Robotische Exploration

Am Institut SR wird Simulationsexpertise für die robotische planetare Exploration kontinuierlich aufgebaut. Das Expertenwissen wird in Form von Modellbibliotheken zugänglich gemacht und im Rahmen von Raumfahrtmissionen mit Rovern (zum Beispiel IDEFIX Rover für Martian Moons eXploration; JAXA oder ExoMars Rover; ESA), Asteroidenlandern (zum Beispiel MASCOT Mobility Unit; JAXA) oder Penetrationssystemen (zum Beispiel InSight HP3; NASA) angewendet. Prädiktion und Verifikation der Systemdynamik sowie modellbasierte Regelung und Fehlerdetektion stehen im Fokus der Forschungsarbeiten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Terramechanik. Das SR Rover Simulation Toolkit, das für den Entwurf planetarer Mobilitätssysteme eingesetzt wird, bietet deshalb eine breite Palette von Bodenkontaktmodellen an. Diese reicht von echtzeitfähigen Lösungen über Modelle mit plastischer Bodenverformung bis hin zu komplexen Partikelmodellen. Die Entwicklung und Validierung der Modelle erfolgt auf Basis experimenteller Einzelrad- und Gesamtsystemtests sowie verfügbarer Missionsdaten.

Rover Simulation Toolkit: Eine Bibliothek mit Basiselementen zur Simulation von Rovern in der planetaren Exploration

Das Expertenwissen wird in Form von Modellbibliotheken zugänglich gemacht und im Rahmen von Raumfahrtmissionen mit Rovern (zum Beispiel IDEFIX Rover für Martian Moons eXploration; JAXA oder ExoMars Rover; ESA), Asteroidenlandern (zum Beispiel MASCOT Mobility Unit; JAXA) oder Penetrationssystemen (zum Beispiel InSight HP3; NASA) angewendet.

Mit Ausnahme des Mondes ist es für Menschen noch nicht möglich Oberflächen anderer Himmelskörper des Sonnensystems zu betreten. Und auch in Vorbereitung auf Missionen mit Menschen sind fahrende Roboter, sogenannte Rover, sehr wichtig und hilfreich.

Die Bedingungen z.B. auf dem Mars sind aber sehr unterschiedlich als auf der Erde. Anziehungskraft, Atmosphäre, Tag-Nacht-Rhythmus und Temperaturen weichen zum Teil erheblich von den Erdbedingungen ab. Es ist sehr wichtig die Roboter vor dem Start ausgiebig zu testen, weil ein Eingreifen danach nicht mehr möglich ist. Da die Umgebung im Labor oft nicht gut genug nachgebildet werden kann, helfen Simulationen dabei die Rover zu testen. Zusätzlich sparen Simulationen Zeit und Geld im Entwicklungsprozess.

Die Gruppe „planetare Exploration“ am Institut SR hat zu diesem Zweck eine Bibliothek angelegt: das Rover Simulation Toolkit, kurz RST. Es enthält eine Vielzahl verschiedener Basiselemente, mit denen sich schnell und einfach Roversimulationsmodelle zusammenstellen lassen. Es baut auf der Modellierungssprache Modelica[1] auf und erweitert die mechanischen und elektrischen Elemente der Modelica Standard Library für Roversimulationen. Modelica hat zudem eine einfache Schnittstelle, mit der man auf externe Bibliotheken zugreifen kann. Schließlich lassen sich Modelle auch exportieren, sodass man sie in andere Software, z.B. Matlab, integrieren und ausführen kann.

Validierung der Modelle

Die Simulationsmodelle planetare Rover werden zum einen im Labor auf Prüfständen wie dem TROLL (LINK) und dem PEL validiert. Zum anderen werden Modelle von Gesamtsystemen wie dem SCOUT auch im Rahmen von Testkampagnen auf Analogumgebungen (z.B. auf dem Vulkan ETNA oder im DLR eigenen Freiluft Testfeld) evaluiert.

Domänen

Das Rover Simulation Toolkit vom Institut SR umfasst viele Aspekte eines Roboters. Der Fokus liegt auf dem Lokomotionssubsystem, aber der gesamte Rover bleibt stets im Blick. Domänen wie Kommunikation, Materialien und Nutzlast sind nicht Teil des RST. Diese werden meistens gesondert simuliert und getestet. Das RST lässt sich aber relativ einfach erweitern.

