DLR Magazin 138 - page 12-13

Vorausgesetzt, die Eigenschaften der Werkstoffe des
Schichtsystems sind für den gesamten Temperaturbereich be-
kannt, lassen sich so die lokalen Beanspruchungen im Material
berechnen. Doch noch ist es eine Rechnung mit einigen Unbe-
kannten: Speziell für die wenige Mikrometer dünnen Schichten
fehlen viele Werkstoffkenndaten. Hinzu kommt, dass sich die
Eigenschaften der Schichten im Verlauf der Zeit bei Hochtempe-
ratur und mit der Zahl der Lastzyklen ändern. Um den Unbe-
kannten im System näherzukommen, haben wir in Kooperation
mit einem Team von Prof. Anette Karlsson an der Universität des
US-Bundesstaates Delaware zunächst die nicht bekannten
Werkstoffdaten geschätzt und das Berechnungsergebnis dann
mit dem beobachteten mikroskopischen Schädigungsbild vergli-
chen. In weiteren Rechnungen haben wir durch Variation der
Werkstoffdaten herausgefunden, bei welchen Daten Experiment
verformt, dann ändern sich die Abstände der Kristallebenen und
entsprechend die Beugungsmuster. Umgekehrt verraten uns die
Beugungsmuster, wie stark das Material gedehnt ist. Das heißt
für unser Schichtsystem, dass wir mit den Dehnungen für ver-
schiedene thermomechanische Lastenspektren die mechanischen
Eigenschaften der einzelnen Schichten herausbekommen.
Endlich auf dem Weg zum Ziel
Im November 2012 war es dann endlich so weit. Die Teams
aus Orlando und Köln machen sich mit Komponenten des Ofens
und den in Köln beschichteten Proben auf den Weg zur amerika-
nischen Photonenquelle APS in Argonne. Die APS ist ein Teilchen-
beschleuniger, in dem Elektronen bis auf nahezu Lichtgeschwin-
digkeit beschleunigt werden. Dann werden sie in einem ring­
förmigen Edelstahlrohr, dem sogenannten Speicherring, von
Elektromagneten in eine Kreisbahn gezwungen. Dabei geben sie
Energie in Form hochenergetischer Röntgenstrahlung ab. Bei der
APS hat der Speicherring einen Umfang von 1.104 Metern. Um den
Ring sind in der Experimentierhalle 35 Labore, sogenannte beam-
lines, angeordnet, an denen ein Teil der erzeugten Röntgenstrah-
lung ausgekoppelt und für verschiedene Versuche genutzt wird.
Die Labore werden von Wissenschaftlern des APS betrie-
ben, die zusammen mit externen Nutzern aus aller Welt die Ex-
perimente und Versuchseinrichtungen aufbauen und die Versu-
che wissenschaftlich begleiten. Sowohl die Nutzung des APS als
auch die wissenschaftliche Begleitung sind quasi unbezahlbar.
Uns kosteten sie einen sehr gut begründeten Forschungsantrag.
Die bewilligte Messzeit ist entsprechend wertvoll, sodass wir in
Schichten rund um die Uhr zunächst die Versuchseinrichtung zu-
sammengebaut und dann möglichst ohne Unterbrechungen des
Versuchsbetriebs unsere Messungen durchgeführt haben. Die
Ausbeute war am Ende von vier Messtagen eine Festplatte mit
einem Terabyte an Rohdaten. Deren Auswertung wird noch einige
Monate in Anspruch nehmen, aber es lässt sich jetzt schon sagen,
dass die Messungen erfolgreich waren.
So ist die hauchdünne Aluminiumoxidschicht, die sich
zwischen der keramischen Wärmedämmschicht und der metalli-
schen Oxidationsschutzschicht bildet, erstaunlich gut zu erkennen.
Die Beugungsmuster verraten auch, dass diese Schicht unter
mechanischen Spannungen steht und – was wir nicht erwartet
hatten – die Kristallite, aus denen die Schicht besteht, haben eine
deutlich erkennbare Vorzugsorientierung. Die ersten Ergebnisse
haben wir bereits auf der 37. internationalen Konferenz der
American Ceramic Society in Daytona Beach vorgestellt, da wo
die Kooperation zwei Jahre zuvor startete.
Autorinnen:
Prof. Dr.-Ing. Marion Bartsch leitet im Institut für Werkstoff-For-
schung des DLR in Köln die Abteilung Experimentelle und Nu-
merische Methoden. Außerdem ist sie an der Ruhr-Universität
Bochum Professorin für Werkstoffe der Luft- und Raumfahrt.
Frau Dipl.-Ing. (FH) Janine Schneider ist Leiterin der Gruppe
Werkstoffmechanische Prüfung.
