Muren in der Antarktis: Terrestrische Analoge für "Gullies" auf dem Mars - Teil 7
Wie schnell sich die Situation doch ändern kann: Gestern noch ein herrlicher Tag mit strahlendem Sonnenschein und "warmen" Temperaturen, bei denen man stundenlang ohne Handschuhe arbeiten konnte, und heute (21. Januar) ein Schneesturm, der die Sicht auf wenige Meter begrenzt und das gesamte Team in die Zelte zwingt... Eine gute Gelegenheit also, um unsere Arbeiten der letzten Tage Revue passieren zu lassen. Andererseits können die Stromgeneratoren bei diesem Wetter nicht laufen, also muss ich mich beeilen, denn der Akku meines angeblich zähen (aber schon etwas älteren) "Field Notebooks" schwächelt, und Aufladen wird erst wieder nach Abflauen des Sturms möglich sein.
Wir hatten vorgestern nach einem herrlichen Hubschrauberflug eine neue Gegend erkundet, die in der benachbarten Gebirgskette liegt, in der sogenannten Morozumi Range. Dort fällt eine Felsklippe einige Hundert Meter von einem Gletscher zum anderen ab und bildet eine imposante Steilwand, das De Goes-Cliff. In dieser Wand sind auf den Satellitenbildern Anzeichen für Hangtransportprozesse zu erkennen, die wir uns genauer ansehen wollten. Das sind Vorgänge, bei denen Material abgerutscht oder sonst wie verlagert wurde. Die dabei entstehenden Oberflächenformen ähneln nämlich Erosionsrinnen auf dem Mars, die seit ihrer Entdeckung vor 15 Jahren intensiv erforscht werden.
Auch ich hatte mich schon mit Kollegen aus Münster, Göteborg und Utrecht auf Spitzbergen mit ihnen befasst. Die Morphologie dieser sogenannten "Gullies" - vielleicht am besten mit Rinnen übersetzt - legt einen Ursprung als Muren nahe (im Englischen debris flows), die sich als Mischung aus Wasser und festen Partikeln hangabwärts bewegen. Diese Gullies auf dem Mars sind geologisch sehr jung und wurden vermutlich erst vor wenigen Hunderttausend bis einige Millionen Jahren geformt. Dies wäre aber schwer in Einklang mit den derzeitigen physikalischen Bedingungen auf der Marsoberfläche zu bringen, denn eigentlich ist die Atmosphäre zu kalt und zu dünn, um flüssiges Wasser stabil zu halten. Eine mögliche Erklärung zur Auflösung dieses Paradoxons wären Klimaschwankungen, die eventuell von Änderungen in der Neigung der Rotationsachse des Planeten oder von der periodisch variierenden Elliptizität der Umlaufbahn hervorgerufen werden könnten.
Verschiedene Theorien zur Entstehung von "Gullies"
In unseren bisherigen geomorphologischen Arbeiten hatten wir die Murentheorie favorisiert. Alternativ wird aber eine Hypothese diskutiert, in der ein derartiger Hangtransport durch trockene Prozesse erfolgt, die durch das Ausfrieren und Sublimieren von Trockeneis (CO2) angetrieben werden. Die Arbeiten am De Goes-Cliff erwiesen sich als höchst spannend, denn vor Ort konnten wir tatsächlich eindeutige Anzeichen für Muren feststellen - eine Seltenheit in der trockenen Antarktis. Anscheinend gibt es aber doch hin und wieder ausreichend Schmelzwasser, das den Porenraum des Hangschutts ausfüllt und die Scherfestigkeit, also den Widerstand gegen das Abrutschen, hinreichend herabsetzt: Die wasserdurchsetzte Masse kann sich in Bewegung setzen.
Überraschenderweise fand ich mit meinen Kollegen an einem benachbarten Standort auch noch eine andere Art von Wassertransport. Dabei wird der ganze Boden auf einer Seite mehrere Meter durchfeuchtet und erscheint dadurch dunkler als die Umgebung. Dabei sinkt die Oberfläche aber nur leicht ein (einige Zentimeter), und oberflächlich fließt kein Wasser. Anscheinend bewegt es sich unterirdisch, allerdings nur in wenigen Dezimetern Tiefe auf dem undurchlässigen Permafrostspiegel. Dieser liegt in dieser Gegend im Sommer bei zirka 40 Zentimetern Tiefe liegt. Von anderen Gegenden in der Antarktis (den Dry Valleys) waren mir ähnliche Phänomene aus der Literatur bekannt, hier allerdings hatte ich sie nicht vermutet.
Auch auf dem Mars gibt es dunkle Linien, die sich im dortigen Sommer langsam hangabwärts bewegen und eventuell von einem ähnlichen Prozess hervorgerufen werden. Sollte dies zutreffen, wären sie die einzigen Stellen, an denen heute flüssiges Wasser anzutreffen wäre. Sie stellen insofern ein möglicherweise verfügbares Wasserreservoir dar und sollen in Zukunft schwerpunktmäßig analysiert werden. Auch für Nicole und Jean-Pierre war neben der bereits beschriebenen Beobachtung am benachbarten Schwemmfächer das De Goes-Cliff ein Erfolg. Nicole nahm mit ihrer 3D-Marskamera Stereopanoramen der Steilwand, einen Schwemmkegel unterhalb eines Gullies und einen Sandsteinblock auf, an dem Jean-Pierre wegen der Besiedlung durch Mikroorganismen interessiert war.
