Und ... Action! Drehbuch eines Live-Events mit Matthias Maurer auf der ISS
Mein filmisches Schaffen umfasst das Doubeln einer Wasserleiche in einem „Polizeiruf 110“, die Rolle eines Kuchenessers im Hintergrund einer Frauenarztserie und schließlich in der Rubrik „Spezialeffekte“ das Wasserwellengenerieren mittels Motorboot bei einem Werbespot für eine internationale Fastfoodkette. Ach ja, zu Kinderzeiten war da auch noch die Verfilmung der ersten Episode vom „Räuber Hotzenplotz“...
Warum erzähle ich das? Damit ich Expertise ausstrahle, wenn ich Sie nun hinter die Kulissen blicken lasse und diesen Blog dem „Making of“ des Crew-Calls von letztem Freitag widme, bei dem über 100 Kinder mit Matthias Maurer per Videokonferenz verbunden waren – Höhepunkt der Nachwuchs-Aktion „Hand in Hand um die Welt“ während der Mission Cosmic Kiss.
Ich überspringe die vielen formalen Schritte, um ein solches Event überhaupt erst einmal zu initiieren, genauso die verschiedenen Telekonferenzen, in denen die Details ausgearbeitet werden, die Teilnehmer festgelegt und die Sprecher vereinbart.
Kommen wir zum „operationellen Teil“. Eine Woche vor dem Ereignis tauchte dieses das erste Mal bei uns im Kontrollraum als Eintrag in der Timeline auf: Ein blauer Rahmen um die Aktivität zeigt an, dass hier keine zeitliche Flexibilität erlaubt ist – die Astronauten müssen genau die geplante Zeit einhalten – klar, denn die Gesprächspartner sind mitunter auch mal ein Staatspräsident, der Papst oder die Tagesschausprecherin in einer Livesendung.
Spätestens am Vortag gäbe es eine stirnrunzelnde Nachfrage vom HOUSTON FLIGHT, wenn nicht das Skript für den Termin zur Verfügung stehen würde und mit der Aktivität auf der Timeline verknüpft wäre: Nichts passiert hier zufällig: Die Fragen der Interviewpartner sind hier aufgeschrieben, genauso Wünsche für das zu wählende T-Shirt, die im Hintergrund anzubringende Flagge oder bereitzuhaltende Gegenstände – und damit ist klar, warum bei solchen Calls immer das passende Demonstrationsobjekt greifbar ist, wenn es gebraucht wird.
Im Houstoner Kontrollraum gibt es mit „NASA PAO“ sogar eine eigene Konsolenposition im Hauptkontrollraum – den „Public Affairs Officer“ – der die Aktivität verantwortet und sich um alle Details kümmert. Er ist auch an diesem Freitag schon lange vor dem Beginn unseres Livecalls in Houston für uns im Einsatz, während bei uns auf der Besucherbrücke das improvisierte „Studio“ langsam Form annimmt, Ordnung in die vielen Kabel, Bildschirme, Regiepulte und Scheinwerfer kommt, das Moderatorenduo Lisa und Sina sich „warmmacht“ und sich die teilnehmenden Schulen auf die Videokonferenz aufschalten.
Schließlich aktiviert Matthias Maurer die Kamera in Columbus, und die Ground Controller kümmern sich darum, dass das Videosignal auf einem der neun „Downlinks“ der Internationalen Raumstation ISS herunter und sowohl zu uns nach Oberpfaffenhofen kommt, als auch in die Videokonferenzschaltung eingefügt wird.
Ein pinkfarbenes Columbus-Modul taucht auf einem unserer drei „big screens“ im Kontrollraum auf – wegen eines Pflanzenexperiments wird dort gerade farbiges Licht verwendet.
Das alles passiert einige Minuten vor dem großen Augenblick – Lisa und Sina sind da schon längst „auf Sendung“ und stimmen die Schulklassen auf den Live-Call ein. Auch Matthias ist bereits im Video zu sehen, auch er bereitet sich vor; davon, dass bei uns das „Event“ bereits läuft, bekommt er nichts mit: Die Audioverbindung ist noch nicht hergestellt, sehen wird Matthias während des gesamten Events nichts von uns.
Ernst wird es dann, als HOUSTON FLIGHT die Ground Controller auf seiner Seite darum bittet, den für das „PAO-Event“ vorgesehene Sprechfunkkanal in die vorher vereinbarte Einstellung zu bringen. Hierdurch entscheidet sich, ob jeder bei „unserem Event“ mithören kann, ob NASA TV oder andere Fernsehkanäle das Ganze auch senden dürfen oder ob es „sehr privat“ zugehen soll. Damit ist der Sprechfunkkanal dann auch so durchgeschaltet, dass die „Gegenstelle“ am Boden mit der Raumstation sprechen kann. Die Gegenstelle ist in unserem Fall eine Mitarbeiterin der ESA, die nun von Houston aufgefordert wird: „ESA PAO, please call station for a voice check.“
Eine kurzes Zähnezusammenbeißen bei allen Beteiligten, denn es ist eine ganz schöne Technikkette, die hier jetzt auf Anhieb funktionieren muss: Vom Columbus-Modul durch die Raumstation raus zu den TDRS-Satelliten im geostationären Orbit, runter über die Bodenstation in New Mexico, nach Houston, über den Atlantik, in das aufgesetzte Videokonferenzsystem…
Als Matthias dann den „voice check“ beantwortet, fängt die Kamera bei uns auf der Besucherbrücke ein, wie unsere beiden Moderatorinnen vor Erleichterung hüpfen.
Das Event läuft wie am Schnürchen. Während die Kinder ihre Fragen stellen und Matthias sie geduldig und sehr einfühlsam beantwortet, konzentriert sich unsere Flugdirektorin Angi auf anderes: Wie auch Lisa und Sina hat sie die Uhr im Blick – kurz nach dem geplanten Ende des Crew-Calls wird die Funkverbindung mit der ISS verloren gehen, bis dahin muss das Event abgeschlossen sein. Und dann beobachtet sie genau die Wassertropfen, die bei Matthias‘ Demonstration von „Wasser wird zu schwebenden Kugeln“ frei werden: Schwereloses Wasser sieht super aus, ist aber ein „no-go“ für die Elektrik an Bord. Wir hatten vor einigen Jahren schon einmal einen Feueralarm während einem Crew-Calls mit dem Bundespräsidenten – es gibt nichts, was es nicht gibt, deswegen sind Angi und ihr Team wachsam.
Wir überziehen die geplante Dauer nur leicht, alle Schulen können ihre Frage stellen, alle sind begeistert. Houston informiert Matthias: „Station, we are now resuming operational communications” und der Sprechfunkkanal ist herausgelöst aus der Konferenz und steht wieder uns im Kontrollraum zur Verfügung.
Ein großes Erlebnis war es natürlich insbesondere für die Schülerinnen und Schüler: einer ist sogar in einem Astronautenanzug im Video zu sehen, eine Schülerin trägt das Missionsshirt, das auch die Moderatorinnen und unser ganzes Team tragen.
Wahrscheinlich haben wir heute wieder einige Raumfahrtenthusiasten „generiert“, gut so! Was mir persönlich am Besten gefallen hat? Matthias über eines seiner Lieblingsexperimente - Concrete Hardening - erzählen zu hören, in dem es um Forschung an Beton geht: „Als ‚Maurer‘-Astronaut ist man freilich auch prädestiniert dafür, dass man Beton anrührt auf der Raumstation.“
Ganz großes Kino!
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