit für gemeinsame Untersuchungen des multimodalen Güterverkehrs und erlaubt gleichzeitig, wissenschaftliche Erkenntnisse als natürliche Synergiepotenziale zu nutzen. Dieser spielt eine wichtige Rolle im automatisierten Hafenbetrieb auf der Basis intelligenter autonomer Frachtfahrzeuge. Während heutige Systeme nur in begrenzten, genau definierten Kontexten operieren, werden sie dazu zukünftig in teilweise und später sogar vollständig unbekannten Kontexten in der Lage sein.