Das Schweben gehört zur Arbeit dazu

Unvergleichbar. Und: nicht zu beschreiben. So nennt Katrin Stang den Zustand, der zu ihrer Arbeit in der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR dazu gehört. Die Molekularbiologin leitet das DLR-Programm der wissenschaftlichen Parabelflüge – und fliegt mehrmals im Jahr bei den Flügen mit, die den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihre Forschung in der Schwerelosigkeit ermöglichen. „Seitdem die Erde existiert, herrscht jederzeit Schwerkraft auf alles ein“, sagt sie. „Und seitdem das menschliche Leben existiert, ist alles auf den Umgang mit Schwerkraft eingestellt.“ Die Schwerelosigkeit, die sie auf ihren Flügen im Parabelflugzeug erfährt, ist etwas, was ein menschlicher Körper einfach nicht kennt. „Die allererste Parabel, auf der man schwerelos war, vergisst man nie. Das ist ein ganz wunderbares Gefühl.“ Auch wenn dieses Schweben in Schwerelosigkeit nur einen sehr kleinen Teil ihrer Management-Tätigkeit ausmacht – wenn sie über ihre Arbeit spricht, kommt meistens direkt als erstes die Frage: „Wie fühlt sich das denn an?“

Die allererste Parabel, auf der man schwerelos war, vergisst man nie!
Wissenschaft und Management
Während ihres Biologie-Studiums in München war für sie auch nicht absehbar, dass sie einmal im Bereich der Raumfahrt arbeiten würde – und erst recht nicht, dass sie – als eine von einer überschaubaren Menge Menschen auf der Erde – die Schwerelosigkeit erleben würde. Klar war für sie nach ihrer Promotion nur eines: Sie wollte nicht an der Universität und in der Forschung bleiben, sondern eine Tätigkeit finden, bei der sie ihre wissenschaftlichen Kompetenzen mit Managementaufgaben verbinden konnte. Knapp fünf Jahre arbeitete sie als Produktmanagerin bei einem Unternehmen, das Produkte von Blutplasma bis hin zu Geräten vertrieb. Bis sie 2010 dann auf eine Stellenausschreibung der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR stieß und sich bewarb: „Ich habe nicht erwartet, dass ich als Biologin in der Raumfahrt arbeiten könnte, aber die Stelle hat mich magisch angezogen.“ Sieben Jahre lang betreute sie Fördervorhaben im Bereich der Lebenswissenschaften, schloss Verträge mit der Raumfahrtindustrie zur Qualifizierung von Komponenten und Instrumenten für die Internationale Raumstation ISS und leitete Projekte mit Partnern wie zum Beispiel der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Industrieunternehmen aus der Raumfahrt oder wissenschaftlichen Einrichtungen. Seit 2017 leitet die 49-Jährige das Parabelflug-Programm, das seit mehr als 25 Jahren von der Deutschen Raumfahrtagentur ausgerichtet wird.
Schwerelosigkeit und Gravitation im Wechsel

