Naturkatastrophe Asteroideneinschlag: Die Dinos hatten kein Raumfahrtprogramm

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Naturkatastrophen sind oft dramatisch, mit Leid für Mensch und Natur verbunden, und sie lassen sich nicht verhindern … oder etwa doch? Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Tsunamis sicherlich nicht, aber es gibt eine Ausnahme: Den Einschlag eines Asteroiden auf der Erde.
Kinofilme wie Armageddon führen das mögliche Ausmaß einer solchen Katastrophe bildgewaltig vor Augen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass unser Planet von so einem Felsbrocken aus dem All getroffen wird? Der Einschlag eines kilometergroßen Asteroiden ereignet sich im Durchschnitt nur etwa alle 120.000 Jahre. Insgesamt ist so eine Naturkatastrophe also sehr selten, kann dann aber globale Auswirkungen haben.

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Doch auch wenn ein solches Ereignis nur sehr selten auftritt, stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann der nächste Asteroid die Erde trifft. Die Realität dieser Bedrohung wurde der Menschheit am 15. Februar 2013 in Erinnerung gerufen, als ein Asteroid mit 20 Metern Durchmesser nahe der russischen Stadt Tscheljabinsk auf der Erde einschlug. Über 1.000 Menschen wurden verletzt, hauptsächlich durch von der Druckwelle zersplittertes Fensterglas. Die Folgen eines größeren Himmelskörpers wären ungleich gravierender gewesen.
Müssen wir also mit dieser ständigen Bedrohung leben? Ergeht es uns vielleicht sogar eines Tages so wie damals den Dinosauriern? Zum Glück nicht, denn anders als die Dinos haben wir ein Raumfahrtprogramm. Und dieses Programm unternimmt nun erstmals in der Geschichte der Menschheit den Versuch, einen Asteroiden aktiv von seiner Bahn abzulenken. Im Rahmen meiner Promotionsarbeit an der Königlichen Sternwarte von Belgien hatte ich das Glück, zusammen mit dem dortigen Team der europäischen Asteroidenmission Hera einen Beitrag dazu leisten zu können.
Dimorphos wird „aus der Bahn geworfen“
Aber von vorne: Im Rahmen einer europäisch-amerikanischen Kooperation soll der Asteroidenmond Dimorphos kinetisch abgelenkt und untersucht werden. Ein Asteroidenmond ist ein kleinerer Asteroid, der um einen größeren Asteroiden kreist, so wie der Mond um die Erde. Ein kinetisches Ablenken bedeutet, dass eine Raumsonde mit maximaler Geschwindigkeit auf einem Asteroiden einschlägt und der Impuls des Zusammenstoßes dessen Flugbahn abändert. Der erste Teil des Experiments ist geglückt: DART, eine Raumsonde der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, schlug am 26. September 2022 auf Dimorphos ein und verkürzte dessen Umlaufperiode von elf Stunden und 55 Minuten um ganze 33 Minuten. Um dieses Experiment vollständig zu verstehen und somit Rückschlüsse für eine mögliche zukünftige Mission zu ziehen, muss das binäre Asteroidensystem nun vor Ort genauer untersucht werden.

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Daher ist die europäische Hera-Mission im Oktober 2024 zum Didymos-Asteroiden-System aufgebrochen, um die beiden Asteroiden und natürlich den künstlich erzeugten Einschlagkrater genaustens zu untersuchen. Und hier kommt unser Beitrag zu dieser Mission ins Spiel. Für die wissenschaftliche Untersuchung von Himmelskörpern werden Raumsonden mit verschiedensten Instrumenten ausgestattet. Eines dieser Instrumente ist das GRASS-Gravimeter (GRAvimeter for small Solar System bodies), welches wir vom belgischen Hera-Team zur Mission beitragen durften.
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Es wurde nicht direkt auf der großen Hera-Raumsonde installiert, sondern auf Juventas – einem von zwei CubeSats, die sich ebenfalls an Bord der Mission befinden. CubeSats sind schuhkartongroße Subsatelliten, welche Weltraummissionen ergänzen können. Hier wurde er genutzt, um anstelle des Hauptsatelliten Hera ein risikoreiches Manöver durchzuführen: In der letzten Missionsphase wird Juventas mit unserem Instrument auf Dimorphos landen, um Gravitationsmessungen auf der Oberfläche durchzuführen. Dies ist auf einer Asteroidenoberfläche ein absolutes Novum. Hierdurch erhoffen wir uns, Informationen über die innere Struktur und Zusammensetzung des Asteroiden zu erhalten.
Die Gravitationskraft auf Asteroiden: Wo ist unten?
Die erste Herausforderung war die Gravitation: Auf dem Asteroiden ist dieser Wert etwa 200.000 Mal kleiner als auf der Erde und nicht auf der gesamten Oberfläche konstant, da Asteroiden meist keine kugelförmige Gestalt haben. Hierzu haben wir alleinverantwortlich die mechanische Entwicklung des Instruments übernommen – eine komplette Neuentwicklung für eine solch kleine Schwerkraft. Zudem haben wir auch die Oberflächengravitation des Asteroiden modelliert.
Für unsere Neuentwicklung gab es noch zwei weitere besondere Herausforderungen: Erstens war der Platz zur Unterbringung von GRASS im kompakten CubeSat sehr begrenzt. Zweitens kann die Ausrichtung des Instruments nach der Landung auf dem Asteroiden nicht kontrolliert werden, und wir kennen die Ausrichtung der Gravitation auf der Oberfläche nicht. Während die Gravitation auf der Erde fast perfekt „nach unten“ zeigt, ist dies auf den nicht kugelförmigen Asteroiden nicht der Fall.

