Die Flatterproblematik beim rückwärts gepfeilten Nurflügel – Untersuchungen an zwei extravaganten Flugzeugentwürfen von heute und von vor 80 Jahren
14. Oktober 2025
Die Flatterproblematik beim rückwärts gepfeilten Nurflügel – Untersuchungen an zwei extravaganten Flugzeugentwürfen von heute und von vor 80 Jahren
Im Herbst 2024 und im Mai 2025 hatte das Institut für Aeroelastik gleich zweimal die Gelegenheit, einen Standschwingungsversuch an einem Nurflügel-Segelflugzeug durchzuführen. So ähnlich sich die Flugzeuge in Bezug auf ihr eher ungewöhnliches Konzept auch sind, so sehr unterscheiden sie sich im Detail. Bei der Horten IV handelt es sich um einen Nachbau einer Konstruktion aus dem Jahr 1943 (das Original befindet sich im Deutschen Museum München). Sie besteht aus Tragflächen in Holzbauweise und einem Rumpf aus verschweißten Stahlrohren. Die Vollendung des Nachbaus wird von der akademischen Fliegergruppe Darmstadt betreut. Im zweiten Fall wurde die AK-X der Akademischen Fliegergruppe Karlsruhe getestet, eine sehr moderne Auslegung mit hochgestrecktem Flügelgrundriss, ganz aus hochsteifen Kohlefaserwerkstoffen gefertigt.
Nurflügelflugzeug Horten IV
Nachbau der HortenIV im Standschwingungsversuch beim DLR-Institut für Aeroelastik in Göttingen
Seit den Anfängen der Entwicklung von Flugzeugen ist bekannt, dass ein Schlüssel zur Leistungssteigerung in der Reduzierung des Luftwiderstands liegt. Dabei setzt sich der Gesamtwiderstand aus drei Hauptkomponenten zusammen: dem induzierten, dem Profil- und dem Reibungswiderstand. Das ständige Streben nach einem immer geringeren Luftwiderstand führte im Lauf der Entwicklung zu der Idee des Nurflüglers, der die vollständige Eliminierung des aerodynamischen Widerstands von Rumpf und Leitwerk bei geringerem Gewicht ermöglicht, was ein Einsparpotential von bis zu 10% beim Gesamtwiderstand bietet. Gleichzeitig müssen jedoch zahlreiche Stabilitäts- und Steuerungsprobleme überwunden werden, die durch die fehlende flugmechanische Stabilisierung des Leitwerks entstehen. Die Rückpfeilung des Flügels kann dabei einiges kompensieren.
Das Starrkörperflattern des Nurflüglers
Das Flattern im Flug tritt durch die Kopplung von zwei eigentlich gedämpften Eigenschwingungsformen der Flugzeugstruktur auf, deren Schwingungsfrequenzen sich mit zunehmender Fluggeschwindigkeit annähern. Durch die Überlagerung entstehen bewegungsinduzierte Luftkräfte, die der Schwingungsbewegung derart vorauseilen können, dass Flattern angefacht wird.
Bei einem gepfeilten Nurflügler überlagern sich die erste symmetrische Flügelbiegeschwingung mit der flugmechanischen Nickschwingung. Bei der reinen Biegeschwingung bewegen sich die Außenflügel, welche hinter der Querachse liegen, auf und ab, während der Innenflügel vor der Querachse dagegen schwingen muss. Dies sieht dann folgendermaßen aus:
AK-X Nickschwingung gemessen im Standschwingungsversuch
Die Massenkräfte erzeugen nun eine Drehbewegung um die Querachse und somit eine Anstellwinkeländerung. Durch die schwingungsinduzierten Luftkräfte steigt die Frequenz der Nickschwingung mit der Fluggeschwindigkeit an, weil der resultierende Zusatzauftrieb hinter dem Schwerpunkt angreift. Bei einem Nurflügler umso mehr, weil die Drehträgheit um die Querachse wegen des fehlenden Leitwerks vergleichsweise gering ist. Da die Frequenz der ersten Flügelbiegung näherungsweise konstant über der Geschwindigkeit bleibt, nähern sich mit steigender Fluggeschwindigkeit die beiden Frequenzen so an, dass eine Kopplung beider Schwingungsformen möglich wird. Es ist folglich nur eine Frage der Fluggeschwindigkeit, bis Flattern auftritt. Um für den Entwurf die kritische Flattergeschwindigkeit möglichst hoch auszulegen, hat man verschiedene Möglichkeiten:
Steigerung der Frequenz von der ersten Flügelbiegung durch einen sehr biegesteifen Flügel.
Reduktion des Biege-Drehverformungsverhaltens durch Optimierung der Faserverbundbauweise, was als Aeroelastic Tailoring bezeichnet wird.
Verringerung des Frequenzanstiegs der flugmechanischen Nickschwingung durch eine möglichst hohe Massenträgheit um die Querachse oder durch eine Zurückverlagerung des Schwerpunkts.
Anhebung der flugmechanischen Nickdämpfung durch eine Vergrößerung der Rückpfeilung des Tragflügels.
Alle diese Maßnahmen fanden bei der Konstruktion der AK-X Berücksichtigung. So wurde der Flügel besonders steif ausgelegt, damit die Eigenfrequenz der ersten symmetrischen Flügelbiegeschwingung nicht unter einer Grenze von 4.0Hz liegt. Vergleichbare konventionelle Segelflugzeuge mit 15m Spannweite haben hier nur eine Eigenfrequenz von ca. 2.5Hz, was zeigt, dass der strukturelle AK-X Flügelentwurf durch aeroelastische und nicht durch Festigkeitsanforderungen getrieben worden ist. Zusätzlich wurde die Pfeilung des tragenden Hauptholms relativ zum Flügelgrundriss möglichst reduziert, wie in nachfolgender Skizze zu erkennen ist:
AK-X Flügelgrundriss mit aeroelastisch optimierten Hauptholm mit verringerter Pfeilung
Da alle strukturellen Maßnahmen einen großen Einfluss auf die Flugmechanik haben, erfordert die Auslegung eines Nurflüglers eine multidisziplinäre Betrachtung, um flugmechanische, aerodynamische und aeroelastische Randbedingungen zu erfüllen. Zum Beispiel wird bei aeroelastisch vorteilhaften hinteren Schwerpunktlagen das Überziehverhalten im Langsamflug deutlich kritischer.
Vor der Flugerprobung bedarf es einer sogenannten Flatteruntersuchung am vollendeten Prototypen, um zu demonstrieren, dass sich das im Entwurfsprozess optimierte Schwingungsverhalten tatsächlich in der Realität so einstellt. Im Standschwingungsversuch werden die Eigenschwingungsformen mit ihren Eigenfrequenzen in einer Qualität gemessen, dass sie einerseits für den Vergleich mit den vorhandenen Simulationsmodellen herangezogen werden können. Andererseits ist die Instrumentierung mit Beschleunigungsaufnehmern so ausgelegt, dass auf Basis der gemessenen Schwingungsformen die durch die Bewegung induzierten Luftkräfte in Abhängigkeit der Fluggeschwindigkeit mit geeigneten aerodynamischen Methoden berechnet werden können.
Im Versuch konnte eine Biegefrequenz von 4.1Hz festgestellt werden, so dass ein ausreichender Frequenzabstand zu der Nickschwingung besteht. Im nächsten Schritt kann dann die Flatterrechnung auf Basis von experimentellen Modaldaten erfolgen, die eine belastbare Aussage über die kritische Flattergeschwindigkeit für eben diese Kopplung von Nick- und Biegeschwingung bereitstellt. Natürlich werden auch weitere potentielle Flatterinstabilitäten identifiziert. Wie bereits dargestellt ergibt sich eine deutliche Abhängigkeit der kritischen Flattergeschwindigkeit von der Gesamtschwerpunktlage des Flugzeugs, der sich je nach Beladungszustand in einem Bereich von 15cm verschieben kann, wie in folgenden Dämpfungs- und Frequenzverläufen über der Fluggeschwindigkeit ersichtlich ist.
AK-X: Dämpfungs- und Frequenzverläufe über der Fluggeschwindigkeit
Im Gegensatz zur modernen AK-X hatten die Konstrukteure der Horten IV zu ihrer Zeit die Flatterproblematik des Nurflüglers noch nicht im Fokus, obwohl sie damals ganz in der Nähe der damaligen Flatterexperten der Aerodynamischen Versuchsanstalt AVA in Göttingen wirkten (heute DLR). Es gibt einige alte Pilotenberichte, die der Horten IV eine Flatterneigung attestieren. Für den Nachbau muss daher sichergestellt werden, dass die Flugerprobung der bereits bewährten Konstruktion keine aeroelastischen Überraschungen birgt. Aus diesem Grund wurde hier ebenso wie beim Vorgehen mit der AK-X ein Standschwingungsversuch am Institut für Aeroelastik durchgeführt.
Bei positiven Flatternachweisen sind wir uns sicher, dass beide außergewöhnlichen Nurflügler ihren Erstflug problemlos überstehen. Voraussichtlich kann man dann in der nächsten Zeit mehr als 80 Jahre Nurflügelgeschichte am Himmel bewundern.