Missionsplanungstechnologie
Software-Applikationen für die Missionsplanung
Seit über fünf Jahrzehnten ist das GSOC für die Vorbereitung und Durchführung zahlreicher bemannter und unbemannter Raumfahrtmissionen verantwortlich. Effiziente und professionelle Planung der Aktivitäten des Raumfahrzeuges und am Boden während der Mission ist dabei stets ein entscheidender Faktor für den Erfolg.
Die Aufgaben der Missionsplanung umfassen u.a.
- Sammlung und Analyse sämtlicher Informationen, Ressourcen und Anforderungen im Vorfeld der Mission
- Entwicklung anspruchsvoller, intelligenter und schneller Anwendungen zur Unterstützung von Missionsvorbereitung und –durchführung (siehe dazu die Programmliste weiter unten)
- Planung aller Aktivitäten an Bord eines Raumfahrzeuges und ebenso der daraus abgeleiteten Bodenaktivitäten
- Automatische oder interaktive regelmäßige Generierung der Mission-Timeline
- Verteilen der entsprechenden Ergebnisse (z.B. ausführbare Befehle für Raumfahrzeug, Plan für Bodenstationseinsatz, etc.) und der entsprechenden Dokumentationen
Die erfahrenen Wissenschaftler des Missionsplanungsteams am GSOC (DLR-Gruppe RB-MIT-MIP) haben für die Missionsdurchführung zum einen ein eigenes, generisches Planungsframework für die Optimierung und Koordinierung sämtlicher Onboard-Aktivitäten eines Raumfahrzeuges entwickelt. Dieses System wird kontinuierlich durch Integration neuer Planungskonzepte verbessert, um aktuellen und zukünftigen Ansprüchen gerecht zu werden. Dies kann kurzfristig, bei schon im Betrieb befindlichen Systemen, durch eine einfache Anpassung der Konfiguration der Planungsbedingungen und -regeln erfolgen, aber sich natürlich insbesondere für mittel- und langfristige Projekte im Gesamtdesign widerspiegeln.
Zum anderen wurden und werden vom Missionsplanungsteam passend zu den jeweiligen Missionsanforderungen oft zusätzliche projektspezifische Softwarekomponenten entwickelt und betreut, die im Zusammenspiel mit oder basierend auf den generischen Komponenten dann das Missionsplanungssystem der Mission bilden.
Ein aktueller Überblick über das Produkt- und Service-Portfolio des Missionsplanungsteams am GSOC im pdf-Format findet sich hier.
Filmisch aufbereitet kann man zudem hier einen knappen Überblick über die verschiedensten Software-Anwendungen der gesamten Abteilung Missionstechnologie (RB-MIT) incl. der MIP-Komponenten gewinnen. (Stand: Juni 2021)
Das generische GSOC-Planungsframework ist eine etablierte und bewährte Toolsuite,
- erfolgreich eingesetzt bei bemannten Missionen wie Spacelab, D-2, X-SAR/SRTM, MIR,
- ebenso erfolgreich verwendet bei wissenschaftlichen Satellitenmissionen (z.B. CHAMP, GRACE 1&2, TerraSAR-X und TanDEM-X, FireBird, Eu:CROPIS, GRACE-FO, EnMAP)
- außerdem erfolgreich angewandt während der kommerziellen Missionen TDP-1, EDRS-A&-C, PAZ und SmallGEO HAG-1 (bei den beiden letzteren, nur LEOP- und Commissioning-Aktivitäten), und
- wird in Form von Unterstützungskomponenten im Rahmen von Lizenzverträgen bei externen Anwendern genutzt.
Diese Toolsuite kann auf verschiedenste Weise konfiguriert werden, um ein breites Spektrum von Missionsanforderungen abzudecken. Die Hauptkomponenten sind aktuell:
- Reactive Planning Framework - die generischen Planunssystem-Komponenten, -Services und -Infrastruktur
Um auf die Anforderungen der betreuten Satellitenmissionen generisch vorbereitet zu sein, wurde ein neuartiges Missionsplanungs-Framework erstellt und wird stetig erweitert, das auf hochreaktive Planungs- und Kommandierungsmöglichkeiten abzielt. In diesem Rahmen wurde eine robuste, skalierbare, hochgradig konfigurierbare Toolsuite inklusive neuheitlicher Persistenz-Mechanismen aufgebaut, die nun für verschiedenste automatische und semi-automatische Planungssysteme eingesetzt wird. Siehe auch "The Incremental Planning System" sowie "The EnMAP Mission Planning System" und "Replacing the TDP-1 Mission Planning System" in der Liste der Publikationen.
- Plains - die neue zentrale Modellierungs- und Planungsbibliothek
Die Entwicklung eines Upgrades der PLATO-Bibliothek (s.u.) in der Programmiersprache Scala erlaubte ein Redesign sowie die fortlaufende Erweiterung der grundlegenden Modellierungsprache, algorithmischen Konzepte und Funktionalitäten für jedes neue, am GSOC entwickelte Planungssystem, inhärent eingebunden im Reactive Planning Framework.
