Bettruhestudie SANS-CM: Von Andockmanövern im Liegen, Gitarrenkonzerten und Wackelpudding in den Beinen
Die erste Kampagne der SANS-CM-Bettruhestudie ist vorbei und die Vorbereitungen der Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR für die nächste im Frühjahr 2022 laufen bereits. Während die Probandinnen und Probanden ihre letzten Tage nach ihrer 30-tägigen Bettruhe auf der Probandenstation des :envihab verbringen, arbeitet das Team an der Aufbereitung der umfangreichen Daten und der Fortsetzung der Studie mit neuen Testpersonen. Bevor sie ihre Koffer für ihren Auszug Ende November packen, um ihr eigentliches Leben wieder aufzunehmen, haben wir die Teilnehmenden nach ihren Erfahrungen befragt.
Probandin F1, 35 Jahre, gelernte Tischlerin, die sich nun in den Bereichen Körperarbeit und Kunst weiterbildet, ist immer offen für Neues. Sie mag Herausforderungen und ihr ist regelmäßige Bewegung sehr wichtig. Gerade das hat sie auch zur Bewerbung für diese Studie motiviert: Sie wollte herausfinden, wie es sich anfühlt, einmal 30 Tage nicht aufstehen zu können.
Um es vorweg zu nehmen: Sie würde es wieder machen. Während der Liegephase hatte sie zwar auch Strecken, in denen es ihr schwerer fiel, aber nach dem Aufstehen erholte sie sich schnell und die wackeligen Beine, der Muskelkater, das unsichere Laufen waren nach zwei Tagen vorbei. Auch mental war es für sie viel einfacher als gedacht, sie hatte erwartet, dass ihr die fehlende Bewegung psychisch nicht guttun würde. Im Gegenteil empfand sie es aber sogar als Erleichterung, sich um nichts kümmern zu müssen. Das Essen wurde gebracht, alle alltäglichen Dinge oder Organisatorisches wurden ihr abgenommen.
Gerade weil sie vor der Studie eine hektische Zeit verbrachte, war die Studie für sie fast eine „zweimonatige Auszeit“. Sie nutzte die Zeit für Meditation und fing wieder an zu zeichnen. Ihre „Reise nach Innen“, wie sie es nennt, hat sie beruhigt und ihr geholfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Da sie in der Kontrollgruppe war, setzte sie sich in der Bettruhephase täglich für sechs Stunden auf. Dabei konnte sie ihrer Leidenschaft für das Gitarrespielen nachgehen und die Mit-Probandinnen und -Probanden waren begeistert von den Konzerten.
30 Tage Liegen sind eine enorme Belastung des Körpers – durch Nichtbelasten
Der 25-jährige Proband M1, selbständiger Webdesigner und IT-Allrounder, fand vor allem das Aufstehen faszinierend: Das Aufrichten aus der Sechs-Grad-Kopftieflage findet auf einem sogenannten Kipptisch statt, der die Teilnehmenden nach ihrer 30-tägigen Bettruhe in Kopftieflage innerhalb von ein paar Sekunden in eine stehende Position bringt. Auch das ist bei uns ein wissenschaftliches Experiment, mit dem das Herz-Kreislauf-System getestet wird. Proband M1 strahlt, als er erzählt, wie sich das angefühlt hat: Zunächst wurde ihm etwas schwindelig, ihm wurde warm und kalt, die Atmung fiel schwerer, bevor er dann nach ein paar Minuten erst einmal zur Erholung wieder für ein paar Minuten in die Horizontale gekippt wurde.
Und dann das erste „richtige“ selbständige Aufstehen: Selbst aufrichten, das Gewicht des Körpers und des Kopfes erstmals wieder wahrnehmen, die Füße spüren den Druck des eigenen Gewichts, die Beine zittern bei den ersten Schritten, dann hinsetzen in den Rollstuhl. Er fühlte sich gleichzeitig glücklich, benebelt, etwas schwach und auch ein bisschen stolz. Der sogenannte Tilt Table war für ihn das spannendste Experiment, auf das er sich während der 30 Tage Liegen am meisten gefreut hat. Und auch das Aufstehen der anderen Probandinnen und Probanden war etwas Besonderes: Für jeden der insgesamt zwölf wurde ein kleiner Empfang gegeben und man tauschte direkt die Erfahrungen mit dem Kipptisch aus.
Nach seinem Auszug wird M1 erst einmal Freunde und Familie in Form eines Roadtrips besuchen. Die Familie war zunächst skeptisch, ob die Teilnahme an einer solchen Studie eine gute Idee ist. Aber nach dem ersten Telefonat konnte er sie davon überzeugen, dass es ihm gut gehe und er die Zeit tatsächlich genieße. Viel dazu beigetragen hat auch für ihn das Teamerlebnis: Obwohl sich keiner der zwölf vorher kannte, fügten sie sich von Anfang an zu einem hervorragenden Team „terrestrischer“ Astronautinnen und Astronauten zusammen.
Aufstehen mit Wackelpuddingbeinen
Das Team und ihre gemeinsame Herausforderung waren auch für die anderen Teilnehmenden sehr wichtig. Die 29-jährige Probandin E1, Fluggeräte-Mechanikerin, berichtet, dass ihr die Gemeinschaft und der Austausch sowie gegenseitige Motivation sehr geholfen haben. Vor allem die langen Konzentrationsphasen bei den umfangreichen Augenuntersuchungen waren nicht einfach. Überraschend für sie war, dass sie trotz ihres üblicherweise sehr aktiven Lebens in der Studie nicht zappelig und unruhig wurde.
Gerade das Liegen in der Unterdruckkammer für sechs Stunden am Tag hatte sie sich schwierig vorgestellt und empfand es dann eher als gemütlich. Das Aufrichten auf dem Kipptisch war auch für sie ein Highlight: „Auf einmal spürt man wieder das Gewicht, die Schwere, man muss den Kopf bewusst gerade halten und hat Wackelpudding in den Beinen.“ Aber nach den ersten Stunden aufrecht im Rollstuhl war auch das schon wieder normal. Am meisten freut sie sich auf das Ausschlafen zuhause, außerdem auf frische Luft und Fahrradfahren in der Natur. Die Erfahrung der Bettruhestudie möchte sie keinesfalls missen und würde sofort wieder mitmachen.
Docking-Training – ein Raumschiff anzudocken ist ein sehr anspruchsvolles Manöver mit sechs Freiheitsgraden
Proband B1, 31 Jahre, Bioinformatik-Student, hat nach dem Aufstehen noch etwas Rückenschmerzen und wird regelmäßig von den Physiotherapeuten betreut. Er gehörte der Kontrollgruppe mit sechs Stunden Sitzen am Tag an. Obwohl er also die aufrechte Position gewohnt war, war das Aufrichten auf dem Kipptisch für ihn ein neues Gefühl. Dort fühlte er sich in den ersten Minuten ein bisschen betrunken und zittrig. Für ihn war das Andock-Experiment, bei dem man im Liegen auf einem Bildschirm mit sechs Freiheitsgraden an ein Raumschiff andocken muss, eins der spannendsten Experimente. Vor allem begeisterte ihn aber, Teil eines Teams in der Raumfahrtforschung zu sein und gemeinsam diese Herausforderung zu meistern.
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