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Bettruhestudie SANS-CM: Proband D1 blickt auf seine 30 Tage im Bett zurück

Auf der Tagesordnung der Bettruhestudie stehen eine Menge medizinischer Untersuchungen wie Augeninnendruckmessung (Bild 1), MRT (2), die Bestimmung des Herzschlagvolumens mit der sogenannten Inertgas-Rückatmung (3) oder auch Ultraschallmessungen (4)
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© DLR: Alle Rechte vorbehalten

Einfahrt auf das Gelände des DLR in Köln. Irgendwie wirkt alles noch unwirklich. Hinter mir wird sich gleich für acht Wochen die Tür des :envihab schließen. Ein komisches Gefühl steigt in mir auf, gepaart mit Neugier und Spannung. Trotz der langen Zeit, die es gedauert hat, bis die Studie endlich angefangen hat, kam es mir fast vor, als wenn mich grade jemand gefragt hat, ob ich teilnehmen möchte. Jetzt ist es soweit: Ab heute bin ich Proband D1 der neuen Bettruhestudie am DLR.

Ich bin 42 Jahre alt und im „normalen Leben“ angestellter Elektro-Meister im Facility Management eines Krankenhauses für Herz- und Kreislaufkrankheiten. Hauptsächlich bin ich dort zuständig für Gebäudeleittechnik und Energieversorgung. Wenn man wie ich an Technik interessiert ist, hat man auch eine gesunde Neugier. Ich bin auch bereit, mich 30 Tage dafür hinzulegen.

Ich erinnere mich gut an meinen Einzug: Ich klingele am :envihab und es öffnet sich die Tür zu meinem ganz besonderen neuen Zuhause. Ich bin etwas vor der Zeit da. Dann erster Kontakt mit den Probanden A1 und B1. Ich bekomme meinen Buchstaben D1 und mein Zimmer zugewiesen. Die erste Aufregung wurde mir durch den herzlichen Empfang des DLR-Studienteams genommen.

Der Eingang zum futuristisch aussehenden :envihab des DLR Köln
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© Christian Gahl

Es ist ruhig im Modul 3 – irgendwie wie im Krankenhaus. Dann geht’s auch schon los. Alkoholtest, Drogentest, Sicherheitseinweisung, die Frage nach der Pizza, die man abends essen möchte. „Die Henkersmahlzeit“, kommt von Proband A1 und B1 fast im Chor. Alle lachen. Man wird sich gut verstehen, geht mir durch den Kopf.

Jeden Tag kommen neue Probanden und die Experimente werden vorgestellt. Alles wird erklärt und ich bekomme die ersten Eindrücke, was hier alles passieren wird. Trotz der roten Linie auf dem Monitor, die die aktuellen Programmpunkte im Tagesablauf für uns alle anzeigt und unnachgiebig fortschreitet, habe ich nie das Gefühl, dass sich Hektik oder Stress verbreiten. Es bleibt immer Zeit für Fragen und Erklärungen.

Lesen in Kopftieflage – Freizeit im Liegen
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Das Interesse, etwas über sein Gegenüber zu erfahren, ist groß. Wo kommen die anderen her, was macht man „draußen“ im wahren Leben, wie ist man auf die Studie aufmerksam geworden? Und jeder belächelt mich, dass meine Frau die treibende Kraft bei meiner Bewerbung war. Meinen Dank an dieser Stelle an meine Frau Sandra, ohne die ich das alles nicht hätte erleben dürfen.

Dann wird es „ernst“. Die Probanden A1 und B1 legen sich in Kopftieflage hin. Erst hier sieht und versteht man, was sechs Grad Schieflage wirklich bedeuten. Das Interesse wächst und ich realisiere, dass ich am nächsten Tag selber an der Reihe bin. Es geht mir viel durch den Kopf, weil ich weiß, dass ich ab dann auf Hilfe vollkommen angewiesen bin. Wo platziere ich am besten welche Sachen möglichst in Reichweite? Beruhigende Worte durch das Studienpersonal schaffen aber Erleichterung und geben mir Zuversicht. „Einfach anrufen“, wird mir immer wieder gesagt. Genau das fiel mir zum Anfang sehr schwer. Aber am Ende sind es immer die freundlichen Gesichter aller Teammitglieder, die mir die Tage versüßen, wenn sie mir bei den banalen Dingen des Alltags helfen.

