7. Juni 2017

Wenn es turbulent wird in der Atmosphäre – Aktuelle Beobachtungen mit einer Infrarot-Kamera am Rand zum Weltraum

Jeder kennt das: spaziert man an einem Bachlauf entlang, so beobachtet man hin und wieder im ansonsten gleichmäßigen Strömungsmuster das plötzliche Auftreten von Wirbeln im Wasser. Diese Wirbel bewegen sich eine Weile mit dem Strom und zerfallen in immer kleinere Wirbelelemente bis sie schließlich ganz verschwinden.

Solche Verwirbelungen und „chaotisch“ wirkenden Strömungsmuster findet man überall dort, wo es Strömungen gibt: sie entstehen in Luftströmungen in der Atmosphäre, in Strömungen von Treibstoffen und Gasen in Triebwerken, bei der Überströmung von Tragflächen und sogar in Blutbahnen des Körpers. Sie treten dann auf, wenn Störungen der ansonsten gleichförmigen Strömung nicht mehr durch die molekulare Viskosität, also die Zähigkeit des bewegten Mediums gedämpft werden können.

In all diesen Prozessen gibt es eine wichtige und sehr weitreichende physikalische Konsequenz: der ursprünglichen Strömung wird durch die Bildung von turbulenten Wirbeln Energie entzogen. Die Energie ist dann in diesen Wirbeln gespeichert. Über eine Kaskade von immer kleiner werdenden Wirbeln wird diese Energie weiter aufgeteilt. Sind die Wirbel schließlich sehr klein (im Bereich von Millimetern im unteren Höhenbereich der Atmosphäre; im Bereich von Metern in etwa 90 Kilometer Höhe), so wird durch Reibung die Energie in Wärme umgewandelt; Energie wird auf diese Weise irreversibel aus der Strömung entnommen – sie ist dann für die Strömung verloren. Im technischen Bereich gerät Turbulenz so zum Alptraum aller Ingenieure, die sich mit Hydrodynamik befassen.

In der Atmosphärenphysik gehört dieser Prozess zu den noch immer unvollständig verstandenen Bausteinen, die zur Beschreibung der Energiebilanz, also der Umverteilung der Energie in der Atmosphäre notwendig sind – man denke nur an den Wunsch, die Strömungsprozesse in der Atmosphäre auch über längere Zeiträume präzise vorhersagen zu können.

Was schon im Labor, wo durch den Ingenieur oder Wissenschaftler einigermaßen definierte und reproduzierbare Umweltbedingungen im Versuchsaufbau eingestellt werden können, schwierig ist, wird in der freien Atmosphäre noch komplexer. Messungen sind hier aus offenkundigen Gründen grundsätzlich nicht reproduzierbar. Hinzu kommt, dass sich turbulente Prozesse auf einem weiten räumlichen und zeitlichen Skalenbereich abspielen, wobei die o.g. kleinen Skalenbereiche, wo also kinetische Energie tatsächlich „vernichtet“ wird, von Satelliten aus heute und in der nächsten Zukunft gar nicht erfasst werden können.

Hier kommen unsere Messsysteme ins Spiel: mit dem bodengebundenen Infrarot-Kamerasystem FAIM (Fast Airglow IMager) ist jetzt die Erfassung von Strömungsvorgängen in etwa 90 Kilometer Höhe mit einer sehr hohen raumzeitlichen Auflösung möglich (17 Meter in der Horizontalen und etwa 2 Sekunden in der Zeit). Ausgenutzt wird das intensive Leuchten der Luft, welches in diesem Höhenregime durch das Zusammenspiel besonderer photochemischer Vorgänge (also Chemie und Strahlung) erzeugt wird. Atomarer Sauerstoff und atomarer Wasserstoff führen zur Bildung von Hydroxyl (OH), welches bei der Bildung energetisch angeregt wird (man spricht von Rotations- und Vibrationsanregung). Wie jedes physikalische System ist auch das so angeregte OH-Molekül bestrebt, einen niedrigeren und damit stabileren Energiezustand anzunehmen; Energie wird dann in Form elektromagnetischer Strahlung, also Licht, abgestrahlt. Die Konsequenz: die Luft leuchtet - und dieses Leuchten kann von FAIM mit großer raumzeitlicher Präszision im Infrarot, im Bereich von etwa 1,0-1,6 Mikrometer, gemessen werden.

