5. Dezember 2023

Turbulenzkeil - kleine Störung mit großer Wirkung

Windkanalmodell des NLF-ECOWING-FSW in der ETW-Messstrecke
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European Transonic Windtunnel (ETW)

Die Grenzschicht, eine winzige Schicht an der umströmten Oberfläche eines Körpers, wie z.B. eines Flugzeugflügels, ist von herausragender Bedeutung für die Zukunft des Fliegens. Vor etwas mehr als 100 Jahren führte Ludwig Prandtl den Begriff Grenzschicht ein, um den wandnahen Bereich, in dem die Viskosität der Luft bedeutsam ist, von der Außenströmung zu unterscheiden, in der die Viskosität in der aerodynamischen Betrachtung vernachlässigt werden kann.

Am Flügel eines Verkehrsflugzeugs wächst die Grenzschicht entlang der Strömungsrichtung nur auf wenige Zentimeter an, in ihr findet aber der gesamte Anstieg der Strömungsgeschwindigkeit zwischen dem ruhenden Fluid an der Wand des Körpers und der Außenströmung statt. Die Reibungskräfte am Flugzeug, die fast die Hälfte des Gesamtwiderstands ausmachen, hängen nun genau von diesem Geschwindigkeitsgradienten ab: Ist die Grenzschichtströmung laminar und damit geordnet, ist der maßgebliche Geschwindigkeitsgradient direkt an der Wand moderater und die Reibung reduziert. Ist die Strömung innerhalb der Grenzschicht turbulent verwirbelt, steigt der Widerstand durch einen größeren Geschwindigkeitsanstieg an der Wand. Heutige Verkehrsflugzeuge zeigen im Reiseflug keine relevanten laminaren Strömungsbereiche, da die Grenzschichtströmung fast sofort turbulent wird. Genau hier setzen nun die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt an.

Transition – von laminar zu turbulent

Eine Möglichkeit, um das Fliegen ökologisch effizienter zu machen, ist, den Umschlag von laminarer in turbulente Strömung möglichst weit stromab zu verschieben. Der Umschlag selbst wird als Transition bezeichnet. Die Verschiebung des Transitionsorts kann durch eine geeignete Formgebung geschehen, da sich aus der Form des Flügels die Druckänderung entlang der Strömung ergibt. Bleibt die Strömung länger beschleunigt, bleibt sie über weitere Strecken laminar.

Zusammenspiel von Experiment und Simulation für zukünftige Flugzeuge

Zur Auslegung und Bewertung eines solchen Laminarflügels werden neben Windkanalversuchen numerische Computersimulationen auf Hochleistungsrechnern verwendet. Da in den Rechenmodellen der Transitionsort nicht exakt vorhergesagt werden kann, muss mindestens in Teilen der Modellierung auf Korrelationen zurückgegriffen werden. Diese Transitionsmodelle werden anhand von geeigneten Windkanalexperimenten validiert, wie sie im Luftfahrtforschungsprojekt ULTIMATE (LuFo VI-2, beteiligte Projektpartner: AIRBUS, DLR, ETW, Liebherr, TU Berlin, TU HH) im European Transonic Windtunnel (ETW) durchgeführt werden. Abbildung 1 zeigt das Windkanalmodell des NLF-ECOWING-FSW in der Teststrecke des Windkanals – ein Modell mit einem nach vorne gepfeilten Laminarflügel für ein Flugzeug in der Größe eines AIRBUS A320.

Turbulenzkeile als ungewollte Erscheinung im Experiment

Im Windkanal kann die temperaturabhängige Strahlungsintensität von bestimmten Oberflächenbeschichtungen (TSP-Technik) durch Kameras erfasst werden. Da der Wärmeübergang zwischen Strömung und Körper und damit die Oberflächentemperatur von der Durchmischung innerhalb der Grenzschicht abhängt, zeigen laminar und turbulent umströmte Bereiche unterschiedliche Strahlungsintensitäten. Der Transitionsort lässt sich so experimentell bestimmen und mit einer Computersimulation vergleichen. Dies ist in Abbildung 2 dargestellt: Der TSP-Messung wird der berechnete Transitionsort überlagert und es zeigt sich eine gute Übereinstimmung in weiten Teilen des Flügels. Daneben zeigen sich aber auch turbulente Keile, die nahe der Vorderkante entstehen und sich stromab öffnen. Solche Turbulenzkeile entstehen an Unebenheiten, Verunreinigungen und anderen Störungen, die die laminare Grenzschicht geradezu stolpern lassen. In einem Windkanal können dies zum Beispiel Eiskristalle sein, die sich in der Messstrecke bilden.

Vergleich der Transitionslage aus der Berechnung und der TSP-Messung im Windkanal am vorwärts gepfeilten Laminarflügel
Vergleich der Transitionslage aus der Berechnung (links u. rechts) und der TSP-Messung im Windkanal am vorwärts gepfeilten Laminarflügel. Der Transitionsort lässt sich aus der markanten Änderung des Wandschubspannungsbeiwerts cf in der Simulation und der Änderung der gemessenen Intensität im Experiment ablesen. TSP-Messung durch Institut für Aerodynamik und Strömungstechnologie, Abteilung Experimentelle Verfahren

Turbulenzkeilmodelle als wichtiger Schritt in der Modellierung

Rechts zeigt Abbildung 2 das Ergebnis einer Computersimulation mit dem DLR γ Transitionsmodell, in der die Turbulenzkeile berücksichtigt werden. Genauso wie im Versuch wird das Strömungsmodell an einer einzigen Stelle an der Keilspitze gestört und der Turbulenzkeil bildet sich von allein. Dargestellt ist der Effekt anhand des Wandschubspannungsbeiwerts c: Dort, wo die Grenzschichtströmung turbulent wird, steigt die Wandschubspannung, die sich für das Flugzeug zum Reibungswiderstand aufsummiert.

Der Effekt der Turbulenzkeile auf die Aerodynamik ist in Abbildung 3 anhand des Auftriebbeiwerts dargestellt. Der Auftriebsbeiwert ist der auf den Staudruck und eine Bezugsfläche bezogene Auftrieb und eine wichtige dimensionslose Kennzahl eines Flügels. Die Abweichung zwischen der Computersimulation, in der der DLR TAU-Code Strömungslöser (CFD - computational fluid dynamics) mit einem ANSYS® Mechanical Enterprise Strukturmodell (CSM - computational structural mechanics) gekoppelt wurde, und den experimentellen Daten kann erheblich reduziert werden, wenn die in der Messung auftretenden Turbulenzkeile berücksichtigt werden.

Abbildung 3: Verbesserte Berechnung des Auftriebsbeiwerts durch die Modellierung der Turbulenzkeile

Das Turbulenzkeilmodell kann also helfen, Windkanaldaten genauer abzubilden und zu verstehen, was wiederrum zu weiteren Verbesserungen in den Strömungsmodellen genutzt wird. Gleichzeitig wird die Modellierung von Turbulenzkeilen zu einer besseren Gesamtbewertung von zukünftigen Laminarflugzeugen führen, wenn der Effekt von lokalen Störungen auf die laminare Grenzschicht modelliert wird.

Literatur:

Credit:

BMWK

Autor:

Dr. Michael Fehrs, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung Aeroelastische Simulation 

Kontakt

Prof. Dr. Holger Hennings

Leitung Aeroelastische Simulation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstraße 10, 37073 Göttingen