Rein technisch betrachtet steigt bei den Parabelflügen ein dafür umgerüstetes Flugzeug steil nach oben und geht dann in den freien Fall über. Für 22 Sekunden herrscht dann am höchsten Punkt Schwerelosigkeit im Inneren des Fliegers. Jeweils zuvor und danach herrscht nahezu die doppelte Schwerkraft an Bord. 31 Mal wird dieses Manöver geflogen, 31 Mal nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft die Phasen ohne Gravitation für ihre Forschung. Je nach Platzbedarf und benötigten Ressourcen kann Katrin Strang etwas 10 bis 14 Experiment-Teams auf der 100-Quadratmeter-Fläche im Flugzeug unterbringen. Bei manchen Experimenten docken Satelliten in der Schwerelosigkeit an, Solarsegel entfalten sich oder Proband/innen erfüllen schwebend Aufgaben. Ein Lieblingsexperiment? Hat sie nicht! „Jedes Experiment hat seine Berechtigung. Manchmal haben gerade die Experimente, bei denen von außen nichts Spektakuläres zu sehen ist, ein enorm interessantes Innenleben“, sagt sie. Man lerne schnell, dass alle Fachbereiche ihre Faszination hätten – und auch die Begeisterung der Forschenden für ihre Experimente stecke an.
Ein bis zwei Mal im Jahr finden die Parabelflugkampagnen in Bordeaux statt. Zwei Wochen lang brummen dann die Werkstätten in der Nähe des Flugfelds wie ein Bienenstock: Experimente werden ausgepackt, am Boden aufgebaut und für den Einbau im Flugzeug vorbereitet. Jedes Experiment-Team erhält einen Bereich, indem es an seinen Geräten und Instrumenten arbeiten kann. Kisten stapeln sich, Menschen füllen die Gänge, Sicherheitsabnahmen werden durchgeführt. „Ich habe zwar ein kleines Büro vor Ort, aber da sitze ich selten drin“, beschreibt Programmleiterin Katrin Stang die Arbeit vor Ort. „Es gibt immer vieles, was ad hoc und vor Ort bei den Experiment-Teams geklärt werden muss, Probleme, die auftauchen, müssen gelöst werden, Absprachen getroffen werden. Das ist ein vollkommen anderer Tagesrhythmus und ein anderes Tageserlebnis als im Büro in der Raumfahrtagentur.“ Bis dann die großen Tage gekommen sind: Meistens an drei aufeinanderfolgenden Tagen der zweiten Woche findet jeweils ein Flug über dem Atlantik statt.
Arbeitsabläufe im Takt der Kampagnen
Für Katrin Stang ist die Zeit bis zur nächsten Flugkampagne immer ein streng durchgetakteter Ablauf: Sobald sie mit ihrem Team aus den zuvor geprüften und begutachteten Experimentbewerbungen die Kandidaten für eine Kampagne ausgewählt hat, tickt die Uhr. „Meine Arbeit ist Peak-Arbeit – wir arbeiten alle auf die Flugtage hin.“ Deadlines für Reviews, Dokumentationen, Verhandlungen mit dem französischen Partner Novespace, der das Flugzeug betreibt, enger Austausch mit den Experiment-Teams, gute Teamarbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Fachabteilungen im DLR, nur wenn alles sorgfältig, detailliert und fristgerecht erfolgt, kann die Flugkampagne erfolgreich sein. „Das ist ein großer administrativer und operationeller Akt, um alle Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Herzblut für die Arbeit, Ausgleich für den Kopf

Vor allem freut sie sich darüber, die wissenschaftlichen Karrieren bei den Experimenten zu beobachten, die bei mehreren Kampagnen mitfliegen. „Ich lerne manche als Masterandinnen oder Masteranden kennen, sehe, wie sie das Thema bis zur Promotion weiterentwickeln, manche kommen sogar als Professorinnen oder Professoren wieder mit an Bord.“ Das und das Wissen, dass die Parabelflüge für viele niederschwellig und kostengünstig die Forschung in Schwerelosigkeit ermöglichen, mache ihre Arbeit so befriedigend. Bei aller Begeisterung für das Parabelflug-Programm – „ich lerne jeden Tag dazu und öffne meinen Horizont“ – nimmt sie sich privat aber gezielte Auszeiten: „Ich gebe gerne mein Herzblut für die Arbeit, aber ein Ausgleich in Natur, Sport, Familie und Freunde ist für mich sehr wichtig.“
Wichtig ist ihr aber auch noch etwas anderes: „Ich mag es überhaupt nicht, wenn bei den Parabelflügen von Kotzbombern gesprochen wird.“ Nicht immer verträgt der menschliche Körper auf Anhieb den Wechsel von ungewohnter Schwerelosigkeit und fast doppelter Schwerkraft. Nervenzellen, Hirn, Augen und Ohren erhalten dabei teilweise gegensätzliche Informationen und können den Körper mit Übelkeit reagieren lassen. „Vieles ist tagesformabhängig, aber wenn man einige Regeln beachtet, wird einem nicht schlecht. Ich hatte bisher noch keine Probleme, auch wenn ich an manchen Flugtagen froh bin, wenn die 31 Parabeln geschafft sind.“
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