Am großen Tisch in der Integrationshalle des Bremer Insti-
tuts für Raumfahrtsysteme läuft die Pumpe und saugt das silbrig
glänzende Sonnensegel auf den Tisch. Anders wäre die hauch-
dünne Folie nicht in den Griff zu bekommen. Schon eine einzige
schnelle Bewegung würde das Material in die Luft flattern lassen,
bevor es wieder fast schwerelos langsam landen könnte. Wie
Wasser fließt es über die Finger und ist dabei kaum zu spüren.
Gerade einmal sieben Mikrometer, also 0,007 Millimeter, ist die
Kapton-Folie aus Polyimid dick – und dennoch erstaunlich reiß-
fest. Vorsichtig schneiden Patric Seefeldt und Siebo Reershemius
die silbrigen Streifen zu, anschließend verkleben die beiden sie
zu einem Segel, das einen Satelliten durchs Weltall segeln lassen
kann.
Die erste Nagelprobe für das Projekt „Gossamer“ steht
2015 an: Dann sollen sich im Weltraum vier Masten entrollen
und gleichzeitig die dünnen Segel auf eine Größe von fünf mal
fünf Metern entfalten. Die Spulen, auf denen die Masten und
Segel aufgewickelt sind, werden nach getaner Arbeit abgewor-
fen. Übrig bleibt lediglich eine fünf mal fünf Meter große, aber
extrem leichte Struktur, deren Segel und Masten zusammen
nicht mehr als eineinhalb Kilo wiegen. Dieses Abwurf-Konzept
Wenn Segelschiffe nur vom Wind angetrieben über das Wasser gleiten, sieht das nicht nur elegant aus, sondern ist auch
extrem effektiv. Im Weltall fehlt der Wind – dafür gibt es aber eine Antriebskraft, die rund um die Uhr 365 Tage im Jahr
vorhanden ist: die Sonne. Deshalb sollen in Zukunft Sonden mit großen Sonnensegeln auf ihre Mission fliegen. Langsam,
aber stetig schneller werdend und ohne den Ballast eines Treibstofftanks. Das Ziel: die unendlichen Weiten des Weltraums
bis zur Grenze unseres Sonnensystems und darüber hinaus. Oder auch die Pole der Sonne. Regionen, die mit bisherigen
Antrieben nicht oder nur schwer zugänglich sind. Wissenschaftler des Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen und des
Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig konstruieren dafür hauchfeine Sonnensegel, die sich
nach dem Start an besonders leichten und zugleich stabilen Masten entfalten.
Mit „Gossamer“ wollen die Wissenschaftler die Kraft der
Sonne als Antrieb nutzen
Von Manuela Braun
Segeltour
durch den Weltraum
unterscheidet das europäische „Gossamer“-Projekt von seinen
amerikanischen und japanischen Konkurrenten. Wenn dann die
Lichtteilchen des Sonnenlichts, die Photonen, auf das Segel
prasseln, wird „Gossamer 1“ Fahrt aufnehmen. Anschließend
werden mit „Gossamer 2“ und „Gossamer 3“ im 2-Jahres-
Rhythmus die nächsten Segeltouren durchs Weltall folgen – mit
größeren Segeln, größerer Masse und mit Möglichkeiten, das
segelnde Raumschiff zu steuern.
Schub mit Sonnenkraft
Zumindest ist das die Idealvorstellung von Abteilungsleiter
Tom Spröwitz. „‚Gossamer 1‘ soll beweisen, dass es möglich ist,
solch eine Struktur im Orbit zu entfalten.“ Der Druck ist hoch,
denn wenn mit „Gossamer 1“ das Pilotprojekt scheitert, stehen
die Chancen auf weitere Versuche schlecht. „Wir müssen also
zeigen, dass der Sonnenantrieb eine Technologie ist, die sich
lohnt und die funktioniert.“ Das Prinzip dahinter ist einfach: Die
Photonen prallen gegen die aluminiumbeschichteten Segel und
sowohl durch den Aufprall selbst als auch durch das Abprallen
entsteht der Antrieb. Statt auf schwere Treibstofftanks mit end­
lichen Reserven setzen die Wissenschaftler mit den Solar Sails auf
die Sonne mit ihrer unerschöpflichen Leistung – und können
auf Ballast wie Tanks komplett verzichten. Auch wenn der An-
trieb zunächst extrem klein erscheint, durch die Beschleunigung
über Monate hinweg können Geschwindigkeiten von mehr als
100 Kilometern in der Sekunde erreicht werden. Damit sind
selbst Missionen bis ans Ende unseres Sonnensystems – oder
darüber hinaus – möglich. Da sich das Weltraum-Segelschiff
auch keinen Schwung durch das Vorbeifliegen an den Planeten
holen muss, könnten die Wissenschaftler theoretisch den Start
und somit ihre Missionen sogar unabhängig von jeglichen
Planetenkonstellationen planen.
Ein Konzept auf dem Prüfstand
Damit das Ultraleichtgewicht aber die Flüge durch den
Weltraum ohne Störungen absolvieren kann, testen die Wissen-
schaftler zunächst noch die praktische Umsetzung am Boden.
Wie müssen die Segel beschaffen sein? Wie müssen sie für den
Transport gefaltet und verstaut werden? Wie kann garantiert
Basteln am Antrieb der Zukunft: Patric Seefeldt zeigt am Modell den
Aufbau des Solar-Segels
Solar-antrieb
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