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Mit Psychologie die Missionen zu Mond und Mars simulieren

Mit Psychologie die Missionen zu Mond und Mars simulieren
Verbindet Psychologie und Raumfahrt
Amelie Therre leitet die Isolationsstudie SOLIS100, die im Frühjahr am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin beginnen wird.

Amelie Therre ist promovierte Psychologin – ein Arbeitsgebiet, das man vielleicht nicht unbedingt mit der Raumfahrt verbindet. „Ich hatte aber schon immer eine Faszination für Raumfahrt und habe irgendwann festgestellt, dass man diese mit Psychologie kombinieren kann – das war ein Aha-Erlebnis“, sagt sie. Die 31-Jährige hat bereits ihre Praktika im DLR absolviert und auch ihre Masterarbeit am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin geschrieben. Und ist – „Das ist ja so ein klassischer DLR-Werdegang hier“ – auch nach ihrer Promotion weiterhin beim DLR beschäftigt. Jetzt leitet sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Sarah Piechowski-Worms die Isolationsstudie SOLIS100 am Institut. Sechs Proband/innen leben ab Frühjahr 2026 für 100 Tage in einem abgetrennten Bereich unserer Großforschungsanlage :envihab, restriktives Internet, kaum Kontakt zu Außenwelt. Im Interview berichtet sie, was das mit der irdischen Missionscrew machen wird und was ihre Aufgaben vor und während der Studie sind.

Das Interview führte Manuela Braun.

Was macht Isolation mit einem Menschen und wie einsam werden die Teilnehmenden der Studie sein?

Isolation ist nur ein Teil der Herausforderung, mit dem eine Crew während der Raumfahrtmission zu tun hat. Insgesamt spricht man von einer ICE-Umgebung – also „isolated, confined, extreme“. Die Isolation bezieht sich auf das Fehlen des normalen sozialen Umfelds, das man auf der Erde hat. Die Umgebung ist zudem „confined“, also begrenzt, zum einen bezüglich des Platzes und der Privatsphäre, aber auch was die Ressourcen angeht. Man hat wenig Platz für sich, man lebt auf engem Raum gemeinsam mit fremden Menschen. Die Auswirkungen einer solchen Situation wollen wir besser erforschen. Es gab bereits Studien, aus denen wir wissen, dass zum Beispiel die Stimmung, die Emotionen, betroffen sind. Im Mars500-Experiment wurden auch Auswirkungen auf den zirkadianen Rhythmus, also auf die Schlaf- und Wachrhythmik berichtet. Generell kann es – das wird von Antarktisaufenthalten berichtet – eine Affektverflachung geben, das heißt, es kann sein, dass der Körper runterfährt, auch hinsichtlich der ganzen Psyche. Natürlich kann das auch Effekte auf die Teamzusammenarbeit haben und psychologischen Stress auslösen, der sich wiederum auf den Körper auswirkt.

Wenn das bereits bekannt ist – welche neuen Ergebnisse soll die SOLIS100-Studie bringen?

Viele von diesen Daten sind bisher nicht ganz eindeutig – so wurde beispielsweise in einigen Studien festgestellt, dass es in der kognitiven Leistung Einbußen gibt, in anderen Studien wurde dies nicht festgestellt. Unsere SOLIS100-Studie ist deshalb wichtig, weil es bisher keine standardisierte Datenerhebung gibt. Die bisherigen Isolationsstudien unterscheiden sich enorm hinsichtlich der Isolationsdauer, der Zusammensetzung der Crew, des Missionsszenarios und der Umgebungsbedingungen. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist deshalb schwierig. Mit SOLIS100 wollen wir eine sehr standardisierte Form umsetzen und durch ein Expert/innen-Gremium ausgewählte Standardmaße erheben, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen.

Wie stellt ihr im :envihab die Bedingungen her, auf die ein Team bei einer Mission zu Mond oder Mars trifft?

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Die Schlafkapseln der Proband/innen sind der einzige Rückzugsort.

Es gibt einen Hauptraum mit sechs Schlafkapseln als begrenzten Bereich für die sechs Crewmitglieder. Der einzig wahre Rückzugsort ist der Schlafbereich – und Toilette sowie Dusche natürlich. Alle übrigen Bereiche sind Gemeinschaftsbereiche. Das ist vergleichbar mit der Internationalen Raumstation ISS. Wir limitieren außerdem die Ressourcen, d.h. die Crewmitglieder dürfen nur zwei Mal die Woche jeweils fünf Minuten duschen – auch auf der ISS ist Duschen nicht möglich. Nahrung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Die gesamte Nahrung, die die Crew zu sich nehmen wird, wird bereits zu Beginn der Isolation im Isolationsbereich sein. Das sind alles haltbare Nahrungsmittel, es gibt kein Obst und frisches Gemüse, so wie auch bei einer wirklichen Raumfahrtmission. Und es gibt nur sehr wenig Kontakt zur Außenwelt. Einmal in der Woche ist eine zweistündige Videokonferenz mit der Familie möglich. Wir haben einen sehr strikten, strukturierten Tagesablauf. Es gibt viele Experimente und zudem eine Stunde Sport am Tag.

Was ist deine Aufgabe vor, während und nach der Studie, die im Frühjahr 2026 starten wird?

Zunächst einmal: SOLIS100 ist ein Projekt mit vielen Mitarbeitenden. Wir haben insgesamt zehn Arbeitspakete – unter anderem für die Ernährung, den Sport, die Rekrutierung, das Datenmanagement, die medizinische Versorgung, das Labor und die Infrastruktur. Meine Aufgabe der Leitung, die ich gemeinsam mit Sarah mache, ist die übergeordnete Organisation. Wir stehen in Kontakt mit der ESA als Auftraggeber, wir informieren auf regelmäßigen Meetings, wir haben 23 wissenschaftliche Teams aus der ganzen Welt – da müssen wir vieles klären und abstimmen. Welches Equipment wird benötigt, welche technischen Voraussetzungen sind erforderlich, etc. Dann geht es natürlich auch um die Planung der biologischen Proben.