Mechanik

Zu den mechanischen Bauteilen im RST gehört alles was eine Masse und Massenträgheit hat. Die Starrkörpermechanik, wie in der Modelica Standard Library implementiert wird verwendet, es gibt aber auch die Möglichkeit flexible Elemente einzufügen oder Starrkörper mit Federn und Dämpfern miteinander zu verbinden.

Besonders ausführlich sind Räder modelliert, wichtige Bauelemente von Rovern. Sie setzen sich zusammen aus einem Zylinder oder einem Ring mit sog. Grousern, das sind kleine Sprossen oder größere Schaufeln entlang des Mantels, die mit Parametern sehr verschiedenartig zusammengestellt werden können. Für die Simulation der Räder, die in sandigem Boden fahren und dabei auf kleine und große Steine stoßen, hebt sich das RST von anderen Bibliotheken ab, dass es eine sehr umfangreiche Auswahl an Kontaktdynamik- und Terramechanik-Modellen hat. Die Modelle reichen von einfachen Annäherungen nach M. G. Bekker über Modelle aus maschinellem Lernen und allgemeine Kontaktmodelle nach H. Hertz bis hin zum sehr detaillierten Soil Contact Model SCM, das auch die Verformung des Bodens berücksichtigt. Noch präzisere Methoden der Kontaktberechnung auf Basis von Partikelsimulation sind nicht Teil des RST, weil diese nur für ein Rad allein sinnvoll sind.

Aktorik und Sensorik

Roverräder und andere aktive mechanische Elemente müssen auch im Simulationsmodell angetrieben werden. Das RST bietet dazu eine Unterbibliothek von Servoantrieben mit unterschiedlichem Detailgrad. Im einfachsten (idealen) Fall wird die gewünschte Position oder Geschwindigkeit eins zu eins umgesetzt, im kompliziertesten (realistischeren) Fall wird ein gesamter Elektromotor simuliert. Dazwischen gibt es noch weitere Aktuatormodelle, bei denen z.B. der Wirkungsgrad kleiner als 1 ist. Federmechanismen, die nur einmal ausgelöst werden, um z.B. Klappen oder Solarpaneele zu öffnen, gibt es ebenfalls.

Ähnlich wie bei den Aktuatoren gibt es auch bei den Sensormodellen im RST ideale und nichtideale Versionen. Nichtideale Sensoren haben z.B. eine obere und untere Messgrenze, eine endliche Präzision (z.B. nur zwei Nachkommastellen) oder sind rauschbehaftet.

Der Aufbau der Bibliotheken des RST ermöglicht dabei immer ein einfaches Austauschen der verschiedenen Modelle für Aktorik und Sensorik, weil die Schnittstellen zur Mechanik einheitlich sind.

Thermale Aspekte

Auf fremden Planeten und Monden herrschen ganz andere Temperaturen als auf der Erde. Wärmeaustausch über Konvektion gibt es nur mit einer Atmosphäre. Temperatur und Wärmeaustausch beeinflussen aber auch den Wirkungsgrad von Motoren oder die Genauigkeit von Sensoren. Im RST sind diese thermalen Aspekte im kleinen Maßstab implementiert. Weil die meisten Simulationsszenarien kurz sind, kann von einer konstanten Temperatur ausgegangen werden, also auch von konstanten Wirkungsgraden in den Aktuatoren.

Für Szenarien mit sehr langer Zeit gibt es aber auch eine einfache Thermalsimulation für Rover im RST, die bei Bedarf erweitert werden kann. Auch hier erweist sich die Modelica-Grundlage als Vorteil.

Interne Kommunikation und Regelung

In einer Simulation auf einem Rechner sind immer alle Größen und Signale genau bekannt. Auf der Hardware ist das nicht der Fall. Rover im RST haben deshalb immer ein Bussystem, das den Datenaustausch innerhalb der Subsysteme gewährleistet und nur real messbare Größen enthält. Die anderen Daten werden nur zur späteren Auswertung gespeichert.

Anhand der Informationen aus den Bussen können Regler für einzelne Mechanismen, für das Chassis aber auch zur Navigation implementiert werden. Damit ist das RST ein sehr gutes Werkzeug für Reglertests. Entwurf und Software-in-the-Loop-Tests sind im großen Stil möglich. Sowohl die Implementierung der Regler in Modelica direkt im RST als auch Zugriff auf externe Steuersoftware ist möglich. Alternativ lässt sich auch das gesamte Rovermodell exportieren um in einer anderen Simulationssoftware benutzt zu werden.

