6. Mai 2022

Revolutionäre Flugzeugkonzepte: Eine neue Belastungsprobe für die Triebwerke

In letzter Zeit wurden viele neue Konzepte für zukünftige emissionsfreie Flugzeuge vorgestellt. Betrachtet man diese genauer, stellt man fest, dass die Flugzeugbauer dabei auch auf neue Integrationskonzepte für die Triebwerke setzen. Diese führen dazu, dass die Triebwerke die Grenzschicht vom Flugzeugrumpf einsaugen. Für das Gesamtflugzeug verringert sich der Widerstand, wodurch sich potenziell der Spritverbrauch reduzieren lässt. Auf Triebwerksebene hingegen stellt die gestörte Zuströmung sowohl das aerodynamische Betriebsverhalten als auch die strukturdynamische Auslegung vor Herausforderungen.

Boundary Layer Ingestion – Ein Trend mit vielen Auswirkungen

Abbildung 2: DLR-TuLam Konfiguration mit eingebetten Triebwerken

Bei der Entwicklung zukünftiger Flugzeugkonzepte besitzen Antriebe mit Grenzschichteinsaugung ein großes Potenzial (Boundary Layer Ingestion, BLI). Die Gründe hierfür sind vielfältig. Beispielsweise reduziert sich durch die verbesserte Integration der Triebwerke in den Rumpf der Widerstand des Flugzeugs, wodurch die benötigte Antriebsleistung gemindert wird. Für den Fan des Triebwerks wirken sich eingesaugte Grenzschichten und weitere Strömungsstörungen auf viele Teilbereiche aus. Es muss mit einem verminderten aerodynamischen Wirkungsgrad, verstärkten Schaufelschwingungen und der Anregungen zusätzlicher Lärmquellen gerechnet werden. Um die Auswirkungen umfassend für die verschiedenen Disziplinen der Fanauslegung zu bewerten, werden im DLR-Projekt AGATA3s das Verständnis über die physikalischen Mechanismen vertieft. Die Untersuchungen basieren auf dem DLR-Verkehrsflugzeugkonzept TuLam, in dessen Heck ein Triebwerk mit dem CRISPMulti-Fan integriert wurde. Die Schaufeln des CRISPMulti-Fans sind aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) gefertigt, was ihn aufgrund dieser Leichtbauweise schwingungsanfälliger macht.

Externe aerodynamische Schwingungsanregungen für Turbomaschinen

Abbildung 3: CRISPmulti-Rotor im M2V-Prüfstand am DLR-Standort in Köln

Durch aerodynamische Einflüsse werden Triebwerksschaufeln zum Schwingen angeregt. Im Gegensatz zum sogenannten Flattern, was eine selbsterregte Schwingung ist, können die Ursachen für eine externe aerodynamische Anregung sehr unterschiedlich sein. Beispiele dafür sind die Stator- bzw. Rotornachläufe, eine ungleichmäßige Zuströmung (z.B. durch Schräganströmung) oder, wie in diesem Fall, das gezielte Einsaugen einer Rumpfgrenzschicht (BLI). Die Anregung erfolgt typischerweise mit dem Vielfachen der Drehfrequenz. Dieses Vielfache wird als Anregungsordnung (engl. Engine Order, EO) bezeichnet. Die Anregungsarten unterscheiden sich nicht nur in ihrer Anregungsordnung, sondern auch in der Störungsintensität. Eine breitbandige Anregung durch eine BLI, was sowohl die Anregungsordnung als auch die angeregten Schwingungsformen betrifft, stellt dabei einen besonders hohen Anspruch an die notwendige strukturelle Bewertung des Antwortverhaltens. Das Durchlaufen eines sich in Umfangsrichtung periodisch ändernden Druckfeldes gehört zu den elementaren Auslegungskriterien bezüglich dynamischer Belastung der Schaufeln. Da die Anregung betriebsbedingt permanent auf die Struktur einwirkt, müssen demzufolge Versagenskriterien eingehalten sowie Lebensdaueraspekte abgeschätzt werden.

Auch Triebwerksschaufeln können schwingen

Abbildung 4: Änderung des Druckbeiwerts auf der Schaufeloberfläche während des Durchlaufens einer Einlaufstörung

Als vereinfachte Bewertungsverfahren von extern angeregten Schaufelschwingungen wird im Turbomaschinenbereich die sogenannte Energiemethode verwendet. Dabei wird davon ausgegangen, dass in Resonanz, wenn eine Anregungsfrequenz identisch mit einer Eigenfrequenz ist, die betreffende Eigenform und Anregungsordnung dominieren und es somit ausreichend ist, sich in der Bewertung auf diese zu beschränken. Das führt zu einem deutlich verringerten Simulationsaufwand. Für komplexe Anregungsmechanismen, wie sie bei einem BLI-Fan vorliegen, ist eine solche vereinfachte Betrachtung jedoch nicht mehr ausreichend. Hier kommt die modale Superposition zur Anwendung, bei der sowohl die Einzelantworten von mehreren antwortenden Eigenformen als auch die Strukturantwort auf verschiedene Anregungsordnungen überlagert werden können.

Aerodynamische Anregungsmechanismen

Aufgrund der Randbedingungen, gegeben durch Anregungsfrequenzen und Struktureigenschaften (insbesondere der Eigenfrequenzen), ergeben sich eine Fülle von Betriebsbedingungen, die zu bewerten sind. Durch die Anregung einer Einlaufstörung erhöht sich diese Anzahl um ein Vielfaches. So muss neben dem sicheren Betrieb bei der Auslegungsdrehzahl auch ein sicheres Durchfahren vieler Resonanzpunkte gewährleistet sein. In Abbildung 5 ist die berechnete Schwingungsamplitude für die Schaufelspitze für eine definierte Störung und einen spezifischen Betriebspunkt für die ersten zehn Anregungsordnungen dargestellt (Anregungsfrequenzen mit Symbolen markiert). Mit dem vereinfachten Bewertungsverfahren lässt sich lediglich die Schwingungsantwort auf die zweite Anregungsordnung berechnen (links mit blauem Symbol, rechts als blaue Linie dargestellt). Für eine genaue Strukturbewertung ist die Summe der Antworten auf mehrere Anregungsordnungen ausschlaggebend (im rechten Bild in schwarz dargestellt), da ansonsten das Antwortverhalten deutlich unterschätzt wird.

Abbildung 5: Berechnete Schwingungsantwort für eine definierte Störung und Betriebspunkt
inks: Schwingungsamplitude der Schaufelspitze, Anregungsfrequenzen mit Symbolen markiert, rechts: resultierende Spannung für einzelnen Anregungsordnungen (oben) und die Summe aus den Anregungsordnungen (unten)

Wegbereitung für sichere Windkanal-Versuche

Durch die aufgebaute Expertise und Prozessketten am Institut für Aeroelastik ist es nun möglich, eine genaue Bewertung für verschiedenste Störungsformen durchzuführen und so geeignete Störungsprofile für die geplanten Windkanal-Experimente auszuwählen, um eine sichere Durchführung der Versuche zu gewährleisten. Durch die gewonnenen Erkenntnisse aus den Versuchen können im Anschluss Rückschlüsse für zukünftige Fankonstruktionen für die BLI-Anwendung gezogen werden, um diese sicher und effizient zu gestalten.

Weiterleseempfehlungen:

Autorin:

Franziska Eichner, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung: Aeroelastische Experimente

Kontakt

Dr. rer. nat. Holger Mai

Leitung Aeroelastische Experimente
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstr. 10, 37073 Göttingen