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Projekt QUID-REGIS

Jenseits des Sichtbaren: Die dynamische Ionosphäre entschlüsseln

Animation: Ionosphären-Schwankungen besser verstehen - Projekt QUID-REGIS (engl.)
Die Sonne ist die treibende Kraft der Atmosphäre und beeinflusst besonders die Ionosphäre. Doch selbst in Zeiten geringer Sonnenaktivität (Solar quiet periods) treten Schwankungen auf. Bodengestützte- und satellitenbasierte Messungen der Swarm-Mission bilden die Datengrundlage zur Untersuchung der atmosphärischen Wellendynamik - wie planetare Wellen und Schwerewellen - in diesem Höhenbereich. Dabei spielt auch das Luftleuchten (Airglow) eine wichtige Rolle.

Wenn wir in den wolkenlosen Himmel blicken, erscheint er oft ruhig, stabil und vorhersehbar. Doch die Atmosphäre über uns ist alles andere als statisch. Sie ist ein hochdynamisches komplexes System, das ständigen Einflüssen ausgesetzt ist. Diese stammen sowohl aus der Erdatmosphäre selbst (intrinsisch) als auch aus dem Weltraum (extrinsisch). Betroffen ist davon auch die Ionosphäre. Eine Schicht geladener Teilchen, die bei etwa 60 Kilometer Höhe beginnt und sich bis in mehrere hundert Kilometer ausdehnt. Sie ist für Anwendungen der Satellitennavigation und Kommunikationssysteme wie den Funkverkehr von entscheidender Bedeutung. Störungen der Ionosphäre können zu Signalverzögerungen, Fehlern bei Geo-Lokalisierungsdiensten und zur Beeinträchtigung bei Hochfrequenz-Übertragungen führen. Es ist daher unerlässlich, diese Schwankungen genauer zu untersuchen und zu verstehen. Ziel ist es, sie unter anderem in Vorhersage-Modellen besser abbilden zu können, die etwa für die Korrektur von Signalverzögerungen bei globalen Navigationssystemen eingesetzt werden.

Das ist keine einfache Aufgabe, denn die Atmosphäre ist ein komplexes System – Strahlung, Chemie und Dynamik greifen ständig ineinander. Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert, wie diese Mechanismen zusammenwirken und unseren Alltag beeinflussen.

Planetare Wellen und Schwerewellen

Da sind zum Beispiel die sogenannten „planetaren Wellen“, die sich in den mittleren Breiten durch die Atmosphäre bewegen. Diese großräumigen und unseren Planeten umspannenden Wellen steuern Hoch- und Tiefdruckgebiete. In Wetterkarten sind sie oft als wellenförmige Luftströmungen erkennbar, deren Wellenlängen tausende Kilometer weit reichen. Sie formen damit unser Wetter, können Stürme, Kälte- und Hitzewellen verstärken oder abschwächen. Planetare Wellen breiten sich auch in die Höhe aus, sodass sie praktisch die gesamte Atmosphäre beeinflussen. Am Himmel kann man häufig einen weiteren prominenten Wellentyp beobachten, der sich auf viel kleineren Skalen in Raum und Zeit bewegt: Schwerewellen. Sie entstehen etwa, wenn Luft über Berge strömt. Die Schwerewellen sind dann oft im Lee der Berge als rippenförmige Wolkenstrukturen am Himmel zu erkennen.

Allen diesen Wellentypen ist gemeinsam, dass sie Energie transportieren, oft über große Strecken hinweg – bis sie irgendwann und irgendwo brechen, und ihre Energie wieder an die umgebende Atmosphäre abgeben. Wir wissen heute, dass der Fußabdruck, den solche Wellen beim Durchgang durch die Atmosphäre hinterlassen, bisweilen auch in der Ionosphäre vorhanden ist. Die Vermutung liegt also nahe, dass Wellen (als intrinsischer Effekt) vielleicht auch für signifikante Störungen in der Ionosphäre verantwortlich sind. Das von der ESA finanzierte Projekt QUID-REGIS ist darauf ausgerichtet, hier einen Beitrag zur Erweiterung des wissenschaftlichen Verständnisses zu leisten. Die Arbeiten soll ermöglichen natürliche Schwankungen in der Erdatmosphäre besser einzuordnen, atmosphärische Kopplungsmechanismen systematisch zu untersuchen und damit die Ionosphäre – ein wichtiges Schutzschild unserer Erde – noch besser zu verstehen.

Komplexe Prozesse leicht verständlich darstellen

Seit etwa eineinhalb Jahren bin ich im Earth Observation Center (EOC) des DLR in der Abteilung Atmosphäre als studentische Hilfskraft bei unterschiedlichen Projekten dabei. Währenddessen habe ich für mich herausgefunden, dass ich von der Wissenschaft unglaublich fasziniert bin. Ich möchte die Erkenntnisse aus der Forschung so aufbereiten, dass es ein breiteres Publikum begeistert und dieses verständlich informiert wird. Aktuell unterstütze ich das QUID-REGIS-Team dabei, die oben skizzierte Forschungsfrage der Öffentlichkeit näher zu bringen. In dem Projekt erforschen wir, welche Einflüsse die atmosphärische Wellendynamik auf die Variabilität der Ionosphäre hat.

