1. September 2020

Entstehung und Anfangsjahre des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums DFD

von Prof. Winfried Markwitz, 1. DFD-Direktor (1980-1996)

Die Anfänge

Das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum DFD hat seinen Ursprung im German Space Operations Center GSOC, dem deutschen Raumfahrt-betriebszentrum in Oberpfaffenhofen. Dieses war in der damaligen Phase einer ausgeprägten Europäisierung der Raumfahrt nach der Gründung der ESA 1975 in der 2. Hälfte der Siebzigerjahre zunehmend existentiell bedroht, weil das GSOC von seiner damaligen Konzeption her auf die Unterstützung nationaler Satellitenprojekte wie AZUR, AEROS, HELIOS und SYMPHONIE ausgerichtet war. Da damals aber neue nationale Raumfahrtprojekte aufgrund politischer Entscheidungen plötzlich nicht mehr finanziert wurden bzw. vorwiegend im Rahmen europäischer Programme realisiert werden sollten, suchten wir nach neuen Aufgabengebieten. Die sich rapide entwickelnde Fernerkundung der Erde bot sich an.

Als nämlich Mitte der 1970er Jahre in der damaligen Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt DFVLR mit dem erdwissenschaftlichen Flugzeugmessprogramm die Ära der Fernerkundungsprojekte begann, wurde auch das GSOC beteiligt. Ihm wurden Aufbau und Betrieb einer Bildkonvertierungsanlage zur Verarbeitung der im Flugzeug analog aufgezeichneten Bilddaten sowie eines erdwissenschaftlichen Fotolabors und eines Datenmanagementsystems übertragen.

Fast zur gleichen Zeit startete in Europa bei der ESA das Earthnet-Programm, das sich zunächst mit Empfang, Verarbeitung und Verteilung der Daten des 1972 von der NASA begonnenen Landsat-Programms befasste. In diesem Zusammenhang wurde das GSOC vom damaligen Wissenschaftsministerium 1976 als deutscher „National Point of Contact“ NPOC benannt. Die Schnittstelle zwischen den nationalen Datennutzern und der ESA wahrzunehmen und die Datennutzung in Deutschland zu fördern, waren die wichtigsten Aufgaben des NPOC.

Kurz danach wurde dem GSOC von der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch ein Antrag über Aufbau und Betrieb einer Meteosat-Bildverarbeitungsanlage genehmigt. Dadurch konnten die an der Bodenstation Weilheim routinemäßig empfangenen Wettersatellitendaten in Kooperation mit der Nutzergemeinde der deutschen Atmosphärenforscher wissenschaftlich verarbeitet werden.

Alle diese Aufgaben wurden so erfolgreich realisiert, dass dem GSOC 1980 von der ESA die Verarbeitung und der Vertrieb der in Europa empfangenen Daten des ersten amerikanischen zivilen SAR- (Synthetic Aperture Radar) Satelliten SEASAT übertragen wurde. Mit diesen Fernerkundungsprojekten wurde ein neues, zukunftsträchtiges Aufgabengebiet zunächst im GSOC aufgebaut.

Glücklicherweise hatte aber in Europa auch die bemannten Raumfahrt Fuß gefasst. Deutschland war dabei und finanzierte von nun an auch wieder neue nationale Raumfahrtprojekte. Das GSOC war mit seiner umfassenden Expertise wieder ein gefragter Partner. Projektbeteiligungen am „Spacelab-Simulator“ in Köln-Porz oder die Betreuung der deutschen Nutzlast beim „First Space Lab Projekt“, denen dann weitere bemannte Raumfahrtprojekte folgten, sicherten damals die Kontinuität der Betriebsaufgaben im GSOC, speziell auf dem Gebiet der bemannten Raumfahrt. Aber auch der Missionsbetrieb unbemannter nationaler Satelliten wie ROSAT gehörten wieder zu seinen Aufgaben.

Das GSOC war inzwischen finanziell abgesichert und in Folge seiner vielen Projekte auf fast 300 Mitarbeiter angewachsen. Eine einzelne Einrichtung dieser Größe war damals innerhalb der Struktur der DFVLR schwer zu führen und der Kampf um die benötigten Ressourcen aus der Grundfinanzierung wurde immer schwerer. Deshalb haben wir uns für eine Aufgabenteilung entschieden und eine erfolgreiche Reorganisation auf den Weg gebracht.

Gründung der „Angewandten Datentechnik“

So wurde 1980 vom Vorstand auf meinen Vorschlag hin die neue Hauptabteilung „Angewandte Datentechnik“  WT-DA gegründet und speziell das Aufgabengebiet „Fernerkundung“ zusammen mit der Mobilen Raketenbasis „Moraba“ vom GSOC der neuen Einrichtung übertragen. Das betroffene Personal wurde vom GSOC in die neue Einrichtung versetzt. Nicht überall herrschte Freude über diesen Vorgang. Aber er war nötig und war ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung des Zentrums Oberpfaffenhofen. (Siehe Schlussbemerkung.)