- PintaOnWeb - das neue zentrale Tool für Inspektion und Interaktion
Dies zielt darauf ab, unsere bisherigen generischen Tools PINTA and TimOnWeb (s.u.) zu kombinieren und zu ersetzen, um für die Anforderungen neuer Missionen und weiterer Applikationen vorbereitet zu sein. PintaOnWeb verwendet neuartige Web-Development-Technologien und -Frameworks und baut im Backend auf dem Reactive Planning Framework und der Plains-Bibliothek auf. Das stellt sicher, dass alle Vorteile kombiniert werden, und erlaubt einen interaktiven, robusten und skalierbaren Gesamt-Werkzeug-Baukasten für sämtliche Missionsplanungs-Operations anzubieten.
Darüber hinaus ist eine Anbindung der SCOTA-Services (s.u.), und auch eine Kombination mit SPOTOnWeb (siehe SPOT) vorgesehen, um eine noch nutzerfreundlichere, ganzheitliche, aber frei rekombinierbare Toolsuite für die verschiedensten zukünftigen Missionen und ihre Anwendungsfälle bereitzustellen.
- SCOTA (SpaceCraft Orbit and groundTrack Analysis tool) - aktuellste Generation der Eventkalkulationssoftware
SCOTA unterstützt die gebräuchlichsten Orbit-Propagator-Modelle (SGP4, SGP8, etc.) für verschiedene Missionsanforderungen. In Abhängigkeit von Flugbahn und Neigung des Raumfahrzeuges und der entsprechenden Instrumenteigenschaften kann mit der Software eine Vielzahl von Events berechnet werden. Beispiele für solche Events sind: Tag- und Nacht-Perioden, Sichtbarkeit des Satelliten und die Sichtbarkeit von Zielgebieten, mit oder ohne Beachtung eines Elevationsmodells. Als Ausgabe realisiert die Software verschiedenste Formate incl. der Bodenspur des Satelliten. SCOTA kann sowohl als Bibliothek als auch über seine Services oder auch als alleinstehende Applikation verwendet werden.
- SPOT (Swath Preview and Ordering Tool) – ein interaktives Tool zur Aufnahmebestellung und Visualisierung
SPOT ist aktuell eine GUI-Anwendung, die mit Funktionen der SCOTA-Bibliothek arbeitet. Sie ermöglicht, die Schwade von Satelliten für gewählte maximale Sichtwinkel anzuzeigen. Des Weiteren kann der Nutzer Sichtbarkeiten von gewünschten Aufnahmezielen eines oder mehrerer Satelliten basierend auf den verfügbaren TLEs (Two-Line Elements) und vorkonfigurierten Aufnahmemodi berechnen und auf einer interaktiven Karte anzeigen lassen. Für jeweils vom Nutzer ausgewählte Aufnahmemöglichkeiten erstellt das Tool außerdem konsistente PlanningRequests, die an das Planungssystem der jeweiligen Mission geschickt werden können und alle einplanungsrelevanten Informationen enthalten.
In naher Zukunft werden die SPOT-Funktionalitäten zum sogenannten SPOTOnWeb migriert und darin generisch erweitert werden.
- PLATO (PLAnning TOol) – eine extrem schnelle und intelligente Scheduling-Bibliothek
Die Stärken von PLATO liegen in den flexiblen und anschaulichen Modellierungsmöglichkeiten und umfangreicher Unterstützung für die Erstellung von kundenspezifischen Algorithmen. Standardalgorithmen stehen zur Verfügung, die mittels eines ausgefeilten Plug-in-Mechanismus kombiniert und erweitert werden können und so die üblichen Planungsanforderungen abdecken. PLATO kann als eine 'Stand-Alone'-Bibliothek in vollautomatische Planungssysteme eingebunden werden (aktuelle Beispiele: TerraSAR-X und TanDEM-X, TDP-1, EDRS-A&-C) oder in semi-automatischen Planungssystemen aufgerufen werden (wie bei den meisten anderen Missionen, die am GSOC betreut werden).
- PINTA (Program for Interactive Timeline Analysis) – ein interaktives Planungs- und Visualisierungstool
PINTA ist bestens geeignet für die Durchführung des Planungsprozesses, ausgehend von dessen Modellierung mit Definition von Ressourcen, Aufgaben und Contraints, bis hin zur halbautomatisierten zeitbasierten Planung. Mit Hilfe der Anzeige von Konflikten, Ressourcen-Auslastung und möglicher Zeitspannen für die Umplanung von Aktivitäten wird eine intuitive und zielgerichtete Planung der Timeline ermöglicht. Neben vielfältigen generischen, konfigurierbaren Informations-Import- und Export-Funktionalitäten sowie einem Plug-in-Mechanismus für projektspezifische Erweiterungen bietet PINTA über die Einbindung der PLATO- und der SCOTA-Bibliothek die Möglichkeit deren Algorithmen und Funktionen zu verwenden.