Die Abbildung zeigt im rechten Teil eine typische Aufnahme der Intensität des atmosphärischen Luftleuchtens über Oberpfaffenhofen in einem Gebiet von etwa 30 x 30 Quadratkilometern. Je heller der Grauton, desto intensiver ist das Luftleuchten. Die Intensität dieses atmosphärischen Leuchtens hängt nun ganz wesentlich von der Temperatur und der Menge der OH-Teilchen in dem besagten Höhenbereich ab. Beides wird empfindlich moduliert, wenn z.B. eine wellenförmige Strömung durch die Luftschicht läuft. OH-Teilchen werden dann räumlich verdichtet oder verdünnt und auch in der Höhenposition ausgelenkt. Die Folge: die Helligkeit des Luftleuchtens wird entsprechend der Periodizität und räumlichen Struktur der durchlaufenden Welle moduliert. (Bei den hellen Punkten handelt es sich hingegen um Sterne.)

Unterzieht man solche Aufnahmen einer sogenannten Spektralanalyse in zwei Dimensionen, so erhält man Aufschluss darüber, wieviel Energie in welchen horizontalen Skalen der beobachteten Strömung enthalten ist.  Diese „Leistungsspektren“ können wie ein „Fingerabdruck“ gelesen werden. Ein solches Leistungsspektrum, gewonnen aus mehreren Einzelaufnahmen, ist im Bild links dargestellt.

Die y-Achse gibt den Energiegehalt an, die x-Achse die horizontale Skala (genauer horizontale Wellenlänge) von durch die luftleuchtende Schicht wandernden atmosphärischen Strukturen. Man erkennt grob drei Regime, die durch eine unterschiedliche Steilheit charakterisiert sind. Die blaue Linie soll diese unterschiedlichen Steigungen illustrieren. Je nach Steigung ist die Strömung in der Atmosphäre gekennzeichnet durch stabile Wellenströmung (Auftriebsbereich, Abschnitt I), durch Kaskadierung von Turbulenzwirbeln (Inertialbereich, Abschnitt II) oder durch viskose Reibung (viskoser Bereich, Abschnitt III). Bereits vor etwa 70 Jahren wurden für diese Bereiche vom russischen Mathematiker Andrej Kolmogorov charakteristische Steigungen von -3, -5/3 bzw. -7 im Leistungsspektrum vorhergesagt.

Was ist nun neu? Durch die bereits oben genannte sehr hohe horizontale Auflösung des FAIM-Systems von 17 Metern (in 90 Kilometer Höhe) und eine zeitliche Auflösung von nur etwa zwei Sekunden gelang es uns erstmalig, den Übergang der Strömung in den Bereich der viskosen Dämpfung zu erfassen, also denjenigen Bereich, in dem Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt wird. Ergebnisse numerischer Simulationen konnten nun auf Skalen bestätigt werden, die bislang messtechnisch nicht zugänglich waren.

Abbildung: Links - Leistungsspektrum einer FAIM 2 Aufnahme (18.01.2016, 16:20:33 UTC). Rechts – Aufnahme des atmosphärischen Luftleuchtens in etwa 90 Kilometer Höhe von Oberpfaffenhofen aus.

Damit konnte gezeigt werden, dass selbst turbulente Prozesse bis hinein in den viskosen Bereich mit dem FAIM-System fernerkundet werden können. Ein weiteres Argument also, um FAIM für die globale Beobachtung künftig auch auf einem Satelliten für die globale Vermessung von Turbulenz einzusetzen.

Die Arbeiten erfolgen am Earth Observation Center im Rahmen einer Doktorarbeit in Kooperation mit der Professur für Atmosphärenfernerkundung am Institut für Physik der Universität Augsburg.

Links

Kontakt

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Michael Bittner

Abteilungsleitung
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD)
Atmosphäre
Oberpfaffenhofen, 82234 Weßling
Tel: +49 8153 28-1379