Dem ganzen Prozess waren intensive Gespräche vorausgegangen, um die ich als damaliger Leiter des GSOC den damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Jordan gebeten hatte. Prof. Jordan war bekannterweise kein besonderer Freund von „Betriebsaufgaben“, aber durchaus ein Fan von Datentechnik und Mikroelektronik. Daher machte ich den auf die gegebene Situation abgestimmten Vorschlag zur Ausgliederung eines Teils des Personals und zur Gründung einer neuen wissenschaftlich-technischen Hauptabteilung „Angewandte Datentechnik“ WT-DA. Er wurde vom Vorstand so angenommen und realisiert. Zudem wurde dabei auch eine Gruppe von Bildverarbeitungsspezialisten vom damaligen Institut für Nachrichtentechnik zur neuen Einrichtung versetzt. Die Leitung der neuen Hauptabteilung wurde mir übertragen. Das GSOC wurde fortan von Manfred Gass geleitet.

Die neue wissenschaftlich-technische Einrichtung übernahm auch dem Wunsch von Prof. Jordan entsprechend zusätzlich datentechnische Entwicklungsaufträge, die von der Automatisierung von Prüfständen und Experimenten, der Entwicklung von Bordrechnern für Raketennutzlasten und Spacelab-Experimenten bis hin zu Datenerfassungssystemen im Rahmen von Projekten zur Gewinnung von alternativen Energien reichten. Die Einrichtung konzentrierte und spezialisierte sich aber schon in den ersten Jahren in zunehmendem Maße auf Fernerkundung.

Von der „Angewandten Datentechnik“ zum DFD

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Angewandten Datentechnik zum Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum DFD war schließlich die Beteiligung am Bodensegment des ERS-1-Satelliten der ESA. Das Schwergewicht lag dabei von Anfang an auf der Verarbeitung von Daten des Synthetic Aperture Radars (SAR) - dem wichtigsten Sensor an Bord von ERS-1. Aufbauend auf den mit SEASAT gewonnenen Kenntnissen und Erfahrungen wurden bereits 1983 im Rahmen von Studien im Auftrag der ESA die fachlichen Grundlagen gelegt für künftige SAR-Prozessoren und die ersten Vorarbeiten für ERS-1 durchgeführt.

Gleichzeitig begann die Hauptabteilung die bestehenden guten Kontakte mit Nutzern der Fernerkundung aus Wissenschaft, Behörden und Industrie auszubauen und engagierte sich in umfangreichem Maße bei universitärer Lehre und der Ausbildung von Diplomanden und Doktoranden sowie bei anwendungsorientierten Pilotprojekten. Die großen Anklang findenden jährlichen DFD-Nutzerseminare wurden eingeführt.
 
Bei der ersten Überprüfung durch einen externen Gutachterausschuss 1984 wurde der Hauptabteilung mit den damals etwa 100 Mitarbeitern auf ihrem Arbeitsgebiet bereits die Zugehörigkeit zur europäischen Spitze attestiert. Dabei wurde auch eine weitere Konzentration auf das Arbeitsgebiet Fernerkundung angeregt, in dessen Verlauf die entsprechenden Arbeiten in einem eigenen DLR-Programm „Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum“ DFD mit zwei Schwerpunkten gebündelt wurden. Ein Schwerpunkt war Entwicklung, Aufbau und Betrieb von Bodensegmenten (‚End-to-End’, d. h. Empfang, Verarbeitung, Archivierung und Verteilung) für Projekte des nationalen Fernerkundungsprogramms; der andere die Förderung der Anwendung von Fernerkundungsdaten durch Entwicklung von Verfahren und durch die Realisierung von Anwendungsprojekten gemeinsam mit den Nutzern aus Wissenschaft, Behörden und Industrie. Beide Zweige bilden noch heute – freilich stark weiterentwickelt – die Kernaufgaben des DFD. Als eine weitere Konzentrationsmaßnahme wurde die Abteilung „Moraba“ ausgegliedert und zum GSOC zurück versetzt.

Die Einrichtung beteiligte sich 1984 am SIR-B-Projekt (Shuttle Imaging Radar) der NASA, 1986 an der Auswertung der Daten des Kameraexperiments bei der Giotto-Mission zum Halleyschen Kometen sowie an den Bodensegmenten der Fernerkundungsexperimente MRSE (Microwave Remotesensing Experiment) und Metrische Camera bei der ersten Spacelab-Mission FSLP.

Das Schwergewicht der Aktivitäten lag jedoch ab 1985 bei den Vorbereitungsarbeiten für die Beteiligung am ERS-1-Bodensegment, insbesondere für das D-PAF, das deutsche Prozessierungs- und Archivierungszentrum für ERS-1, das gemeinsam mit dem Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut DGFI (später Geoforschungszentrum) für SAR-, Radaraltimeter- und PRARE- (Precise Range and Rangerate) Daten konzipiert und ab 1988 im Auftrag der ESA in Oberpfaffenhofen aufgebaut wurde. Ähnliche PAFs wurden auch in England, Frankreich und Italien eingerichtet. In Fortsetzung und Erweiterung der PAF-Aktivitäten für den Nachfolgesatelliten ERS-2 wurde im DFD im Auftrag der ESA die Konzeption eines Prozessors für die Verarbeitung von Spektrometerdaten begonnen - dieser später auch realisiert - und damit der Grundstein gelegt für das neue Schwerpunktthema „Atmosphäre“ im DFD.