- SoEEditor (Sequence of Events Editor) - eine spezielle Konfiguration von PINTA zur Vorbereitung und Begleitung der besonderen Aktivitäten, die während der LEOP einer Mission und den diese vorbereitenden Simulationen geplant und effektiv umgeplant werden müssen. Für die Zukunft ist hier eine Migration dieser Funktionalitäten hin zu PintaOnWeb vorgesehen.
- TimOnWeb (Timeline On Web) – ein flexibles Visualisierungstool für die Missions-Timeline, basierend auf den PINTA- und PLATO-Bibliotheken.
Diese Toolsuite wird ständig weiterentwickelt. Seit 2022 wird beispielsweise die InTAS-Software entwickelt, zum "Integrated Terminal and Antenna Scheduling". Diese baut auf PintaOnWeb, Reactive Planning, Plains, SCOTA sowie unseren bisherigen Erfahrungen der Bodenstations- und optischen Linkplanung und der Wolkenbedeckungsvorhersage auf und adressiert die Herausforderungen der Planung von sowohl Hochfrequenz- als auch Laser-Kommunikation, und von Kommunikation sowohl zwischen Boden und Satellit als auch zwischen Satelliten.
Zusätzlich beschäftigt sich das Missionsplanungsteam auch mit der Neuentwicklung von Missionsplanungssoftware auf dem Gebiet der Onboard-Planungsautonomie:
- Ziel ist es, die begrenzten Onboard-Ressourcen eines Satelliten bestmöglich zu nutzen und auf während der bodengebundenen Planung noch nicht bekannte Ereignisse direkt reagieren zu können. Solche Ereignisse sind z.B. Wolkenbedeckung oder die Erkennung von interessanten Inhalten in aufgenommenen Daten. Dazu soll eine zusätzliche Software-Komponente in die Onboard-Software eingebettet werden, die quasi in Echtzeit Umplanungen und Umkommandierungen vornimmt, ohne dabei Constraints zu verletzen oder die vorkommandierte Basis-Timeline für die parallele Durchführung der ‚herkömmlichen’ Erdbeobachtungsmission zu stören. Um das zu gewährleisten, wird die Onboard-Software-Komponente von entsprechend weiterentwickelten Funktionen der Missionsplanung am Boden unterstützt. Diese übernimmt komplexe Vorberechnungen und stellt sie über die Kommandierung zur Verfügung. Eines der Projekte hierzu war die Vorbereitung des Experiments VAMOS (Verification of Autonomous Mission planning Onboard a Spacecraft) auf dem Satelliten BIROS (Teil der FireBird-Mission), bei der einerseits neue Aktivitäten aufgrund an Bord beobachteter Ereignisse vorbereitet und andererseits alle am Boden und an Bord vorbereiteten Aktivitäten in Echtzeit auf Durchführbarkeit überprüft und gegebenenfalls durchgeführt werden sollten. Nachdem dies auf Grund von Satellitengegebenheiten nicht operationell werden konnte, ist der nächste geplante Meilenstein bei diesem Thema jetzt die Validierung dieses Konzepts als Experiment OBETTE im Rahmen der SeRANIS-Mission.
Darüberhinaus engagiert sich das Missionsplanungsteam im Bereich des Quantencomputings:
- Quantencomputer erlauben in der Zukunft asymptotisch schnelleres Lösen spezifischer Herausforderungen, wie zum Beispiel kombinatorischer Optimierungsprobleme mit Nebenbedingungen. Da viele Algorithmen in den Themengebieten der Missionsplanung mit wachsender Größe sehr rechenintensiv werden, versuchen wir bereits heute, moderne Quantenalgorithmen zu entwerfen und in den operationellen Betrieb einzubinden. Dies betrifft unter anderem das Planen des Bereitschaftsdienstes der vielen Kollegen im Missionsbetrieb, die Bodenstationsplanung einer großen Satellitenkonstellation oder die Aufnahmeplanung für einen Erdbeobachtungssatelliten. Dies geschieht z.B. im Rahmen des Projekts Quantum Mission Planning Challenges, siehe QMPC.
Neben der generischen Toolsuite entwickelt und betreut das Missionsplanungsteam am GSOC wie oben erwähnt die Missionsplanungssysteme verschiedener Missionen, und ist hierbei in allen Phasen einer Mission von Vorbereitung und Anforderungsermittlung über Design, Implementierung und Tests bis hin zum Routinebetrieb mit laufenden Funktionserweiterungen eingebunden. Eine Aufstellung der bereits unterstützten, aktuellen und in Vorbereitung befindlichen Missionen und ähnlicher Projekte findet sich hier.