Regelung

In der Regel sind Rover überaktuiert, d.h. sie besitzen mehr Freiheitsgrade – also Motoren – als sie für die Umsetzung einer Bewegungsanforderung bräuchten. Dies eröffnet die Möglichkeit, weitere Kriterien wie zum Beispiel den Radschlupf oder den Energieverbrauch zu optimieren. Die umfangreiche Modellbibliothek mit Teilmodellen verschiedener Detailgrade ermöglicht die Entwicklung solcher Fahrwerksregler. Während einfache Modelle für die Reglersynthese verwendet werden, kann die Entwicklung anschließend mit komplexeren und genauen Modellen verifiziert werden.

Hilfsmittel

Am Institut SR wird auch die Modelica-Visualisierungs-Bibliothek entwickelt. Diese ist voll im RST integriert, sodass bei Simulationen neben Daten auch 3D-Animationen gespeichert werden.

Es ist auch möglich die Simulation der Mechanik, Aktuatoren und Sensoren im RST durch Schnittstellen zur Hardware zu ersetzen. Die Modelica-Bibliotheken für Treiber und hardwarenahe Kommunikation werden dabei genutzt. Damit kann man ein Roversimulationsmodell auch als Steuersoftware für die Hardware nutzen, wie z.B. beim Scout-Rover (siehe weiter unten) geschehen. Das bedeutet, dass Simulation und Hardware mit der gleichen Regelungssoftware betrieben werden.

Validierung der Modelle

Eine Simulation ist nur dann gut und nützlich, wenn man ihren Ergebnissen trauen kann. Diese Validierung der Modelle bezieht sich beim RST vor allen Dingen auf die Terramechanik. Dafür steht am Institut SR der sog. TROLL bereit. Ein Roboterarm fährt dabei mit vorgegebener Trajektorie über ein Sandkasten entlang, während sich am Ende des Arms ein Rad mit vorgegebener Geschwindigkeit dreht. Kräfte und Momente an der Radaufhängung werden gemessen und mit dem gleichen Test in der Simulation verglichen. Während die einfachen Terramechanikmodelle meistens nur Größenordnungen und globale Trends adäquat wiedergeben, kommt das Soil Contact Model SCM relativ gut an die Messwerte heran.

Missionen

Unter anderem in den folgenden zwei Projekten wird das Rover Simulation Toolkit eingesetzt.

Martian Moons Exploration MMX Rover IDEFIX

Zusammen mit CNES aus Frankreich beteiligt sich das DLR an der JAXA- (Japan) -Mission MMX mit einem kleinen Rover (etwa 25 kg), der 2028 auf dem Marsmond Phobos fahren wird. Dort ist die Anziehungskraft 2000 Mal kleiner als auf der Erde. Das hat Auswirkungen auf den Sandboden und macht repräsentative Tests auf der Erde schwierig bis unmöglich.

Simulationen des Rovermodells im RST haben beim Entwurf von IDEFIX entscheidende Beiträge geleistet. Die Kontaktdynamik im RST war dabei besonders wichtig. Die Modelle sind mit Messdaten vom TROLL aber nur für die Erdanziehungskraft validiert. Man weiß von den Rovern auf dem Mars, dass einige Parameter mit der Gravitation skalieren, ob das aber auch für Phobos mit seiner 2000 Mal geringeren Anziehungskraft gilt, ist unbekannt. Diese Frage wird erst beantwortet werden, wenn IDEFIX 2028 auf Phobos fahren wird. Die Simulation wird dabei auch für den Betrieb des Rovers sehr hilfreich sein.

Space Cave Exploration Unit SCOUT

Das DLR Institut SR treibt die Entwicklung eines innovativen Rovers voran, dessen Ziel die Erkundung von Höhlen auf dem Mars ist. Von Anfang an spielt dabei die Simulation des Rovers eine wichtige Rolle z.B. bei der Auslegung der Räder, Modulverbinder und zum Testen der Software. Diese simulationsgetriebene Entwicklung spart Zeit und Geld und eröffnet auch Perspektiven der Kooperation, weil Partner ihre Systeme, Nutzlasten und Software vorab an der Simulation anpassen und testen können, ohne direkt Zugriff auf die Hardware zu haben.

[1] https://modelica.org/, am 13.03.2024