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Bettruhestudie SANS-CM: Radeln gegen die Schwerelosigkeit

Mit der dritten und vierten Kohorte an Probandinnen und Probanden wird die Gegenmaßnahme Radfahren (45 Minuten) mit anschließendem Tragen von Druckmanschetten an den Oberschenkeln (sechs Stunden) getestet
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© DLR: Alle Rechte vorbehalten

Die dritte Kampagne der großen NASA-Bettruhestudie SANS-CM geht gerade zu Ende, der vierte und letzte Durchgang wird Anfang Mai starten. Insgesamt zwölf Personen pro Kampagne sind für die Studie zu terrestrischen Astronautinnen und Astronauten geworden. Sie sind Teil der aktuellen Bettruhestudie zur Erforschung von Gegenmaßnahmen gegen den körperlichen Abbau bei einem Langzeitraumflug und -aufenthalt in der Schwerelosigkeit. Die Studie findet im :envihab, der luft- und raumfahrtmedizinischen Forschungseinrichtung des DLR in Köln, statt.

Für insgesamt 59 Tage sind die Probandinnen und Probanden dort: Nach einer 15-tägigen Vorbereitungsphase liegen sie für insgesamt 30 Tage ohne Unterbrechung im Bett, dann stehen sie wieder auf und bleiben für weitere 14 Tage für Reha und Nachuntersuchungen im :envihab. Zur Erinnerung: Während der Bettruhe ist das Kopfende des Betts um sechs Grad nach unten geneigt, es gibt kein Kissen. So verteilen sich die Flüssigkeiten im Körper wie in der Schwerelosigkeit: von den Beinen in Richtung Kopf.

In der Studie mit dem Titel Spaceflight-Associated Neuro-Ocular Syndrome Countermeasures study (SANS-CM) geht es vor allem um die Flüssigkeitsverschiebung in den oberen Teil des Körpers: Wenn die Schwerkraft fehlt, steigt mehr als ein halber Liter Flüssigkeit in die obere Körperhälfte. Das führt zu einem sogenannten ‚Puffy face‘, also Schwellungen im Gesicht, aber auch einer Veränderung der Druckverhältnisse im Kopf. Die daraus resultierenden neurologischen Auswirkungen führen zu Einschränkungen beim Sehen. „Das ist gerade für Langzeitmissionen ein großes Problem, denn Astronautinnen und Astronauten benötigen ihre volle Sehkraft“, erklärt Edwin Mulder, DLR-Projektleiter der Studie.

Zweimal täglich für drei Stunden lag in den ersten beiden Kampagnen der Studie ein Teil der Probandinnen und Probanden von der Hüfte abwärts in den Unterdruckkammern LBNP (kurz für Lower Body Negative Pressure). Der Unterdruck ‚zog‘ die Körperflüssigkeiten in Richtung der Füße.
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In den Kampagnen 3 und 4 der SANS-Studie wird während der 30-tägigen Bettruhe eine neue Gegenmaßnahme getestet, um die erhobenen Daten mit denen aus den ersten beiden Durchgängen zu vergleichen. Während in den ersten beiden Kampagnen die Wirkung von Unterdruck auf den Unterkörper untersucht wurde, testet das Team in den weiteren beiden Kampagnen das Fahrradfahren mit anschließendem Venenverschluss durch Druckmanschetten an den Beinen.

Beide Gegenmaßnahmen haben das Potenzial, den negativen Auswirkungen der Raumfahrt auf den menschlichen Körper entgegenzuwirken. Ob die Maßnahmen tatsächlich wirken und welche die effektivste und am besten handhabbare ist, müssen die beteiligten Forschenden nach Kampagne 4 anhand der erhobenen Daten feststellen. Natürlich findet auch das Radeln im Liegen und zum Kopf hin um sechs Grad geneigt statt.