Essen im Liegen und den Kopf dabei tiefer als die Beine. Das ist zumindest am Anfang ungewohnt.
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Ich habe es mir zum Anfang viel schlimmer vorgestellt. „Herumliegen“ hört sich erst einmal einfach an und ich lümmle gerne auf dem Sofa. Wenn ich dann aber eben gar nicht aufstehen darf, schaut die Sache schon wieder ganz anders aus! Die ersten drei Tage hatte ich tatsächlich Rückenschmerzen. An das Essen im Liegen muss ich mich auch erst mal gewöhnen – nicht nur, wenn es darum geht, den Löffel unfallfrei in den Mund zu bekommen, sondern das Geschaufelte auch so zu balancieren, dass es zum Zielort kommt... Völlegefühle sind die ersten Tage so gut wie sicher und Aufstoßen mit dem Kopf in Tieflage eine ganz schlechte Idee. Es wird aber von Tag zu Tag besser. Am Ende spüre ich nicht mal mehr die sechs Grad Neigung.

Und das Essen ist wirklich gut. Die Vorfreude auf das nächste tolle Essen und die ab und an organisierten Treffen mit den Mit-Probanden im Bett sind kleine Etappenziele, die meine Tage kurzweilig werden lassen. Experimente sind die anderen interessanten Programmpunkte im gut strukturierten Studienalltag. Vieles wiederholt sich immer wieder, sodass die anfängliche Neugier und leichte Nervosität mit der Zeit vergehen und die Aufgaben nach und nach zu einem richtigen Job werden, für den man am Ende ja auch hier ist.

Am unangenehmsten in der Liegephase ist für mich das Duschen: Sobald ich mich bewege, rutsche ich auf meinem eigenen Seifenfilm Richtung Kopfende. Am Ende sind die 30 Tage Liegen in der Vergleichsgruppe für mich zusammengefasst aber nicht wirklich schlimm. Sie sind eine Herausforderung und ich könnte sogar ohne Probleme auch noch länger liegen bleiben. Trotzdem ist die Freude aufs Aufstehen sehr groß.

Die Teilnehmenden der „Sitzgruppe“ dürfen die Betten zweimal pro Tag verlassen
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Da ich in der „Sitzgruppe“ bin und ich mich zweimal am Tag in den Spezialrollstuhl hieven und sitzen darf, ist das Aufstehen nach den 30 Tagen kein großes Problem für mich. Dennoch bin ich über die Reaktion meiner Beine sehr erschrocken. Die ersten Schritte laufen sich wie auf Eiern. Die Kraft ist kein Problem, sondern die Koordination und das fehlende Gefühl für den Abstand der Füße zum Boden. Tag zwei und drei nach dem Aufstehen werden begleitet von heftigem Muskelkater in den Waden.

Nun liegen die 30 Tage in sechs Grad Kopftieflage hinter mir und die Studie, die gefühlt grade erst angefangen hat, geht schon dem Ende entgegen. Jeden Tag steht jemand auf, was mittlerweile richtig zelebriert wird. Die Freude aller Mitprobanden auf diesen Moment liegt förmlich in der Luft.

Endlich – und mit ein wenig Erleichterung – sitzen wir wieder zusammen am Tisch und berichten uns gegenseitig von dem Erlebten und den Missgeschicken, die jedem von uns hier und dort passiert sind. Es sind oft lustige Geschichten. Es wird viel gelacht. Nun ist es keine Woche mehr. Ich freue mich wie verrückt auf mein „richtiges“ Zuhause.

Trotz aller Anstrengung: Ich habe die Zeit im :envihab des DLR sehr genossen, habe sehr nette Menschen kennenlernen dürfen, konnte vieles über meinen Körper lernen, wurde gelobt für meine Mitarbeit und habe spannende Einblicke in die Welt der raumfahrtmedizinischen Forschung bekommen. Was will man mehr? Vielen Dank an das tolle Team, dass ich dabei sein und aktiv mitmachen durfte!