9. Juli 2013

Gigantischer Gletscher "kalbt" in die Antarktis

Eisforscher nutzen die Daten des vom DLR betriebenen Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X

Am Pine-Island-Gletscher, dem längsten und am schnellsten fließenden Gletscher der Antarktis, haben sich gigantische Risse gebildet. Der mehr als 720 Quadratkilometer große neue Eisberg und kleinere Bruchstücke haben sich von dem Gletscher getrennt und sind in die AmundsenSee an der Westküste der Antarktis "gekalbt". Aufnahmen des vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X dokumentieren den über mehrere Jahre entstandenen ersten Riss und den finalen Abbruch in einer Aufnahme vom 8. Juli 2013. Glaziologen können mit diesen Daten den rätselhaften Prozessen des Kalbens von Eisbergen auf den Grund gehen.

Wissenschaftler der amerikanischen Raumfahrtbehörde haben den anfangs rund 24 Kilometer langen und 50 Meter breiten ersten Riss schon am 14. Oktober 2011 bei einem Überflug vom Flugzeug aus beobachtet. "Der Eisberg, der sich vom fließenden Teil des Gletschers getrennt hat, ist fast so groß wie Hamburg", berichtet Prof. Angelika Humbert, Eisforscherin vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Die Glaziologin und ihr Team haben die hoch auflösenden Radaraufnahmen des vom DLR betriebenen Erdbeobachtungssatelliten Terra-SAR-X genutzt, um das Fortschreiten des Risses zu beobachten und besser zu verstehen. So observierte die Wissenschaftlerin Dr. Dana Floricioiu vom EOC-Institut Methodik der Fernerkundung den Riss am Pine Island-Gletscher von Anfang an und berechnet wertvolle Datensätze, zum Beispiel das Geschwindigkeitsfeld des Gletschers. "Oberhalb des Risses ist der Gletscher zuletzt mit einem Tempo von zwölf Metern pro Tag geflossen", berichtet Floricioiu.

Gletscher sind ständig in Bewegung, können fließen und brechen

Denn Gletscher sind ständig in Bewegung und haben ihre ganz eigene Fließdynamik; eine komplizierte Geometrie, die permanenten Spannungen ausgesetzt ist und deren Kalben noch weithin unerforscht ist. "Wir haben es hier mit einem Material zu tun, das sowohl Fließen als auch Brechen kann. Das Zusammenwirken von beidem hat schließlich zum Abbruch der schwimmenden Zunge geführt", erklärt Angelika Humbert. Die Forscher lassen deshalb die Terra-SAR-X-Satellitendaten in Computersimulationen einfließen, in denen sie die Bruch- und Fließmechanik der Eismassen mithilfe numerischer Verfahren modellieren. "Wir arbeiten den Riss in unser virtuelles Schelfeis ein und berechnen daraus das Fließen des Gletschers. Diese Ergebnisse gehen an unsere Partner an der Technischen Universität Kaiserslautern, die dann die Riss-Ausbreitung simulieren", erklärt Eismodelliererin Humbert.

Ein Vergleich mit aktuellen Satellitenbildern zeigt den Forschern, ob sie mit ihrer Simulation richtig liegen. Der Riss am Pine-Island-Gletscher war kurz vor der "Geburt" des neuen Eisbergs 28 Kilometer lang und 540 Meter breit. Zu Beginn der Aufzeichnungen am 13. Oktober 2011 verlief der Riss über eine Länge von 24 Kilometern und war 50 Meter breit.

Schelfeis

Schelfeis entsteht durch das Abgleiten von Gletschern ins Meer. Gletscher sind sich schnell bewegende Eismassen. Das Schelfeis ist noch mit dem Eisschild verbunden, schwimmt aber bereits auf dem Meer. Es ist mit einigen hundert Metern Dicke wesentlich dünner als der so genannte Eisschild, der in großen Teilen am Felsboden festgefroren ist und bis zu vier Kilometer dick sein kann. Die Besonderheit der Westantarktis ist dabei, dass weite Teile des Felsbodens unter dem Meeresspiegel liegen.

Warme Ozeanmassen gelangen unter das Schelfeis

Einen direkten Zusammenhang zur Klimaerwärmung erkennt Angelika Humbert jedoch nicht. Die Bildung von Rissen im Schelfeis und damit auch die Entstehung neuer Eisberge sei ein natürlicher Vorgang. Allerdings ist der Pine-Island-Gletscher der am stärksten abfließende Gletscher der westlichen Antarktis. Dies liegt für die Polarforscherin aber weniger an steigenden Lufttemperaturen, sondern eher daran, dass sich die Windrichtungen in der Amundsen-See ändern: Diese bringen warme Ozeanmassen unter das Schelfeis, was mit der Zeit zum Abschmelzen am kritischen Übergang zum Inlandeis führt. "Die Westantarktis könnte also durchaus instabil werden", sagt Angelika Humbert.

Der Pine-Island-Gletscher fließt vom Hudson-Gebirge in die Amundsen-See im Südpolarmeer. Er hatte zuletzt 2001 und 2007 ähnlich große Eisberge produziert.

TerraSAR-X ist Deutschlands erster nationaler Fernerkundungssatellit, der in öffentlich-privater Partnerschaft zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der EADS Astrium GmbH realisiert wurde. Er liefert seit 2007 hochwertige Radardaten für die wissenschaftliche Erdbeobachtung.