In Gummistiefeln auf dem irdischen Mond

Langsam gleitet das Rolltor nach oben. Nur ein paar Meter und dann beginnt die Mondlandschaft. Grauer Regolith, vereinzelte Felsen, weiter hinten steht das Landegerät. Maria Hallinger betritt die Halle. In ihre Gesichtsmaske strömt Luft, die ein Motor stetig ventiliert. Ein Ganzkörperanzug, hohe Gummistiefel und Handschuhe schützen ihren Körper vor der feindlichen Umgebung mit spitzen Staubpartikeln, die in die Lunge geatmet werden oder sich auf der Haut ablagern könnten. Und sie schützen die Umgebung vor allem, was die Ingenieurin in das Testfeld einschleppen könnte. Straßendreck, Hautschuppen, kleine Kleidungspartikel. Maria gehört zum Team, das sich um den Test-Kampagnenbetrieb der LUNA-Halle von DLR/ESA in Köln kümmert. Heute ist sie Kampagnenleiterin und betreut ein Studierenden-Team, das einen Rover unter mondähnlichen Bedingungen testen will.
Sensoren für die Mondbeben

Die 28-Jährige kennt die Details der Anlage. Tief im Regolith sind beispielsweise Sensoren, die schon Gegenstand ihrer Masterarbeit am DLR waren. Die Sensoren messen seismische Aktivitäten – also Erdbeben – im Boden und werden bei Experimenten mit Geräten, die Mondbeben messen sollen, Vergleichsdaten liefern. „Meine Aufgabenstellung war es, zu untersuchen, wie so ein Sensor in der Umgebung der LUNA-Halle überleben, gut funktionieren und zuverlässig Daten liefern kann“, sagt Maria Hallinger. Wie können Sensor und Dateneinheit vor dem Staub geschützt werden? Wie ist die Stromversorgung gesichert, wenn in der LUNA-Halle der Strom ausfällt? Wie kommen die Daten aus den Tiefen des Regolithbodens ins weiter entfernt gelegene Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) des DLRs? Und: Welche Werte werden überhaupt benötigt und was soll ausgewertet werden? Die Ergebnisse ihrer Masterarbeit sind für sie sehr greifbar: Die Mond-Analog-Anlage ist bereits mit den untersuchten Sensoren ausgestattet.

Der makellose, unberührte Mondboden in der Halle ist mittlerweile von den vielen Spuren des Rovers gekennzeichnet. Die Studierenden wollen mit der Kampagne zum ersten Mal testen, wie sich der Rover bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten und unterschiedlichen Festigkeiten des Untergrunds verhält. An einem Hügel gibt der Rover zwar alles – aber immer wieder graben sich die Räder in den rutschigen Regolith ein. Auf Fotos sieht die Szene schon fast mondähnlich aus, wenn man die Außenwand der Halle ignoriert: Eine Crew in Ganzkörperanzügen steht zwischen den grauen Gesteinsbrocken, Licht spiegelt sich in ihren Gesichtsvisieren, im Hintergrund ragen die Beine eines Landers in den grauen Staub. Maria steht am Rand, behält alles im Auge. Über ihren Kopfhörer sind die Funksprüche des Teams zu hören, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kontrollraum im ersten Stockwerk kommunizieren. Im Idealfall muss sie in diesen Momenten gar nichts machen, weil sie bei den Vorbereitungen alle Fragen, Details und Rahmenbedingungen geklärt und im Kampagnenplan festgehalten hat.

Es wäre total cool, wenn ich ein Role Model für Jüngere sein könnte. Wenn ich mehr Schülerinnen für MINT-Fächer motivieren könnte.
Vorbild für Schülerinnen
Das Thema Mond war während ihres Maschinenbau-Studiums gar nicht so präsent: „Das kam erst mit der Masterarbeit.“ Je mehr sie jetzt bei ihrer Arbeit im DLR darüber erfahre, umso mehr steige ihr Interesse für den Erdtrabanten. Ein Sensor für Mondbeben? Die angehende Ingenieurin knöpfte sich für ihre Zeit als Masterandin den Aufbau und die Entstehung des Mondes, den Nutzen von Seismologie und die elektrischen und mechanische Anforderungen an Raumfahrtsysteme vor, arbeitete sich für ihre praxisnahe Abschlussarbeit tiefer in den Aufbau und Betrieb eines Instruments unter mondähnlichen Bedingungen ein. „Ich find’s faszinierend, und es macht mir großen Spaß darüber zu sprechen.“ Die Faszination nach außen zu tragen – bei Vorträgen, Besucherführungen oder Medienanfragen – ist ihr ein Bedürfnis. Und das auch noch aus einem anderen Grund: Gerade einmal 11,5 Prozent Frauen studierten mit ihr in Aachen Maschinenbau. „Und im gesamten Studium hatte ich nur eine einzige Professorin.“ Weibliche Vorbilder? Kaum. „Es wäre total cool, wenn ich ein Role Model für Jüngere sind könnte. Wenn ich mehr Schülerinnen für MINT-Fächer motivieren könnte.“ 50 Prozent Studentinnen im Ingenieursbereich – das ist eine Wunschvorstellung, die sie gerne umgesetzt sehen würde.
Vom Kranfahren bis zur Schreibtischarbeit

