Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik
Das Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik forscht in Braunschweig und Göttingen auf den Gebieten Flugzeug- und Fahrzeug-Aerodynamik, Flugzeug-Aeroakustik und Raumfahrt-Aerothermodynamik.
ATHEAt (Advanced Technologies for High Energetic Atmospheric Flight of Launcher Stages, Deutsch: fortgeschrittene Technologien für den hochenergetischen Atmosphärenflug von Trägerraketen-Stufen) ist ein Projekt der Raumfahrtforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Fokus steht die Entwicklung von Wiedereintrittstechnologien für wiederverwendbare, wirtschaftliche und zuverlässige Raumtransport-Systeme.
Der Wiedereintritt in die Atmosphäre ist ein sehr komplexer und schwieriger Prozess. Raumfahrzeuge sind dabei extremen Bedingungen ausgesetzt: Dazu zählen sehr hohe Geschwindigkeiten von bis zu 28.000 Kilometer pro Stunde oder Mach 25 (25-fache Schallgeschwindigkeit). Der Bereich ab Mach 5 wird als Hyperschall bezeichnet und zeichnet sich durch besondere Hochtemperaturphänomene wie chemische Reaktionen und Plasmaeffekte aus. Der Wiedereintritt führt zu sehr hohen Oberflächentemperaturen von über 2.000 Grad Celsius. Der Grund dafür: Hohe Bewegungsenergie wird durch starke Verdichtungsstöße am Raumfahrzeug in thermische Energie (Wärme) umgewandelt. Außerdem wirken vielfältige aerodynamische Kräfte auf Material und Strukturen.
Im Projekt ATHEAt erforschen und erproben wir Technologien für wiederverwendbare Raumfahrzeuge. Der Fokus liegt auf der Wiedereintrittsphase bei hohen Machzahlen als besonders kritischem Punkt. Dazu entwickeln wir am DLR Auslegungswerkzeuge und bestätigen diese mit experimentellen Daten aus der Praxis. So leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Entwurf und Bau zukünftiger, noch leistungsfähigerer und zuverlässigerer Raumfahrzeuge. Mit ATHEAt schließen wir gezielt eine weltweit bestehende Technologielücke bei Forschung und Industrie im Bereich der wiederverwendbaren, wirtschaftlichen und zuverlässigen Raumtransport-Systeme.
Ein wichtiger Bestandteil des ATHEAt-Projekts ist die Durchführung von zwei Flugexperimenten, die sich in ihren Zielen ergänzen. Das erste ist ein Flugexperiment, das auf einer speziellen Höhenforschungsrakete mit Geschwindigkeiten zwischen Mach 8 und 10 über einen längeren Zeitraum fliegt. In einem zweiten Flugexperiment erproben wir eine einstufige neuartige Hybridrakete mit steuerbarem Schub.
Anlagen für Bodentest sind nur begrenzt in der Lage, die extremen Bedingungen eines Flugs bei hohen Machzahlen nachzustellen. Auch numerische Entwurfswerkzeuge sind noch nicht so ausgereift, dass solche Flüge umfassend am Computer modelliert werden könnten. Deshalb sind Flugexperimente wichtig und notwendig, um bestehende Technologielücken zu schließen. Gleichzeitig sind Flüge mit Komponenten in Originalgröße selten und teuer. Am DLR setzen wir auf selbst entwickelte und gebaute Flugexperimente mit anwendungsrelevanten Komponenten. Diese bringen wir mit Höhenforschungsraketen auf teils mehrere hundert Kilometer Höhe.
Bei Tests der Komponenten des Flugexperiments am Boden und im Flug sammeln unsere Forschenden umfassende und zuverlässige Daten. Bereits vorhandene numerische Entwurfswerkzeuge kommen ebenfalls zum Einsatz und können mit den Daten aus den Tests verbessert werden. Numerische Entwurfswerkzeuge sind Software-Tools. Mit ihnen modellieren und simulieren wir physikalische oder technische Probleme. Die Kombination aus Flugexperiment, Simulation und Modellierung ist Kernelement unserer DLR-Raumfahrtforschung und in unserer Raumtransport-Strategie verankert.
