Abschied von der Mario Zucchelli-Station, Datenauswertung und Ozeanographie - Teil 10
Es ist Freitag, der 12. Februar 2016. Ich sitze in meiner Kabine auf der "Italica", die ich mit drei Kolleginnen teile: der Geologin Tina, der Geophysikerin Antonia und der Expeditionsärztin Ulrike. Es ist 14 Uhr nachmittags, wir haben gerade gegessen, vor unserem Bullauge treiben die Eisschollen vorbei, und wir vier sind alle damit beschäftigt, unsere Daten zu analysieren und erste Zusammenfassungen unserer Ergebnisse aufzuschreiben.
Gestern Abend sind wir aus der Terra Nova-Bucht ausgelaufen. Mit zehn Fanfarenstößen der Schiffssirenen haben wir uns von der Mario Zucchelli-Polarstation verabschiedet. Ein Gänsehaut-Moment, und nicht wenige von uns mussten sich ein paar Tränen verkneifen. Aber der endgültige Abschied von der Antarktis liegt noch vor uns. Bevor wir uns auf den Rückweg nach Neuseeland machen, werden unsere italienischen Kollegen noch ihr Ozeanographie-Programm abschließen. Deshalb fahren wir gerade entlang der Küstenlinie Richtung Norden, nach Cape Hallet, wo noch Sedimentproben vom Ozeanboden genommen werden sollen. Erst nach Abschluss dieser Arbeiten fahren wir zurück nach Lyttleton, einem kleinen Hafen auf der neuseeländischen Südinsel, wo unsere Reise enden soll.
Seit unserem letzten Blogeintrag ist einiges passiert: Nach unserem Aufbruch aus dem Zeltcamp in den Helliwell Hills hatten wir uns schnell wieder an das relativ regelmäßige Stationsleben und den Luxus von Duschen, Spültoiletten und Waschmaschinen gewöhnt. Abgesehen davon war allerdings alles wie immer in der Antarktis: die Wetterlage bestimmte jede unserer Aktivitäten. Und so hofften wir jeden Morgen gespannt auf gutes Wetter - gut genug, um mit den Hubschrauber zu den Zielgebieten zu fliegen, die uns zum Abschluss unserer wissenschaftlichen Arbeiten noch fehlten. So hofften Ernst, Jean-Piere und ich auf eine Fluggelegenheit Richtung Mesa Range oder nach Tarn Flat, wo wir noch Frostmusterböden und die Verbreitung von mikrobiellen Lebensformen untersuchen wollten.
Einmal mehr: Warten auf gutes Flugwetter
Jetzt, gegen Ende des antarktischen Sommers, werden solche Tage mit gutem Flugwetter noch seltener, und einige unserer Kollegen hatten aufgrund der Wetterlage ihre Zielgebiete noch gar nicht erreichen können. Die Priorität lag also darauf, Flüge in diese noch fehlenden Gebiete zu ermöglichen.
An den Tagen, an denen wir nicht ins Feld konnten, waren wir "GANOVEX-Ganoven" damit beschäftigt, alles für die Abreise bereit zu machen. Die gesamte Ausrüstung, die uns während der letzten Wochen das Leben und Arbeiten im Zeltcamp ermöglicht hatte, war mittlerweile wieder in der Mario Zucchelli-Station eingetroffen. Dazu gehörten unsere persönliche Ausrüstung, wissenschaftliche und technische Geräte (z.B. Mikroskope, Spektrometer, andere Messinstrumente), 24 Scott-Zelte, ein Küchen- und ein Arbeitszelt, Kisten mit übriggebliebener Verpflegung, Generatoren, Gasöfen, ein Gasherd, Kochgeschirr, eine Campingtoilette, Kletterausrüstung, Funkgeräte, Schlafsäcke und Isomatten und vieles mehr. Dazu kamen noch die Gesteinsproben, die wir während unserer Zeit im Camp zu wissenschaftlichen Zwecken gesammelt hatten.
Nach dem Abbruch des Zeltcamps war all das stückweise mit dem Hubschrauber zur zwei Kilometer entfernten "Startbahn" auf dem Rennick-Gletscher gebracht und von dort in die Flugzeuge (Twin Otter und Basler DC-3) verladen worden. Von den "Landeplätzen" in der Nähe der Mario Zucchelli-Station (am Browning-Pass für die Basler DC-3 beziehungsweise am Enigma Lake für die Twin Otter) wurde die gesamte Fracht dann entweder mit Pickups oder mit dem Hubschrauber zur Station gebracht. Dort mussten wir dann alles einzeln in Empfang nehmen, säubern, sortieren, inventarisieren und wieder in den richtigen Container verladen. Damit waren wir, unter Anleitung unserer Logistiker, ein paar Tage beschäftigt.