Auf der Suche nach Lebensspuren
Auch Jean-Pierre konnte ein komplettes Messprogramm zur Charakterisierung der Umweltbedingungen in den jeweiligen Habitaten durchführen. Dabei fiel auf, dass die meisten Organismen Nischen aufsuchten, die vor der intensiven UV-Strahlung schützten. Zumeist besiedelten Flechten, Mikropilze und mit Cyanobakterien vergesellschaftete Biokrusten den Sandstein und die erodierten Granite. Ihre Habitate, die ökologischen Nischen, liegen dabei überwiegend im Gestein, wobei die Organismen nur aus Ritzen und Fissuren des Gesteins herauswachsen. Aus der Literatur über die Dry Valleys ist diese Kolonisierung des Gesteins bereits bekannt, aber der Kontext kann hier erweitert werden.
Nicht nur der Strahlenschutz ist maßgeblich für die Besiedlung der untersuchten Habitate, sondern auch die Nähe zu Wasser beziehungsweise Luftfeuchtigkeit. Dabei wurde klar, dass die Organismen nicht unmittelbar in den Rinnensystemen siedeln, sondern in deren Nähe und verteilt auf Findlingen im Schwemmfächer, nicht aber direkt im oft durch Wasser mobilen Boden anzutreffen sind. Die periodisch ansteigende Luftfeuchtigkeit scheint an diesen sonst sehr trockenen Standorten für die Lebensprozesse der hier vorkommenden Organismen auszureichen. Dies zeigte auch eine benachbarte Moräne, die offensichtlich nicht regelmäßig von den Schwemmfächern mit Wasser gespeist wurde und wo die Oberflächenbesiedlung daher nicht beobachtet werden konnte.
Da die Anzeichen für die Ansiedlung von beispielsweise Flechten, Cyanobakterien oder Pilzen in der Regel sehr versteckt und sehr klein, und oft nur schwer von anderen (gleichfarbigen) Mineralien im Gestein zu unterscheiden sind, stellen die hochauflösenden Panoramaaufnahmen von PanCam eine wichtige Hilfe bei ihrer Identifizierung dar. Um Biosignaturen zu entdecken, muss man nämlich nicht nur sehr genau wissen, wo man suchen soll, sondern auch sehr scharfe Augen haben. Oft bedarf es auch zusätzlicher Spektralinformationen, weswegen die Kamera mit Filterrädern in verschiedenen Wellenlängen ausgestattet ist und zusätzlich ein Infrarotspektrometer ausgewählte Stellen beobachtet. Hier in der Antarktis finden wir die perfekte Umgebung, um diese Strategie zu testen. Mithilfe der Stereo-Weitwinkelkameras verschaffen wir uns aus verschiedenen Distanzen zunächst einen Überblick über den geologischen Kontext. Mithilfe der Stereoinformationen können Oberflächenformen (z.B. Schwemmfächer) quantitativ und dreidimensional vermessen werden.
Unser Fokus liegt aber auf der Identifizierung von Spuren von Leben auf Gestein aus der Entfernung. Die Strategie der ExoMars-Mission dazu ist, dass der Rover zunächst mithilfe eines Stereopanoramas und einzelner hochauflösender Aufnahmen aus einer Distanz von zirka 20 Metern interessante Aufschlüsse identifizieren soll. Im zweiten Schritt wird er sich dann bis auf etwa drei Meter annähern. Aus dieser Distanz soll ein Aufschluss dann mit der hochauflösenden Kamera komplett aufgenommen werden. Zusätzlich werden vielversprechende Stellen mit einer Mikroskopkamera und dem Infrarotspektrometer untersucht.
Um zu überprüfen, ob das funktioniert, haben wir mit Jean-Pierres Hilfe zunächst Gestein identifiziert, das von Organismen besiedelt ist. Von der Umgebung dieses Gesteins machte Nicole dann mithilfe der PanCam Panorama- und Stereobilder sowie hochauflösende Aufnahmen. Aus einer Distanz von etwa fünf bis zehn Metern sieht man selbst in den hochauflösenden Aufnahmen oft nur das Gestein selbst sowie vereinzelte Farbflecken. Aus dieser Entfernung ist es selbst für Experten sehr schwer, ein farbiges Mineral von einer Biokruste zu unterscheiden. Im zweiten Schritt setzen wir dann das Stativ mit PanCam auf drei Meter Entfernung an das Gestein heran. Aus dieser Entfernung konnte Jean-Pierres geübtes Auge in den hochauflösenden Bildern oft schon Organismen erkennen. Das ist eine wichtige Erkenntnis für ExoMars. Um zu untersuchen, ob man die Organismen im Wellenlängenbereich von PanCam und dem Infrarotspektrometer von gleichfarbigen Mineralien unterscheiden kann, machte Nicole noch spektrale Untersuchungen mit einem Feldspektrometer im VIS/NIR-Bereich. Weitere Untersuchungen an Proben werden dann im DLR in Berlin folgen.
Fortsetzung, 23.01.2016
Erwartungsgemäß hatte der Sturm eine weit größere Ausdauer als der Akku meines Notebooks. Auch gestern verhinderte das Wetter alle wissenschaftlichen Tätigkeiten außerhalb der Zelte, und selbst heute (ich schreibe dies am Vormittag) ist es fraglich, ob wir am Nachmittag fliegen können werden. Die Zeit hier im Lager in den Helliwell Hills neigt sich langsam dem Ende zu, und die Pläne für den Abbau des Lagers und den Rücktransport in die Mario Zucchelli-Station werden konkreter. Solange es noch nicht soweit ist, werden wir die Arbeiten hier in der Umgebung des Lagers fortsetzen und auf eventuelle Fluglücken hoffen.
Tags: