18. Januar 2022

Hunga Tonga Hunga: Schall, der vor Tsunamis warnt

Am Samstag, den 15.01.2022 erschütterte um 05:15 Uhr mitteleuropäischer Zeit die gewaltige Explosion des unterseeischen Vulkans Hunga Tonga Hunga Ha‘apai den südpazifischen Inselstaat Tonga. Die Detonation war in über 2300 Kilometer Entfernung noch in Neuseeland hörbar. Messgeräte des EOC erfassten auch im bayrischen Oberpfaffenhofen die Druckwelle des Vulkans, die sich mit über 1000 Kilometer in der Stunde über den ganzen Planeten ausbreitete. Flutwellen folgten, die bis an die Küsten Südamerikas gelangten. Die Forschungsarbeiten des EOC sollen in Zukunft helfen, rechtzeitig vor Tsunamis zu warnen.

Seit einigen Jahren arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des EOC daran, den sogenannten Infraschall für ein neuartiges Tsunami-Frühwarnsystem nutzbar zu machen. Es handelt sich dabei um lautlose Druckwellen in einem sehr niederfrequenten Bereich unterhalb von 20 Hz. Anders als der hörbare Schall breitet sich der Infraschall nahezu ungedämpft in der Atmosphäre aus. Dort hinterlassen sie Spuren, die von den vom DLR entwickelten Infrarot-Kameras (FAIM) und Infrarot-Spektrometern (GRIPS) erfasst werden können. Voraussetzung ist ein wolkenfreier Blick auf die Mesosphäre in ca. 80 bis 100 Kilometer Höhe. 

Die DLR-Instrumente sollen dieses Jahr im Rahmen des OASIS-Projekts an der Europäischen Südsternwarte in der Atacama-Wüste getestet werden. Dort sollen sie unter anderem vor Tsunamis warnen. Im Falle eines Seebebens vor der chilenischen Küste kann mit ihnen, Minuten nach der seismischen Meldung, überprüft werden, ob auch in der Atmosphäre, am Rand zum Weltall, ein Druckimpuls ankommt. Andernfalls ist der Seeboden lediglich horizontal verworfen worden und der Tsunami bleibt aus.

Hunga Tonga Hunga: Schall, der vor Tsunamis warnt
18. Januar 2022
Der japanische Wettersatellit Himawari-8 zeigt die Eruption des unterseeischen Vulkans. Zu erkennen ist die Druckwelle unten rechts (ab 13:30 Uhr), die sich konzentrisch vom Ort der Eruption über die Erde verbreitet. Für einige Inselstaaten wurde daraufhin eine Tsunamiwarnung ausgesprochen und tatsächlich erreichte wenig später eine ca. 1,20m hohe Welle Tongas Hauptstadt. Tsunamiwellen wurden auch an den Küsten Perus und Chiles registriert.

Im Zuge der Vorbereitung dieser Mission testeten die Forscherinnen und Forscher in Oberpfaffenhofen gerade einen Mikrobarographen, als die massive Eruption im Südpazifik erfolgte. Das Gerät nimmt feinste Schwankungen des Luftdrucks an der Erdoberfläche wahr und soll die optischen Messungen der DLR-Instrumente FAIM und GRIPS in Chile ergänzen.

Etwa 15 Stunden nach der Vulkaneruption registrierte der Mikrobarograph in Oberpfaffenhofen die Schockwelle, nachdem diese bereits knapp 17.000 km um die Erde zurückgelegt hatte. Ein zweites starkes Signal erreichte das Gerät wenige Stunden später. Es handelte sich um den Teil der Druckwelle, der in entgegengesetzter Richtung einen längeren Weg um die Erde bis nach Oberpfaffenhofen zurückgelegt hatte. Auch danach kam der Mikrobarograph nicht zur Ruhe. Über Stunden registrierte er die elektromagnetischen Entladungen aus der Eruptionswolke, die eine Fläche von mehreren 100.000 Quadratkilometern bedeckte und bis in 20 Kilometer Höhe reichte. Erste Quellen sprechen von bis zu 6000 Blitzen pro Minute, die sich aus dieser Wolke entluden und den Mikrobarographen auf der anderen Seite der Welt ausschlagen ließen.

