Sojus zieht "Warteschleifen"
Das Annähern und Andocken ist kein triviales Manöver. Nicht nur, dass sich beide Raumschiffe mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit bewegen - ich erinnere mich mit Schaudern an das "Bord-an-Bord-Fahren" während meiner Motorbootprüfung, wo sich zwei mehrtonnenschwere Boote mit doch beträchtlicher Geschwindigkeit einander seitlich auf ein paar Zentimeter annähern müssen. Auch gehorchen die Bewegungen im Orbit nicht den Regeln, mit denen wir aus dem täglichen Leben vertraut sind: eine Beschleunigung in Fahrtrichtung bedeutet nach den Regeln der Bahnmechanik nicht eine bloße Geschwindigkeitszunahme, sondern ein seitliches Auseinandertriften der Flugkörper, sogar ein langsameres Vorankommen - eine der Lieblingsfragen meines Physikprofessors in der Diplomprüfung: Was muss ein Satellit machen, um einen anderen zu überholen? Die Musterlösung: Der Satellit muss bremsen. Damit hat er seine Gesamtenergie erniedrigt und fällt im Verlauf des weiteren Flugs auf eine niedrigere Bahnhöhe als sein Kamerad. Niedrigere Bahn heißt aber immer auch größere Geschwindigkeit - und schon ist er vorne!
Die Annäherung einer Sojus-Kapsel an die ISS folgt daher einer komplizierten Choreografie: eine genau definierte Serie von Zündungen der Triebwerke mit festgelegter Brenndauer - oft stundenlange Phasen freien Drifts dazwischen. Und diesmal wurde einer dieser "Burns" durch den Sojus-Computer nicht freigegeben, weil ein Parameter, der die korrekte Ausrichtung des Raumschiffs für die Kurskorrektur anzeigen sollte, noch nicht den richtigen Wert aufwies. Damit war die Chance eines schnellen Andockens vertan - jetzt muss nicht nur untersucht werden, was schief gelaufen ist, sondern auch der so eng getaktete Zeitplan des Rendezvous sowie der Astronauten an Bord der ISS über Tage umgeplant werden.
Das wird mein Team wohl in der Frühschicht heute sehr beschäftigt halten: Wir hätten einige Arbeit für die Astronauten in den nächsten Tagen gehabt – und diese muss jetzt in einem sehr bürokratischen und aufwändigen Prozess nach hinten verschoben werden.
Noch mehr trifft es die amerikanischen und russischen Kollegen – die müssen schließlich auch noch die Fluglage der ISS, deren Position für die Annäherung, die vielen Instrumente, die das Docking überwachen und steuern, die Kommunikationseinrichtungen an Bord und am Boden und vieles mehr umplanen, neu berechnen, analysieren.
Am ärmsten sind freilich Alexander Skworzow, Oleg Artjomjew und Steven Swanson dran in ihrer engen Kapsel. Zwar ist ihr neuer Anflug an die ISS für viele Jahre der Standard gewesen und das schnelle "four-orbit rendezvous" war erst in den letzten zwei Jahren etabliert worden, aber es wäre ja so schön gewesen, die ISS flott zu erreichen und endlich mit der Arbeit auf der Raumstation zu beginnen, für die sie viele Jahre trainiert hatten.
Alex Gerst verfolgt diesen Sojus-Flug sicher sehr gespannt: Der nächste Start dieses Raumschiffs wird den deutschen ESA-Astronauten das erste Mal ins Weltall bringen!
Bild 1: Sojus-Kapsel (Bild: NASA)
Bild 2: Nach selbstbewusstem Start, wie dieses Foto mit langer Belichtungszeit zeigt, muss die Sojus-Kapsel jetzt auf das Andocken warten (Bild: NASA)
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