Während einer Test-Kampagne in der LUNA-Halle ist Maria immer vor Ort, meistens sind das mehrere Tage im Monat. Dann achtet sie darauf, dass an den Roverreifen kein Schmutz von Fahrten im Außengelände klebt. Dass alle, die in die Halle gehen, ihre Ausrüstung von Gesichtsmaske, Ventilationsmotor über den Anzug bis hin zu den Stiefeln korrekt anlegen. Dass alle Funkgeräte funktionieren und die Kommunikation untereinander und mit dem Team im Kontrollraum problemlos läuft. Soll auch das Licht in der Halle wie auf dem Mond schräg und grell einfallen, muss der Sonnensimulator vorbereitet werden. Werden schwere Gegenstände bei Experimenten oder bei der Vorbereitung der Halle bewegt, kann die Ingenieurin den Kran bedienen, der unter dem Dach verläuft. Soll der Regolithboden zum Beispiel aufgefüllt oder verdichtet werden, wird’s praktisch – dann kommen ganz irdische Werkzeuge wie Rechen oder Schaufel zum Einsatz, und die Teams treten den Boden mit ihren Stiefeln fest.
Im Büro stehen vor und nach den Kampagnen Schreibtisch-Arbeit und Meetings an. Test-Kampagnen werden vorbereitet und dokumentiert, Termine werden gemeinsam mit den nationalen und internationalen wissenschaftlichen Teams von Universitäten, Industrie und Partnern abgehalten, um Erfordernisse und Ziele genau zu verstehen und umsetzen zu können. Die LUNA-Halle ist nicht nur eine Räumlichkeit, sondern muss für die Experimente ganz exakte und bekannte Bedingungen bieten: „Alle Arbeiten müssen dokumentiert werden“, sagt Maria Hallinger. „Wer in der Halle irgendwo bohren will, muss einen Antrag stellen.“ Nach dem Abschluss der Test-Kampagne schreibt sie einen Bericht – vieles davon fließt noch als Erfahrung in das Konzept für den Betrieb der Halle ein. „Mit der Erfahrung arbeiten wir unsere Abläufe weiter aus.“
Testläufe für die Monderkundung

Nach acht Stunden ist der erste Testtag geschafft. Das unberührte Feld sieht längst nicht mehr unberührt aus. Das Studierendenteam hat seinem Rover einiges zugemutet: abschüssige Hänge, Steigungen, hohe Geschwindigkeit. Noch stehen sie direkt in der Nähe ihres Fahrzeugs. Bei Fahrzeugen, die auf dem Mond bewegt werden, wird das Team hingegen an der Steuerkonsole fast 400.000 Kilometer weit entfernt sitzen. Maria Hallinger hat mittlerweile ihre Schutzkleidung abgelegt und blickt aus dem Kontrollraum auf die Regolithfläche der Halle. Diesen Blickkontakt wird es bei zukünftigen Mondexpeditionen ebenfalls nicht geben.
Früher hat sie auch mal überlegt, ob sie Astronautin sein möchte. „Aber die Arbeit im All hat einen unheimlich strukturierten Alltag – die Internationale Raumstation hat nur ein einziges Fenster nach Außen, man lebt für längere Zeit in einem riesigen Labor, die gesamte Zeit vor und nach einer Mission ist für Astronautinnen und Astronauten sehr eng getaktet“, sagt sie. „Mir macht meine Arbeit als Ingenieurin mehr Spaß: Ich bin freier und kann auch mal für Missionen zu anderen Himmelkörpern oder in einem Erdorbit arbeiten.“
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