Daten, Daten Daten - Schreibtischarbeit am Rande der Eiswüste
Die übrige Zeit nutzten wir für "Schreibtischarbeit". Wir alle lieben die Feldarbeit, aber nach dem Datensammeln kommt unweigerlich die Aufgabe, diese Daten zusammenzustellen und auszuwerten. Immer öfter sah man Gruppen von uns im "Pinguinatolo" am Kaminfeuer, oder im "Sala Geologi" im Hauptgebäude der Station, bewaffnet mit Laptops, Feldbüchern, GPS-Geräten und geologischen Karten. Wir diskutierten die Ergebnisse unserer Messungen, versuchten uns an ersten Interpretationen, verglichen die GPS-Koordinaten mit den Fundstellen von Proben, trugen alles in die Karten ein und digitalisierten die Aufzeichnungen aus unseren Feldbüchern.
Wir "Marsianer" nutzten ebenfalls die Gelegenheit, unsere vorläufigen Ergebnisse zu diskutieren und zusammenzufassen. Ernst bereitete unsere Beobachtungen zu den Gullies im De Goes Valley (siehe Blogeintrag) auf, die wir auf einem "Mars-Gully-Workshop" in London vorstellen möchten. Ich wertete dazu die entsprechenden Aufnahmen des Roverkamerasystems aus. Die umfangreichen Beobachtungen der Gullies, die wir in zwei Tagen Feldarbeit gesammelt hatte, wären auf dem Mars ja nur durch die "Augen" des Rovers möglich. Dabei gibt es zahlreiche technische Einschränkungen, zum Beispiel die zeitliche Verzögerung bei der Kommandierung von Aufnahmen sowie die sehr begrenzte Datenmenge, die zur Erde übertragen werden kann. Daher muss jede Aufnahme sorgfältig geplant werden, damit ein Geologe wie Ernst möglichst viele nützliche Informationen aus jedem Bild bekommt.
Neben dem geologischen Gesamtkontext kann beispielsweise aus 3D-Stereoaufnahmen zusätzlich die genaue Geometrie der Abflusskanäle in den Gullies bestimmt werden. Auch die Geometrie und die Abmessungen der von Ernst untersuchten Polygone in den Frostmusterböden können aus der Analyse von Stereobildern bestimmt werden. Im De Goes Valley hatten wir die Breite und Tiefe der Kanäle per Hand vermessen und zusätzlich die Fließgeschwindigkeit des Wassers bestimmt. Aus dem Vergleich dieser Daten mit den aus den Stereobildern gemessenen Werten kann ich die Genauigkeit dieser Rekonstruktion von Abmessungen aus Stereobildern bestimmen.
Vorher musste ich aber noch eine weitere geometrische Kalibration des Systems durchführen. Das ist wichtig, da sich bei jedem Transport die Position der einzelnen Kameras zueinander verschieben kann. Zur Erstellung von Panoramabildern und Stereo-Geländemodellen müssen die Positionen der Kameras zueinander genau bekannt sein. Bei der Kalibration werden gleichzeitig auch bestimmte Abbildungseigenschaften der optischen Systeme bestimmt, beispielsweise die durch die Krümmung der Linsen der Objektive hervorgerufene Verzeichnung, sodass man diese bei der Prozessierung der Daten herausrechnen kann.
Jean-Pierre hatte unterdessen die Vielfalt der Arten und die Verteilung von Flechten, Pilzen, Cyanobakterien und Algen in eine Übersichtskarte übertragen. Ich überprüfte dazu, ob und wie gut die einzelnen, teils mikroskopisch kleinen Organismen auf den hochauflösenden Bildern der Roverkamera erkennbar waren und bei welchen Aufnahmebedingungen die zweifelsfreie Bestimmung der Art möglich war (Auflösung als Funktion der Distanz, Beleuchtungsbedingungen, Sonnenstand, Belichtungszeit, etc.). Diese Erkenntnisse werden entscheidend sein, wenn wir später definieren müssen, aus welchen Distanzen und bei welchen Aufnahmebedingungen die Roverkamera auf dem Mars betrieben werden soll. Außerdem wertete Jean-Pierre die gesammelten Umweltdaten, wie UV-, Infrarot-, Ozon- und Temperatur- sowie Feuchtedaten aus. Diese sind entscheidend zur Definition der Bedingungen, unter denen die gesammelten biologischen Proben später in der DLR Mars-Simulationskammer untersucht werden sollen. Der Gesamtkontext aus dem Ursprungshabitat muss bekannt sein, um wissenschaftliche Vergleiche zwischen den natürlichen und den simulierten Bedingungen ziehen zu können.