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Messungen des Infraschall-Mikrobarographen in Oberpfaffenhofen. Der Hauptteil der Signale im Infraschallbereich kommt jeweils etwa eine Stunde nach den beiden Durchgängen „1“ und „2“ der Schockwelle an. Dies ist auf die komplizierten Ausbreitungsbedingungen in der Atmosphäre zurückzuführen. (Carsten Schmidt, Leon Knez)

Die vorläufigen Frequenzanalysen des Signalverlaufs zeigen im Bereich von 0.2 Hz bis 2 Hz die verschiedenen Phasen der Vulkanaktivität. Die klar unterscheidbaren Signale zeugen von den unvorstellbaren Kräften, die hier am anderen Ende der Welt wirken. Der deutlich näher gelegene Vulkan Cumbre Vieja auf La Palma hatte sich hingegen kaum in den Messungen bemerkbar gemacht.

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Frequenzanalyse während und nach dem ersten Durchgang der Schockwelle am späten Abend des 15. Januar 2022. Die Infraschallaktivität steigt erst gegen 20:30 UTC deutlich an und bleibt dann über viele Stunden deutlich erhöht. Da es in Oberpfaffenhofen zu dieser Zeit weitgehend windstill war (unteres Diagramm), waren die Messbedingungen nahezu ideal. (Carsten Schmidt, Leon Knez)

Die detaillierte Datenauswertung erfolgt in den nächsten Wochen im Rahmen einer Kooperation mit der Universität Augsburg. Hierbei kommen hochkomplexe numerische Ausbreitungsmodelle (HARPA/DLR) zum Einsatz, die eine genaue Zuordnung der Signale zu den Ereignissen am Entstehungsort erlauben. Erste Ergebnisse der Berechnungen, die teilweise auf dem Hochleistungsrechner des Leibniz-Rechenzentrums in Garching erfolgen, werden in wenigen Tagen erwartet. 

Während die Bodenmessungen durch Wind und lokale Ereignisse beeinträchtigt werden, werden FAIM und GRIPS in der chilenischen Wüste einen unmittelbaren Blick auf das Infraschallgeschehen in der Atmosphäre erhalten. In Zukunft könnten auch Satelliten diese Instrumente tragen und global vergleichbare Ereignisse aufspüren. Bislang sind Tsunami-Frühwarnsysteme seismisch-induziert und liefern keine ausreichenden Warnungen bei Tsunamis, die beispielsweise durch große Massenbewegungen verursacht werden. So löste der Flankenkollaps des indonesischen Vulkans Anak Krakatau am 22. Dezember 2018 einen Tsunami aus, der über 430 Todesopfer zur Folge hatte. Dieser besonderen vulkaninduzierten Gefahr geht das EOC in einem weiteren vom BMBF geförderten Forschungsprojekt TSUNAMI_RISK nach.

Die von Hunga Tonga Hunga Ha’apai verursachte Flutwelle wütete vor allem auf Tonga, gelangte jedoch auch bis nach Südamerika. Auch die EOC-Mannschaft der antarktischen DLR-Empfangsstation GARS O’Higgins und der benachbarten chilenischen Antarktisstation mussten evakuieren, da die Stationen sehr tief liegen. Sie harrten gemeinsam 10 Stunden in einem Versorgungsdepot aus, das auf einer Anhöhe ca. 15 Meter über dem Meer steht.

Das EOC lieferte im Rahmen der International Charter ‚Space and Major Disasters‘ Aufnahmen des deutschen Radarsatelliten TerraSAR-X. Diese erlauben durch Wolken hindurch eine Kartierung der Katastrophenregion. Die Karte zeigt die potentiell vom Tsunami betroffenen Bereiche an der Südwestküste der Insel Nomuka, abgeleitet aus einer TerraSAR-X Aufnahme vom 17.1.2022.

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