Das internationale Team:
Janine Schneider, Carla Meid, Prof. Dr.-Ing. Marion Bartsch –
Institut für Werkstoff-Forschung in Köln; Prof. Anette Karlsson
(jetzt Cleveland State University); Kevin Knipe, Albert Manero,
Sanna Siddiqui, Prof. Seetha Raghavan – University of Central
Florida in Orlando; Dr. Jonatan Almer, Dr. John Okazinski –
Advanced Photon Source im Argonne National Laboratory bei
Chicago.
und Berechnungsergebnis am besten übereinstimmen. Auf diese
Weise haben wir zwar einen plausiblen Datensatz für die Werk-
stoffeigenschaften der Schichtmaterialien erhalten, ein direkter
Nachweis durch Messungen der Dehnungen im Schichtsystem
unter komplexen Bedingungen stand jedoch bis dato aus.
Ein überraschender Vorschlag
Auf der 35. internationalen Konferenz der American Ceramic
Society in Daytona Beach im Januar 2011 kam es zu einem Kon-
takt, der uns weiterbringen sollte. Prof. Seetha Raghavan von der
University of Central Florida in Orlando brachte die Synchrotron-
Quelle des Argonne National Laboratory in der Nähe von Chicago
in die Diskussion und machte uns den Vorschlag, dort gemeinsam
eine modifizierte Versuchsanlage, ähnlich der im DLR entwickelten,
aufzubauen. Mit der hochenergetischen Röntgenstrahlung des
Synchrotrons könnten wir in die Schichten eindringen und anhand
der Wechselwirkung der Strahlung mit dem Werkstoff die Span-
nungen beziehungsweise Dehnungen in den einzelnen Schichten
bestimmen. Das war der gesuchte Schlüssel, um unsere Berech-
nungen mit direkten Messungen zu überprüfen.
Nachdem wir ein erstes Konzept für die neue Versuchs­
anlage entwickelt hatten und Prof. Raghavan an der Advanced
Photon Source (APS) in Argonne Messzeiten für unser Projekt
bewilligt wurden, kamen ihre Doktoranden Kevin Knipe und
Albert Manero im Sommer 2012 für zwei Monate in unser Insti-
tut nach Köln, um mit uns die neue Anlage zu konstruieren. Im
Wesentlichen ging es darum, einen kompakten Heizofen mit
einer hohen Leistung und eine effiziente Innenkühlung für die
rohrförmigen Proben zu entwerfen. Der Heizofen musste in eine
vorhandene mechanische Prüfmaschine am Argonne National
Laboratory passen und an den richtigen Stellen Fenster für den
Röntgenstrahl haben. Die gesamte Prüfmaschine ist auf Motoren
montiert, mit denen die Probe mikrometergenau in dem feinen
Röntgenstrahl positioniert wird. Bei den Messungen durchdringt
der Strahl das Schichtsystem und wird dabei abgelenkt bezie-
hungsweise gebeugt. Die abgelenkte Strahlung wird mit einem
Detektor registriert und aus dem Muster, das dabei zu erkennen
ist, kann berechnet werden, welche Materialien vorliegen.
Das funktioniert im Prinzip wie folgt: In kristallinen Materia-
lien, wie sie im beschichteten System vorliegen, sind die Atome in
einem dreidimensionalen regelmäßig aufgebauten Gitter ange-
ordnet. Da die Gitterabstände für ein Material charakteristisch
sind, sind auch die Beugungsmuster, die bei der Wechselwirkung
von Röntgenstrahl und Kristallebenen entstehen, charakteristisch.
Wird das Material durch thermische und mechanische Belastungen
Weitere Informationen:
beschädigt
unbeschädigt
Die weiße keramische Wärmedämmschicht ist bei der linken Schaufel
nach vielen Langstreckenflügen teilweise abgeplatzt
Die Röntgenstrahlen werden an den Atomen der Schichtwerk-
stoffe abgelenkt. Ein Detektor nimmt die gebeugten Strahlen
auf. Wird das Schichtsystem durch Wärme und/oder mechani-
sche Lasten gedehnt, ändern sich die Atomabstände und damit
das Beugungsmuster.
Luftaufnahme der Synchrotronquelle in Argonne bei Chicago
Bild: AdvancedPhotonSource
Nahaufnahme der Probe (weiß im Bild)
Kevin Knipe und Albert Manero bei der Datenerfassung
Den Spezialofen im Blick: Albert Manero von der UCF
Janine Schneider richtet die Versuchsanlage ein
Prinzip der Dehnungsmessung
mit Synchrotronstrahlung
Röntgen-Detektor
Strahlungsheizung
Röntgen-Strahl
Luftkühlung
Mechanische
Last
Mechanische
Last
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