Raumstation Frankenstein? Wundheilung im All
Wie heilen genähte Wunden unter Weltraumbedingungen? Das untersucht das Experiment Suture in Space. Suture? Ja, denn hier liegt kein Tippfehler vor. Suture heißt Naht im Englischen und das Experiment geht der Frage auf den Grund, wie sich die Wundheilung der menschlichen Haut – einschließlich genähter Wunden – verändert, wenn die Schwerkraft fehlt.
Haut- und Venenproben wurden kurz vor dem Raketenstart durch ein Biologie- und Chirurgie-Team am Kennedy Space Center in Florida mit frisch genähten Wunden präpariert. Auf der ISS angekommen, waren mit Biotesc (Biotechnology Space Support Center) aus der Schweiz und dem MUSC, dem Microgravity User Support Center des DLR, zwei Kontrollzentren mit der Aufgabe betraut, die Proben neun Tage lang in einer Nährlösung „am Leben“ zu erhalten und den Heilungsprozess der Wunden zu überwachen. Am MUSC in Köln hat das Biolab-Team in Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen ESA-Beteiligten und den Hardware-Entwicklern das Experiment vorbereitet und von der Erde aus durchgeführt.
Biolab ist eine Experimentalanlage im Columbus-Modul der Internationalen Raumstation ISS und quasi die „Alleskönnerin“ unter den biologischen Payloads an Bord. Biolab verfügt über einen Inkubator, Kühlschränke, Zentrifugen und eine sogenannte Glovebox und ermöglicht vielseitige biologische Experimente in Schwerelosigkeit. Während eines Experiments kontrolliert unser Team all diese Systeme vom Boden aus, damit die Umgebungsbedingungen und Abläufe, die die Wissenschaftler im Vorfeld genau definiert haben, exakt eingehalten werden. Während der Durchführung arbeiten wir eng mit den Astronautinnen und Astronauten auf der Raumstation zusammen, die immer dann zur Stelle sind, wenn „Hand angelegt werden muss“, also zum Beispiel die Experimentcontainer vom Frachtraumschiff geholt und in Biolab eingebaut werden müssen.
Unsere Arbeit im Kontrollzentrum MUSC beginnt allerdings Jahre im Voraus, da wir schon bei der Entwicklung des Experiments einbezogen werden. Wir achten in dieser Phase in erster Linie darauf, dass keine Anforderungen gestellt werden, die sich operationell nicht umsetzen lassen. So achten wir darauf, wie viel Arbeitsaufwand das Design für die Astronauten bedeutet, welche Randbedingungen Biolab vorgibt oder wie die Umgebungsbedingungen im Columbus-Modul sind.
Sobald die Hardware für das Experiment Suture in Space fertiggestellt war, wurde sie bei uns in Köln an dem Zwillingsmodell von Biolab, einer nahezu identischen Kopie der Anlage auf der Raumstation, ausführlich getestet. Zum Abschluss dieser Testreihe fand eine Simulation der kompletten Experimentabläufe bei uns im Labor statt.
Das Experiment war ursprünglich schon für den Frühsommer 2022 geplant. Wegen mehrerer Startverschiebungen gab es aber am Ende keine Proben mehr, da sie nach der Entnahme bei den Spendern nur etwa vier Wochen haltbar sind. Daher musste im November mit frischen Proben ein neuer Anlauf genommen werden.
Mit Spannung erwarteten wir den Start. Auch hier haben wir zunächst ganz schön gezittert, denn die Wettervorhersagen in Florida für die Startzeiten waren ziemlich schlecht. Ein Startversuch wurde nur wenige Minuten vor der Zündung noch abgesagt. Ein paar Tage später aber, am 26. November 2022, hat letztlich alles geklappt, die Rakete konnte bei strahlendem Sonnenschein abheben und die Dragon-Kapsel am nächsten Tag an der ISS andocken.