Unser Hyperschall-Flugexperiment ATHEAt soll im Oktober 2025 vom Weltraumbahnhof Andoya Spaceport im Norden von Norwegen starten. An der Spitze einer Höhenforschungsrakete wird es mit einer Geschwindigkeit zwischen Mach 8 und 10 fliegen. Die maximale Flughöhe soll 54 Kilometer betragen. Die wissenschaftliche Nutzlast hat zusammen mit den Versorgungsmodulen eine Masse von rund 244 Kilogramm. Im Vergleich zu unseren bereits erfolgreich geflogenen Hyperschall-Flugexperimenten SHEFEX-I, SHEFEX-II, ROTEX-T, ATEK und STORT wird ATHEAt für rund 170 Sekunden und damit wesentlich länger bei hohen Machzahlen fliegen.
Der vordere Teil der Nutzlast besteht aus einem speziell von uns am DLR entwickelten und gefertigten keramischen Faserverbundwerkstoff. Auf die Raketenspitze folgen Segmente mit spitzbogiger und danach achteckiger Form inklusive vier Klappen. An Bord haben wir auch zwei aktive Kühlexperimente.
An den Vorderkörper schließen sich mehrere Module an. In ihnen befinden sich Experimente, um die strukturelle Integrität des Flugexperiments zu überwachen. Dazu verwenden wir mehr als 300 Sensoren – darunter eigens entwickelte miniaturisierte nicht-invasive Sensoren, zwei Infrarot-Kameras, Strahlungsthermometer und Laserscanner. Direkt während des Flugs werden alle gesammelten Daten per Funk an die Empfangsstation in der Nähe des Startplatzes geschickt. Angesichts der extremen Bedingungen während des Flugs ist das für unser Team ebenfalls eine Herausforderung.
Bei hybriden Antriebssystemen ist das Oxidationsmittel in flüssiger und der Treibstoff in fester Form gespeichert. Das ermöglicht einen kontrollierten Betrieb und das mehrfache Zünden des Antriebs – vereint also die Vorteile von Feststoff- und Flüssigkeitsantrieben. Bei einer Rakete mit Flüssigkeitsantrieb werden flüssige chemische Komponenten – das Oxidationsmittel und der eigentliche Treibstoff – in getrennten Tanks gelagert und zur Zündung in die Brennkammer des Triebwerks eingespritzt. Dort kommt es zu einer chemischen Reaktion: Der Brennstoff reagiert mit dem Oxidator und erhöht durch die Verbrennung den Druck und die Temperatur in der Brennkammer. Die dabei entstehende Gasmasse mit Reaktionsprodukten strömt aus einer Düse und erzeugt dadurch Schub in die entgegengesetzte Richtung. Da das Oxidationsmittel in der Rakete mitgeführt wird, kann die Verbrennung des Treibstoffs auch ohne Sauerstoff aus der Atmosphäre erfolgen, zum Beispiel im Weltall. Solche Antriebe zeichnen sich durch ihre hohe Schubeffizienz aus, aber die Treibstoffe sind kaum lagerfähig. Bei Feststoffantrieben sind Oxidationsmittel und Treibstoff bereits in festem Zustand vorgemischt und müssen nur noch gezündet werden. Daher ist ihr Design einfacher und sie haben einen hohen Schub. Allerdings kann dieser Schub während des Fluges nicht kontrolliert werden.
Ein weiteres Hauptziel des ATHEAt-Projekts ist daher die Entwicklung, Herstellung und Qualifizierung unseres VISERION-Hybrid-Raketentriebwerks im Flug. Dieses Triebwerk beruht ebenfalls auf unserer Forschung am DLR. Wir haben es bereits mit einer speziellen Bodeninfrastruktur am Standort Trauen getestet. Parallel dazu werden auch neuartige Leichtbaustrukturen, ein modernes Instrumentierungs- und Datenerfassungssystem sowie die Konstruktion des Hochdrucktanks für das flüssige Oxidationsmittel – in diesem Fall Wasserstoffperoxid – untersucht. Diese Technologien und das gewonnene Fachwissen eröffnen uns vielversprechende Möglichkeiten für zukünftige steuerbare Oberstufentriebwerke. Mit ihnen können in Zukunft neue und weitere Flugbahnen für unterschiedliche Aspekte der Raumfahrtforschung erprobt werden.