Parallel zum PAF-Aufbau für ERS-1 wurde in Kooperation mit dem IFAG (Institut für angewandte Geodäsie) und dem AWI (Alfred Wegener Institut für Polarforschung) unter technischer Federführung der Hauptabteilung gemeinsam mit der deutschen Industrie die südpolare Empfangstation GARS O’Higgins auf der antarktischen Halbinsel zur Akquisition der SAR-Daten errichtet. Für diese Arbeiten wurden erstmals in der Hauptabteilung in größerem Stile auch extern finanzierte Projektstellen eingesetzt - ein Modell, das auch weiterhin die Übernahme zahlreicher interessanter Aufträge und ein adäquates Wachstum ermöglichte. Doch von allergrößter Bedeutung für die Entwicklung des DFD waren zwei gänzlich unterschiedliche Ereignisse:

Die „Bayerninitiative“

Bau des Technikgebäudes von WT-DA

Von der Bayerischen Staatsregierung und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie wurde im Rahmen einer großangelegten Fördermaßnahme 1988 der Ausbau des Zentrums Oberpfaffenhofen initiiert, bekannt als „Bayerninitiative“, eine Maßnahme, an der wir die damalige Hauptabteilung WT-DA in letzter Minute beteiligen konnten.

Bayerischer Ministerpräsident Max Streibl bei WT-DA

Dank dieser Maßnahme wurden das gerade fertig gestellte Bürogebäude um einen Techniktrakt erweitert und die datentechnische Infrastruktur somit signifikant verbessert. Damit wurde die entscheidende Grundlage geschaffen für die Beteiligung an weiteren europäischen Projekten, wie ERS-2 und später ENVISAT, sowie für eine erfolgreiche Funktion als Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum DFD, wie die Hauptabteilung von nun an im Außenverhältnis und ab 1993 auch offiziell benannt wurde.

Die Integration des „Instituts für Kosmosforschung“ der DDR

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurde das Institut für Kosmosforschung der ehemaligen DDR auf Initiative des DFD in die DLR integriert. Dabei wurde die Satellitenbodenstation Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern auch auf Empfehlung des Wissenschaftsrats als Fachabteilung ‚Fernerkundungsstation’ 1992 dem DFD angegliedert, eine Aktion von großer strategischer Bedeutung.

Im Verlaufe vorangegangener mehrjähriger Kontakte und mehrerer, in sehr angenehmer und konstruktiver Atmosphäre geführter Gespräche, die ich mit dem damaligen stellvertretenden Leiter der Bodenstation Dr. Hans-Dietrich „Dieter“ Bettac führte, hatte sich für diese Abteilung eine zum DFD komplementäre Aufgabenstellung herausgebildet: Aufbau und Betrieb eines Bodensegments, zunächst für kooperative Projekte mit Russland, insbesondere für die gemeinschaftlichen PRIRODA-Missionen (PRIRODA war das wissenschaftliche Modul an der MIR-Raumkapsel), Betreuung lokaler Fernerkundungsprojekte, Aufbau und Einsatz einer Referenzstation für satellitengestützte Ortung und Navigation sowie die Durchführung fachlich erforderlicher F&E-Arbeiten. Diese Themenstellung wurde vom Wissenschaftsrat voll bestätigt.

Besuch_MP_MecklenburgV.jpg

Durch diese wertvolle Ergänzung wurde das Aufgaben- und Einsatzspektrum des DFD abgerundet und vor allem das Bodenstationsnetz des DFD um eine zentrale, ganz Europa abdeckende Bodenstation erweitert. Dass diese Integration politisch und administrativ nicht einfach war, sei nur nebenbei erwähnt. Erst eine persönliche Intervention von Dieter Bettac beim damaligen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern brachte die endgültige Entscheidung. Die Fernerkundungsstation Neustrelitz wurde nach ihrer Integration ins DFD hochmodern ausgebaut. Als Teil des DFD-Bodensegments war Neustrelitz ab 1992 für Kooperationsprojekte mit Russland erfolgreich im Einsatz. Ab 1995 wurden dann dort auch die Daten von ERS empfangen und die Bodenstation auch bei weiteren ESA-Projekten eingesetzt.

Persönliche Schlussbemerkung

Neben dem GSOC wurde das DFD zu meiner zweiten großen beruflichen Herausforderung in der damaligen DFVLR, der ich mich aber gerne und mit vollem Engagement stellte.

Beide Einrichtungen, das GSOC und das DFD, sind heute hoch erfolgreich, international anerkannt und mit ca. 500 Mitarbeitern wesentliche Bestandteile des DLR-Forschungszentrums in Oberpfaffenhofen. Zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit und Freude.

Dem DFD gratuliere ich sehr herzlich zu seinem 40. Geburtstag und wünsche seiner Leitung und allen Mitarbeitenden in Oberpfaffenhofen und Neustrelitz auch in Zukunft viel Erfolg und stets Fortune!

Winfried Markwitz