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Sind gemeinsam für die Durchführung der Studie verantwortlich: Amelie Therre (r.) und Sarah Piechowski-Worms

Bei der Rekrutierung bin ich ebenfalls aktiv, der Prozess hat ja sehr viele Schritte, da führe ich Telefoninterviews mit den Bewerbenden. Im Moment identifizieren wir Personen, die wir zu einem Assessmentcenter nach Hamburg einleiten. Ich erstelle die Tagesabläufe – für jeden Tag muss für jeden Teilnehmenden ein genauer Plan erstellt werden, wer wann was machen muss. Ich bin auch Teil der „Mission Control“. Die Teilnehmenden werden 24 Stunden audio- und videoüberwacht. Das hat wissenschaftliche, aber auch sicherheitstechnische Gründe,. Gemeinsam mit Sarah habe ich seitens des DLR die Verantwortung, ob wir bei einem bestimmten Anlass die Tür öffnen und somit die Isolation unterbrechen.

Welche Eigenschaften müssen die Proband/innen mitbringen?

Es gibt harte Kriterien, die von der ESA vorgegeben sind – wir suchen Menschen mit mindestens Bachelorabschluss und Berufserfahrung, präferiert aber mit Masterabschluss, die Alterspanne liegt bei 25 bis 55 Jahren. Wir wollen sogenannte Analog-Astronaut/innen, die möglichst nah an einer realen Astronaut/innen-Crew dran sind – also Männer und Frauen sowie eine internationale Zusammensetzung. Was bei der Auswahl auch wichtig ist, sind körperliche Fitness, psychisches Durchhaltevermögen und Gesundheit. Ganz wichtig: Wir suchen Leute, die eine intrinsische Motivation mitbringen, die mit ihrer Teilnahme der Wissenschaft, der Raumfahrt helfen möchten. Es müssen auch Personen sein, die wir generell als teamfähig ansehen, also keine Einzelkämpfer. Viele Aspekte unserer Kriterien sollen die Risiken minimieren, dass die Isolation unterbrochen werden muss oder dass Proband/innen die Studienteilnahme frühzeitig beenden möchten.

Warst du selbst schon mal in einer ähnlichen Situation, wie es die Teilnehmenden der Studie sein werden?

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Wenig Kontakt zur Außenwelt - das ist die Hauptbedingung für die Isolationsstudie.

Nein, nicht wirklich. Ein möglicher Vergleich, den viele nachvollziehen können, ist vielleicht die Zeit während der Corona-Pandemie. Währenddessen sollte man die Wohnung nicht verlassen und hat viel Zeit alleine oder im engen Familienkreis verbracht. Aber es gibt natürlich den großen Unterschied, dass in unserer Studie der Kontakt nach außen noch minimaler ist, der eigentliche Kontakt zu Fremden besteht und es auch eine Ressourcenbeschränkung gibt. Aber während der Pandemie hat vielleicht jeder zumindest eine kleine Ahnung von sozialer Isolation bekommen.

Würde ich mich bewerben? Ich selbst bin auf jeden Fall besser dazu geeignet, SOLIS100 aus Mitarbeitendenperspektive heraus zu unterstützen.

Amelie Therre, Psychologin am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin

Wie groß ist denn das Team im DLR, die sich um die sechs Studienteilnehmenden kümmern werden?

Alle zehn Arbeitspakete sind auch während der Studie relevant. Das Data-Management-Team muss beispielsweise sicherstellen, dass der Ablauf der Datenübertragungen regelmäßig funktioniert. Für alle Arbeitspakete zusammen sind also bestimmt mindestens 20 Personen involviert. In der „Mission Control“ mit Tag- und Nachtschichten werden sicherlich weitere zehn Mitarbeitende benötigt. Es wird also ein großes Team für die SOLIS-Studie im Einsatz sein, damit die Proband/innen und die wissenschaftlichen Teams ihre Forschung machen können.

Welche Experimente gehören zu dieser Forschung dazu?

Zum Beispiel wird die KI-gestützte Ultraschalluntersuchung erprobt, damit Astronaut/innen sich bei Missionen untersuchen können. Der Schlaf wird erforscht und die Auswirkungen von Stress und Isolation darauf. Viele Experimente beschäftigen sich mit kognitiven Leistungen, wie zum Beispiel die Steuerung eines Roboterarms. Wir entnehmen viele biologische Proben, um Parameter von beispielsweise Stress zu untersuchen. Auch die Teamzusammenarbeit wird erforscht, beispielsweise wie das Team Entscheidungen trifft. SOLIS100 ist eine reine Observationsstudie, das heißt, es werden keine Gegenmaßnahmen erprobt und untersucht, sondern observative Daten gesammelt. Das könnte bei weiteren Studien mit denselben Standardisierungsparametern dann natürlich aber der Fall sein.

Wenn du nicht im DLR arbeiten und so eine Ausschreibung sehen würdest – würdest du dich bewerben oder wäre das nichts für dich?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht hätte ich das vor ein paar Jahren noch gemacht, aber heute möchte ich keine Isolation von meinem Umfeld. Ich bin sehr gerne beim Sport, ich koche gerne, gehe spazieren, male, spiele Klavier, lese und habe viele kreative Hobbies. Ich selbst bin auf jeden Fall besser dazu geeignet, SOLIS100 aus Mitarbeitendenperspektive heraus zu unterstützen.

Proband/innensuche: Testperson werden