Klempner im Nebenberuf - Astronauten auf der ISS
Wenn ich mal viel Zeit habe - was ich da nicht alles machen würde! Dann könnte ich endlich mal das Buch über Spieltheorie lesen. Oder vielleicht Gitarre spielen lernen? Oder, oder, oder... Aber was geschieht auf der ISS, wenn unerwartet Crewzeit verfügbar wird?
Nachdem sich die Sojusstarts und -landungen nach hinten verschoben haben, stand plötzlich zusätzliche Crewzeit für die Astronauten auf der Internationalen Raumstation zur Verfügung. Aber das heißt nicht, dass Samantha und Co. endlich mal ausgiebig den tollen Ausblick auf die Erde genießen können, denn im Kontrollcenter haben wir eine lange Wunschliste von Dingen in unseren Schubladen, die wir schon lange einmal an Bord ausgeführt haben wollen: Wie wäre es denn, das Permanent Multipurpose Module (PMM), das eigentlich als Transportcontainer für das Space Shuttle konzipiert und nach dem Ende der Shuttle-Ära als zusätzlicher Stauraum am Node 2 belassen worden war, an den Node 3 zu verlegen und den Node 2 damit als zukünftigen Docking Port für sogenannte Visiting Vehicles freizumachen? Wir könnten den Videorekorder in Columbus endlich gegen einen Festplattenrekorder tauschen oder das Wasserventil ersetzen, das nicht mehr so arbeitet, wie wir wollen.
Mit dem letzten Punkt auf unserem Wunschzettel sah sich ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti am Freitag konfrontiert: Wir hatten die umfangreichen Aktivitäten dazu auf ihren Stundenplan - die Timeline - gebracht und sie damit in Atem gehalten: Schon am Vortag musste sie das Modul hierfür konfigurieren, denn das auszutauschende Wasserventil ist hinter Panelen neben der Eingangsluke versteckt, die durch einen der Experimentschränke verstellt ist. Deshalb hieß es für Samantha zunächst, das Express Rack 3 so herzurichten, dass es vorgekippt werden konnte, um den Zugang zum Ventil freizugeben.
Dazu musste einiges an Geräten von der Rackvorderseite entfernt und die verschiedenen Zuleitungen zu dem Rack abgesteckt werden: Strom, Stickstoff, die Venting und Vacuum Lines, die Videoverbindung und verschiedene Datenleitungen.
Am Freitag musste die Astronautin das mannshohe Rack nach vorne in die Kabine hineinkippen, was dank Schwerelosigkeit leicht zu bewerkstelligen war. Damit hatte sie Zugang zu dem Bereich, in dem die Wasserventile für Columbus zu finden sind, und konnte die Nomex-Abdeckung abnehmen. Nun lag ein Teil der "Kühlwasserinnereien" des Europäischen Forschungsmoduls vor ihr: Columbus muss aktiv gekühlt werden. Zum einen produzieren die verschiedenen Aggregate und Geräte Wärme und werden deswegen von Kühlwasser durchflossen. Zum anderen muss auch die Luft des Moduls gekühlt werden. Eine Klimaanlage im Weltall! Sehr wichtig ist zudem die Luftfeuchtigkeit. Auch Astronauten transpirieren - das muss in Grenzen gehalten werden. Wir können kein Kondenswasser brauchen, besonders nicht in Bereichen, wo elektrischer Strom präsent ist. Deswegen nutzen wir unser Kühlwasser, um eine gezielte Kondensation in einem Gerät zu erzwingen, das die Luft kühlt, entfeuchtet und das Kondenswasser dann an das amerikanische Wasserprozessierungssystem abführt.
Für all diese Zwecke hat Columbus zwei Kühlwasserpumpen, verschiedene Mechanismen, um die Temperatur des Wassers auf den gewünschten Soll-Wert einzustellen und zwei Wärmetauscher. Sie geben die durch den Kreislauf aufgenommene Wärme an den äußeren Ammoniak-Kühlkreis ab, von wo sie im Anschluss ins Weltall abgestrahlt wird. Es gibt also jede Menge Wasserventile in Columbus, zum Wasserabsperren, Wassermixen, Bypassventile...
Eines dieser Ventile - es trägt den nüchternen Namen Water-On-Off-Valve 6 oder kurz WOOV6 - lag nun vor Samantha und wartete darauf, gegen ein neues ausgetauscht zu werden. Wir hatten vom Columbus-Kontrollzentrum aus freilich vorher schon sichergestellt, dass kein Wasser mehr durch das Ventil floss und dass es sich etwas erwärmen konnte. Winterhandschuhe wollten wir der Italienerin dann doch nicht zumuten. Außerdem war wegen des gekippten Racks die Luftzirkulation nicht wie üblich, wodurch die Rauchmelder nicht alle Bereiche des Moduls überwachen konnten. Die Crew war somit "prime for smoke detection".
Samantha hatte das "Go", mit der 28-seitigen Prozedur für den Ventilaustausch zu beginnen. Geschlagene vier Stunden war die Astronautin als Klempnerin unterwegs: Neues WOOV inspizieren, Arbeitsplatz herrichten, das alte WOOV untersuchen und Bilder davon machen, es abstecken, zunächst die elektrischen, dann die Wasserleitungen und es schließlich ausbauen. Dann das neue Ventil einbauen, entsprechend isolieren und anstecken. Plötzlich wurde es kurzzeitig etwas hektischer, als Sam uns informierte, dass einer der Schnellverschlüsse leckt. Freies Wasser in der Kabine ist immer etwas, was wir nicht sehr schätzen. Aber gleich darauf ist die Lage wieder unter Kontrolle und das ausgelaufene Wasser aufgewischt.
Es ist schon Abend in Europa, als wir das neue Ventil zum ersten Mal vom Boden aus auf- und zuschalten können. Aufatmen bei uns und auch bei den Ingenieuren in Turin und Bremen - frei nach Galileo Galilei: Und es bewegt sich doch! Gut so, im Sommer muss die Kühlung schließlich funktionieren. ;-)
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