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Vom Sprungbrett im Schwimmbad zum GRASS-Gravimeter
Das verlässlichste mechanische Grundprinzip des Gravimeters basiert auf einer Feder. Anhand der Verformung dieser Feder messen wir direkt die Gewichtskraft, welche auf die Feder wirkt. Da die Gewichtskraft das Produkt aus Masse und Gravitation ist, können wir bei bekannter Federmasse die Gravitation aus der Dehnung der Feder bestimmen. Eine Schraubenfeder, wie wir sie aus dem Kugelschreiber kennen, kam aber nicht infrage. Denn diese braucht relativ viel Platz, und die Verformung ist eindimensional (etwa entlang der Kugelschreibermine). Dieses Problem haben wir mit zwei rotierenden Biegefedern gelöst.
Ein Sprungbrett im Schwimmbad ist vergleichbar einer solchen Feder. Wenn ein Erwachsener vorne an der Kante steht, verbiegt sich das Brett mehr als bei einem Kind, da der Erwachsene eine höhere Gravitationskraft auf diese „Feder“ ausübt. Auf der Erde wäre dies schon unser Gravimeter. Um aber den 3D-Gravitationsvektor auf dem Asteroiden zu messen, rotieren wir diese Feder entlang der langen Achse und kombinieren zwei Federn, welche im Winkel von 90 Grad zueinander angeordnet sind.
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Durch die Rotation und die senkrechte Anordnung können wir sicher sein, dass es während der Drehung der Federn genau einen Messpunkt geben wird, bei dem die maximale, also die reale, Gravitation wirkt. Dies erlaubt uns die Rekonstruktion des Gravitationsvektors in 3D, ganz egal, wie das Instrument landet und wie der lokale Gravitationsvektor auf Dimorphos orientiert ist. Da die Verformung der Feder allein unter ihrem Eigengewicht viel zu klein gewesen wäre (auch das Sprungbrett ist leicht verformt, wenn niemand draufsteht), haben wir am Ende der Feder eine Masse aus dem Schwermetall Wolfram, das eine sehr hoher Dichte besitzt, angebracht.
Die Masse ist also die Person auf dem Sprungbrett ganz vorne an der Kante, um die Verformung zu maximieren. Lieber als Wolfram wäre uns übrigens Platin mit noch höherer Dichte gewesen, aber auch Raumfahrtprojekte haben nur begrenzte Budgets… Aber wie ist nun der lokale Gravitationsvektor auf einem Asteroiden orientiert, und was sagt uns dies über den inneren Aufbau des Himmelskörpers?
Simulationen helfen bei der Vorbereitung der Messungen
Die genaue Ausrichtung des Gravitationsvektors lässt sich ohne die Messungen durch unser Instrument nicht vorhersagen. Allerdings können wir vorab Hypothesen aufstellen, mit denen wir die erwartbare Spannweite der Gravitation simulieren. Hierzu haben wir Annahmen über die Form und die Dichte des Asteroiden getroffen und die resultierende Oberflächengravitation simuliert. Die Dichte des Asteroiden ist bei bekanntem Volumen (welches von Kameras vermessen werden wird) direkt proportional zur Gravitation. Und wenn wir aus der Gravitation die Dichte des Asteroiden herleiten können, so können wir auch eine Aussage über das Material des Körpers treffen. Handelt es sich eher um einen Körper aus Wassereis, oder doch aus Stein? Gibt es Hohlräume?
Durch die Kombination dieser Informationen mit den Daten der anderen Hera-Instrumente hoffen wir, einen noch genaueren Einblick ins Innere des Asteroiden zu erhalten. Durch das mitfliegende JuRa-Radar, an dem die Technische Universität Dresden maßgeblich beteiligt ist, können wir beispielsweise Hohlräume im Asteroiden detektieren. Insgesamt hat also der theoretische Simulationsteil nicht nur die Entwicklung des Instruments unterstützt, indem der (grobe) Messbereich vorab simuliert wurde, sondern es wurde auch die Interpretation der Messdaten vorbereitet. Mit der Hera-Mission und unserer Arbeit wollen wir zum besseren Verständnis der kinetischen Ablenkung eines Asteroiden beitragen, in der Hoffnung, dass dieses Wissen niemals für den Ernstfall benötig wird… und wenn doch, dann sind wir den Dinos um eine Nasenlänge voraus.
Weiterführende Links
- Hera Missionsseite bei der ESA (engl.)
- DLR-Pressemeldung: Asteroidenmission Hera: Naher Vorbeiflug an Mars und Marsmond Deimos
- DLR-Pressemeldung: In Deutschland gebaute ESA-Raumsonde Hera nimmt erdnahe Asteroiden unter die Lupe
- CubeSat Juventas bei der ESA (engl.)
- DLR-Blogbeitrag: Vor zehn Jahren: der Meteoritenfall von Tscheljabinsk
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