Um uns herum waren in diesen Tagen die Arbeiten zur Schließung der Mario Zucchelli-Station für die Winterpause in vollem Gang. Die Station ist im antarktischen Winter nicht besetzt. Dieser Prozess ist natürlich umso aufwendiger, je mehr Wissenschaftler sich noch in der Station befinden. Um die Arbeiten zu erleichtern, wurden alle die Stationsmitglieder und Wissenschaftler, die ihre Arbeiten abgeschlossen hatten und nicht mit der "Italica" zurückfahren sollten, mit dem Flugzeug zur amerikanischen Station McMurdo ausgeflogen. Von dort aus konnten sie dann Ihre Heimreise mit dem Flugzeug antreten.
Wieder an Bord der "Italica": Pfannenkucheneis und der beeindruckende Drygalski-Gletscher
Am 3. Februar abends traf die "Italica" in der Terra Nova Bay ein. Auch wir "GANOVEN" wurden gebeten, uns aufzuteilen, um möglichst jetzt schon ein paar unserer Expeditionsmitglieder auf dem Schiff unterzubringen. Am Nachmittag des 4. Februar bestiegen sechs von uns eine Barke, die uns von Mario Zucchelli aus zur "Italica" brachte. Obwohl keine Feldarbeit mehr möglich war, waren die Tage auf dem Schiff für uns eine interessante Zeit: Neben der Auswertung unserer eigenen Arbeiten konnten wir noch unseren italienischen Kollegen über die Schulter schauen, die mit der Durchführung ihres Ozeanographie-Programms beschäftigt waren.
Zwischen dem 6. und 11. Februar fuhren wir die Küste entlang Richtung Süden, entlang an der Drygaslski-Eiszunge, mit einem kurzen Abstecher Richtung Franklin Island. Auf dem Weg führten unsere Kollegen verschiedene Messprogramme durch. Mit Laser-Fluoreszenzmessungen wurde zum Beispiel der Chlorophyllgehalt des Wassers bestimmt, und parallel dazu wurden Sonaruntersuchungen über die Verteilung der Krillschwärme im Ozean durchgeführt (Krill sind kleine garnelenartige Tiere und ein Hauptbestandteil des Planktons in den kalten, aber nährstoffreichen Gewässern der südpolaren Meere). Entlang der Fahrtrinne wurden der Sauerstoffgehalt, die Salinität, und andere Wasserparameter gemessen. Rund um die Drygalski Eiszunge waren wir auf der (vergeblichen) Suche nach sogenannten Pancake Eis - Pfannenkuchen-Eis -, das sich unmittelbar an der Wasseroberfläche bildet. Die einzelnen Eiskristalle lagern sich zunächst in der Form von Pfannkuchen in einer dünnen Schicht auf der Wasseroberfläche an, bevor sich dann später das dichte Packeis daraus bildet.
Warten auf den ersten Sonnenuntergang nach einem Vierteljahr...
Die Fahrt entlang der Drygalski-Eiszunge war besonders eindrucksvoll: der David-Gletscher fließt mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 Metern pro Tag ins Meer, sodass sich eine etwa 100 Kilometer lange und 20 Kilometer breite Eiszunge von der Küste aus ins Meer erstreckt. Später änderte das Schiff für die verschiedenen Untersuchungen seine Fahrtrichtung und steuerte auf die Franklin-Insel zu. Kurze Zeit später erreichten wir unseren südlichsten Punkt bei 76.5 Grad südlicher Breite und 169 Grad östlicher Länge.
Am 11. Februar liefen wir dann wieder in die Terra Nova-Bucht ein - zum letzten Mal für diese Saison. Alle "GANOVEN" und auch das MOGS-Team sind jetzt wieder an Bord. Während wir an Bord zusammensitzen und unsere Erlebnisse Revue passieren lassen, warten wir gespannt auf den ersten Sonnenuntergang nach fast drei Monaten.
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