Gegenmaßnahme ‚Radeln im Liegen‘
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Während die Probandinnen und Probanden in den ersten beiden Durchgängen eher passiv waren, müssen sie nun mit der aktuellen Trainingsmaßnahme selbst aktiv sein. Sie radeln jeden Tag im Liegen und ohne das :envihab zu verlassen 45 Minuten lang und aktivieren damit den Kreislauf, sodass das Blut wieder zurück in die Beine transportiert wird. Damit das Blut möglichst in den Beinen bleibt, werden anschließend für sechs Stunden Druckmanschetten am Oberschenkel angelegt, um den Rückfluss in die obere Körperhälfte zu vermeiden. Die Daten dieser Trainingsgruppe von sechs Probandinnen und Probanden während jeder Kampagne werden am Ende mit der Gruppe verglichen, die jeden Tag sechs Stunden im Unterdruckzylinder verbracht hat. Daraus kann die amerikanische Raumfahrtagentur NASA entsprechende Maßnahmen für zukünftige astronautische Langzeitmissionen erarbeiten.

Nach jeder Trainingseinheit heißt es: sechs Stunden Venenverschluss durch das Tragen von Druckmanschetten an beiden Oberschenkeln
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Das Radeln ist eine willkommene Abwechslung für die Probandinnen und Probanden, sind sich die zuständigen DLR-Wissenschaftler Prof. Dominik Pesta und Timo Frett einig. Pesta führt aus: „Anfangs dachten wir, dass wir die beiden Liegen mit den Fahrrad-Ergometern, auf denen zwei Teilnehmende gleichzeitig radeln können, vielleicht durch einen Sichtschutz abtrennen müssen. Aber es stellte sich schnell raus, dass gerade der Kontakt und der kleine Wettbewerb untereinander für eine höhere Motivation und Spaß beim Radeln sorgten. Die beiden Gegenmaßnahmen Unterdruckkammer und Radfahren in Verbindung mit den Druckmanschetten für insgesamt sechs Stunden täglich – das hat bisher noch keiner gemacht und es war nicht klar, wie gut das klappt. Und nun können wir sagen: Es funktioniert sehr gut und wird von den ‚terrestrischen Raumfahrenden‘ gut akzeptiert. Wir sind wirklich begeistert, was wir bereits jetzt erreichen konnten!“.

Um die Wirksamkeit der Gegenmaßnahme beurteilen zu können, sind wie schon bei den Unterdruckkammern zahlreiche Tests nötig. So werden Herz-Kreislauf-Funktion, Gleichgewicht, Muskelkraft und natürlich das Sehen genau untersucht. Nach dem 60-minütigen Ausflug auf dem Rad wechseln die Radfahrerinnen und Radfahrer versehen mit den Oberschenkel-Manschetten wieder zurück in ihr Bett in ihrem Zimmer, wo sie in der gewohnten Umgebung ihren Freizeitaktivitäten nachgehen und weitere Untersuchungen und Tests vorgenommen werden können.

Die DLR-Kollegen haben das Radfahren und die Manschetten im Vorfeld der Studie selbst getestet: „Es ist eigentlich ganz bequem, im Liegen Rad zu fahren. Natürlich müssen sie aber schon ein bisschen Stoff geben, denn die Belastung ist im Liegen nicht ganz so wie im Sitzen auf einem Fahrrad. Beim Fahrradfahren ist sie individuell auf die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Probanden abgestimmt und entspricht einer mittleren Belastung. Den Druck der Manschetten am Oberschenkel mit 50 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule, die Maßeinheit für Blutdruck) kann man auch gut aushalten. Wir haben das so bequem wie möglich und mit größtmöglichem wissenschaftlichen Output konzipiert“, so Timo Frett, der am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin auch an der Kurzarm-Human-Zentrifuge und dem Training in erhöhter Schwerkraft arbeitet.

Der Erfolg des Trainings kann – im Vergleich zu dem Effekt der Druckkammern – allerdings erst richtig beurteilt werden, wenn alle Messungen abgeschlossen und ausgewertet sind. Nach Abschluss der vier Kampagnen entscheiden dann insbesondere die Untersuchungsergebnisse der Augenuntersuchungen, welche Gegenmaßnahme im All eingesetzt wird. Wir sind gespannt!

Du zählst! Mitmachen und hautnah dabei sein

Wer sich als Teilnehmer oder Teilnehmerin für weitere Bettruhestudien ab 2024 bewerben und so Teil der raumfahrtmedizinischen Forschung bei uns am DLR werden möchte, ist ab Herbst 2023 herzlich willkommen. Und auch für andere Studien wird tatkräftige Unterstützung gesucht. Informationen auf DLR-Probandensuche.