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Flugexperiment ATHEAt: Unterwegs in Norwegen für die nächste Generation des Raumtransports

Blick vom Raketenstartplatz Andøya Space aufs Meer
Rauhe Natur und mitten drin liegt Europas nördlichster Startplatz für Forschungsraketen.

Wale, Papageientaucher, 2.500 Einwohner, ein Flughafen – das ist der kleine Ort Andenes am nördlichen Ende der norwegischen Insel Andøya. Mit seiner Lage rund 300 Kilometer oberhalb des Polarkreises ist er Europas nördlichster Startplatz für Forschungsraketen. Naturidyll trifft hier auf Hightech – und mittendrin im Herbst 2025 ein Team des DLR. Ihr Ziel: Sie wollen das Flugexperiment ATHEAt erfolgreich von dort starten. Über den Weiten des Atlantiks soll das Experiment für rund 170 Sekunden auf einer Flughöhe von etwas über 50 Kilometern bei Geschwindigkeiten zwischen Mach 8 und 10 fliegen. Dieser Bereich nennt sich Hyperschall – und ist besonders interessant: Denn bei diesen Geschwindigkeiten werden in der viskosen, also eher zähflüssigen Strömung um die Fahrzeugoberfläche sehr hohe Gastemperaturen erreicht. Diese führen zu hohen aerothermalen Lasten in der Struktur des Flugkörpers und lösen besondere chemische Reaktionen auf dessen Oberfläche aus. Aber auch die aerodynamischen Kräfte, die bei solch hohen Geschwindigkeiten in relativ niedrigen Flughöhen entstehen und auf die Strukturen wirken, sind extrem und kompliziert zu managen.

Technologie und Know-how für neue, wiederverwendbare Raumtransportfahrzeuge

Nutzlast von ATHEAt kurz vor dem finalen Zusammenbau mit der zweiten Antriebsstufe in der Motorhalle des Startplatzes Andøya Space
In der Nutzlast, dem vorderen Teil der Rakete sind die wissenschaftlichen Experimente untergebracht: Der graue Vorkörper besteht aus speziellen Hochtemperatur-Materialien und beinhaltet zwei Kühlungsexperimente. Er verfügt auch über vier Klappen, deren Winkel im Flug geändert wird. In Zukunft könnten solche Klappen zur Steuerung genutzt werden. Allerdings werden sie im Flug extrem heiß, deshalb gilt es, sie zuerst genau zu untersuchen.

Wichtig wird das alles, wenn in Zukunft immer mehr Komponenten für die Raumfahrt mehrmals zum Einsatz kommen, also wiederverwendbar werden sollen. Denn beim Wiedereintritt in die Atmosphäre müssen diese Komponenten eben solchen extremen Bedingungen zuverlässig standhalten. Die dafür notwendigen Technologien erprobt das DLR mit Hilfe von Flugexperimenten – zunächst in kleinerem Maßstab – unterstützt und immer wieder rückgekoppelt mit ausgefeilten Simulationen, Auslegungen am Computer und Komponenten-Tests am Boden. Mit diesem Forschungsansatz und langjähriger Forschung findet das DLR in diesem Bereich weltweit Beachtung.

Das Projekt ATHEAt kann auf den Erfahrungsschatz einer Reihe bereits erfolgreich gestarteter Flugexperimente zurückblicken. Jedes Mal gehen die DLR-Forschenden einen Schritt weiter: So soll ATHEAt wesentlich länger als seine Vorgänger bei hohen Geschwindigkeiten zwischen Mach 8 und 10 fliegen. Das wäre ein neuer Meilenstein, dem nicht nur die wissenschaftliche Welt mit Spannung entgegenblickt. Denn auch für die Raumfahrtindustrie wird der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, der bei extrem hohen Geschwindigkeiten erfolgt, noch länger ein Knackpunkt bei der Entwicklung von wiederverwendbaren und damit wirtschaftlich attraktiveren Systemen für den Transport ins All bleiben.

Ein Datenschatz in greifbarer Nähe

Vollgepacktes Innenleben: Nutzlast und Servicemodul sind umfassend instrumentiert
Spezielles Wissen und langjährige Erfahrung des DLR ist in die Instrumentierung des ATHEAt-Flugexperiments eingeflossen: Denn zuverlässige und umfassende Datensätze sind Grundlage aller weiteren technologischen Entwicklungen.
Alles bereit zum Empfang der Daten des Flugexperiments ATHEAt
Mobile Empfangsstation der Mobilen Raketenbasis (MORABA) des DLR einige hundert Meter von der Startrampe entfernt

Wenn das ATHEAt-Flugexperiment seine Mission gemeistert hat, ist der wahre Schatz hoffentlich bereits sicher angekommen und gespeichert: die Flugdaten. Mehr als 300 Sensoren sind im Flugexperiment verbaut. Zusätzlich sind auch eigens am DLR entwickelte miniaturisierte, berührungslos arbeitende Sensoren wie Infrarotkameras, Laserscanner und Strahlungsthermometer an Bord.

Möglichst klein und leicht sollte ohnehin alles sein, was mit an Bord eines Flugexperiments kommt. Damit die Übermittlung der Daten während des rund fünfminütigen Flugs funktioniert, arbeiten die Telemetrie-Systeme auf Hochtouren. Per Funk schicken sie die Messwerte an die Empfangsstationen in und um Andøya Space .

Auf den Punkt fit: Flugkampagnen sind Teamwork

Finale Montagearbeiten am Flugexperiment ATHEAt vor dem Roll-out zur Startrampe
Auf die wissenschaftliche Nutzlast mit den Experimenten an der Spitze folgen die Servicemodule. Beide zusammen sitzen auf einer speziell dafür zusammengestellten Höhenforschungsrakete.

Für das Flugexperiment ATHEAt arbeiten mehrere Institute und Einrichtungen des DLR eng zusammen und bringen ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte und Erfahrungen aus den Vorgängerprojekten mit. Bei den Arbeiten vor Ort in Norwegen ist vieles in Prozessen strukturiert vorgegeben und Routine, gerade auch in der langjährigen Zusammenarbeit mit den norwegischen Kolleginnen und Kollegen von Andøya Space. Dennoch gilt: Flugexperimente wie ATHEAt sind immer einzigartig – was den Vorkörper aus einem speziell am DLR entwickelten und gefertigten keramischen Faserverbundwerkstoff betrifft genauso wie die Sensorik und die Höhenforschungsrakete als Transportvehikel. Letztere bringt die Wissenschaft erst in die Luft und auf die erforderliche Geschwindigkeit. Für die Planung und Durchführung solcher Missionen verfügt das DLR über eine eigene Einrichtung: die Mobile Raketenbasis (MORABA).

Vorderkörper des AHEAt-Flugexperiments aus einem speziellen, hitzeresistenten keramischen Faserverbundwerkstoff
Der vordere Teil der Nutzlast mit den wissenschaftlichen Experimenten verfügt über ein spezielles Thermalschutz-System. Sie muss extremen aerothermalen Belastungen standhalten und ist Schutz und Forschungsobjekt in einem.

Trotz der geballten Erfahrung des Teams bleiben spontane Herausforderungen nicht aus – was die ein oder andere Sorgenfalte und weitere To-dos auf einer ohnehin schon langen Liste an Aufgaben bedeutet. Gleichzeitig macht das aber auch für alle die besondere Faszination des Projekts und ihrer Arbeit aus. Während die Arbeiten vor Ort weiter vorangehen, macht sich hoffentlich auch das Wetter fit für die Starttage Anfang Oktober.

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