Kurz nach Mitternacht am Morgen nach dem Andocken wurde Biolab auf der Raumstation eingeschaltet, damit sich der Inkubator schon auf die richtige Temperatur einstellen konnte. Nach der Mittagspause – es gab einige Verzögerung im eng getakteten Zeitplan der Raumstation – hat der japanische JAXA-Astronaut Koichi Wakata die Experimentcontainer dann in Biolab einbaut. Bei solchen Verspätungen achten wir darauf, dass die Proben auf keinen Fall zu lange bei einer ungünstigen Temperatur gelagert werden, da so das ganze Experiment beschädigt oder zerstört werden kann. Hier hat aber noch alles gepasst. Wir mussten nur die Aktivitäten der nächsten Tage entsprechend verschieben, um den zeitlichen Ablauf einzuhalten.
Ein besonders spannender Moment war das Einschalten der Container direkt nach dem Einbau, da dies der „Startschuss“ für das Experiment ist. Ab diesem Moment muss ein strikter Ablauf für den Umgang mit den Haut- und Venenproben eingehalten werden, damit die Wunden möglichst gut verheilen und die Proben nicht absterben.
Leider mussten wir feststellen, dass wir aufgrund eines technischen Problems keine gleichzeitige Verbindung zu allen Experimentcontainern herstellen konnten. Unsere Vorbereitungen hatten jedoch auch für diese Situation vorgesorgt: Wir hatten einen Alternativplan parat, wodurch wir bei der Lösung des Problems kaum Zeit verloren haben. Von da an erwarteten wir einen ruhigen weiteren Verlauf, da lediglich nach vier und neun Tagen jeweils ein Ausbau von je zwei Containern geplant war und diese Aufgabe wieder von Koichi Wakata ausgeführt werden sollte, der sich mit der Prozedur auskannte.
Umso überraschter waren wir, dass nach vier Tagen ein Alarm ausgelöst wurde: In Biolab hatte sich eine zunächst unbekannte Flüssigkeit angesammelt. Glücklicherweise stellte sich diese lediglich als Kondenswasser heraus und mit dem Austausch eines kleinen Schwamms durch Koichi Wakata konnte das Problem gelöst werden.
Noch ein kleiner Schreckmoment passierte in einer Nachtschicht, als plötzlich ein Subsystem ausfiel und damit einer der Experimentcontainer erneut keine Daten mehr lieferte. Mitten in der Nacht mussten wir daher unser Support-Team aktivieren. Zum Glück ist bis dahin noch kein Schaden an den Proben entstanden. In einem Notfallmeeting kamen wir schnell zu dem Schluss: Wir brauchen sofort Hilfe an Board! Nur eine halbe Stunde später hat Astronaut Wakata den entsprechenden Container an eine andere Position in Biolab eingesetzt, sodass er wieder Telemetriedaten übertragen konnte.
Nach dem Ausbau der Hardware am letzten Tag wurden die Probencontainer eingefroren. Am 11. Januar sind die Proben wohlbehalten auf der Erde gelandet. Für die Forschenden um die italienische Biologin Monica Monici geht die Arbeit in die nächste und intensive Phase, denn die Proben müssen sorgfältig untersucht und analysiert werden.
Unser MUSC-Anteil ist nun erledigt und wir blicken zufrieden auf diese zehn Tage zurück. Obwohl es einige Schwierigkeiten gab, konnten wir sie alle so schnell lösen, dass die Haut- und Venenproben keinen Schaden genommen haben. Es bleibt die Erkenntnis, dass man noch so viele „Was-wäre-wenn?“-Szenarien durchdenken kann, am Ende passiert doch etwas ganz anderes. Dennoch, die Gedankenspiele bereiten einen auf viele Eventualitäten vor. In Echtzeit die auftretende Schwierigkeit zu bewältigen, ist in jedem Fall nur mit viel Unterstützung möglich. Auch für Suture in Space war das alles nur möglich in der engen Zusammenarbeit mit den Flight-Controllern im Columbus-Kontrollzentrum in München, den Schweizer Kollegen von Biotesc, dem Biolab-Team von Airbus und allen anderen, die uns unterstützt haben. Ein besonderer Dank geht dabei an „unseren“ Astronauten Koichi Wakata und das ganze Team im MUSC.
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