Doch wie kann man sich das vorstellen? Die Prozesse und Größenordnungen, die hier eine Rolle spielen, sind oft nicht immer intuitiv verständlich. Viele Menschen haben deswegen keine konkrete Vorstellung davon. Welche Prozesse sind maßgeblich beteiligt? Und welche Messungen sind zu deren Entschlüsselung notwendig? Um dieses komplexe Thema greifbarer zu machen, habe ich eine Animation entwickelt, die die Projektidee von QUID-REGIS veranschaulicht. Dargestellt sind die damit zusammenhängenden grundlegenden physikalischen Mechanismen der Atmosphärenprozesse sowie deren verschiedene Messmethoden. Diese Visualisierung soll helfen, auch interessierten Laien einen besseren Zugang zu den unsichtbar scheinenden Kräften zu bieten, die die obere Atmosphäre der Erde beeinflussen.

Um den Einfluss der Sonne (also extrinsische Einflüsse) auf die Ionosphäre so gut es geht auszuschließen, konzentriert sich das Projektteam auf Zeiträume geringer Sonnenaktivität, sprich Zeiten mit „ruhigem Weltraumwetter“. Diese Zeiträume bieten die Gelegenheit, die Reaktion der Ionosphäre auf die inner-atmosphärische Dynamik untersuchen, ohne dass diese vom äußeren solaren Einfluss maskiert werden. Verschiedene Sensoren und Messverfahren kommen zum Einsatz, um die Ionosphäre und den Bereich der Atmosphäre unmittelbar darunter zu erfassen und zu analysieren. Insgesamt betrifft dies den Höhenbereich von etwa 80 bis 300 Kilometer:

Messungen im Weltraum und vom Erdboden aus

Die ESA-Satellitenmission Swarm, die sich der Beobachtung des Erdmagnetfelds und seiner zeitlichen Veränderung widmet, liefert hochauflösende Messdaten der Atmosphäre zu Magnetfeld, Strömungen und Wechselwirkungen zwischen geladenen und neutralen Teilchen. Ergänzt werden diese durch bodengebundene Messungen. Dazu gehören insbesondere Airglow- und Doppler-Messungen, die Aufschlüsse auf die Atmosphärendynamik in diesem Höhenbereich erlauben.

Die Airglow-Messungen konzentrieren sich auf Emissionen von photochemisch angeregten Hydroxyl-(OH) Molekülen und Sauerstoffatomen: Wichtige Merkmale sind die durch spezielle Airglow Kameras gut sichtbar gemachte Infrarot-Emission in 80 bis 90 Kilometer, die grün schimmernde Sauerstoff-Emission in 90 bis 100 Kilometer und die rot erscheinende Sauerstoff-Emission in 200 bis 300 Kilometer Höhe. Zusammen bieten diese Emissionen wichtige Einblicke in die Chemie der oberen Atmosphäre und ihre Verbindung zu Schwankungen in der Ionosphäre. Aus den gesammelten Messungen lassen sich Rückschlüsse auf die Verbindung zwischen der Ionosphäre und tieferen Atmosphärenschichten ziehen.

Immer dann, wenn unerwartete Variationen in den Swarm-Daten gemessen werden, analysiert das QUID-REGIS-Team statistisch, ob Wellen aus der unteren Atmosphäre als Ursache in Frage kommen. Zur Klärung dieser Frage werden die bodengestützten Messungen aus dem gleichen Zeitraum herangezogen. Auch bindet das Team das IRI-Modell (International Reference Ionosphere) ein. Dieses liefert globale Referenzwerte für wichtige ionosphärische Parameter, wie die Elektronendichte oder Ionen-Zusammensetzung, basierend auf jahrzehntelangen Messungen. Durch das QUID-REGIS-Projekt soll das IRI-Modell selbst gezielt weiterentwickelt werden – etwa durch das Einbinden vom DLR entwickelter (Aktivitäts-)Indizes, die die Aktivität der Wellen in der Atmosphäre charakterisieren.

Über QUID-REGIS

Das Projekt QUID-REGIS (QUiet Ionospheric Disturbances REsearch based on Ground-based mesospheric and Ionospheric data with Swarm data) wird von der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA finanziert und läuft seit Februar 2024. Für Februar 2026 ist der Projektabschluss geplant. Hauptauftragnehmer ist das Erdbeobachtungszentrum des DLR. Als Unter-Auftragnehmer sind die Czech Academy of Sciences mit dem Institute of Atmospheric Physics (Tschechische Republik) und die Slovak Academy of Sciences mit dem Institute of Experimental Physics (Slowakei) beteiligt.

Es wird vermutet, dass die wenig verstandene und damit bislang unterschätzte Variabilität der Ionosphäre besonders in Zeiten mit wenig Sonnenaktivität besser erfasst werden kann. Diese Schwankungen können sodann durch das Einbinden der besprochenen Messungen und Indizes besser repräsentiert werden. So trägt das Projekt auch dazu bei, ionosphärische Modelle langfristig zu verbessern. Das ist zukünftig sowohl für wissenschaftliche Forschung als auch für praktische Anwendungen wie in der Satellitenkommunikation und Navigation von Bedeutung

Dabei hoffe ich auch weiterhin Teil solcher Projekte zu sein und dabei die faszinierenden natürlichen Prozesse unserer Erde erlebbar zu machen und zu vermitteln.