Virtual Tower

Fernüberwachte Flughäfen („Remote Tower“) sind weltweit bereits in Betrieb und gewinnen zunehmend an Bedeutung. Fluglotsen müssen nicht mehr physisch direkt am Flughafen sein, um den Luftverkehr zu steuern. Stattdessen können sogar mehrere Flughäfen von einem zentralen Remote Tower Center (RTC) aus überwacht werden, wodurch Synergieeffekte geschaffen werden, um die Flexibilität, die Sicherheit und den Service für die Luftraumnutzer zu erhöhen.
Von herkömmlichen zu virtuellen Towern
Forschende am Institut für Flugführung gehen nun noch einen Schritt weiter: Was wäre, wenn der gesamte Arbeitsplatz eines Fluglotsen – inklusive Sicht aus dem Tower und aller notwendigen Systeme – in eine virtuelle Umgebung übertragen würde?
Mit dem Virtual Tower Konzept entwickelt das DLR eine Lösung, die Fluglotsen über handelsübliche Virtual-Reality-Brillen (VR) ortsunabhängig arbeiten lässt. Statt an den Flughafen-Tower gebunden zu sein, können sie den Luftverkehr von jedem Ort aus steuern – sei es im RTC, von zu Hause, weltweit, von überall aus, wo es Internetzugang gibt, via Wi-Fi oder Mobilfunkdaten.

Vorteile für kleinere Flughäfen und den Flugbetrieb
Das Virtual Tower Konzept kann Fluglotsen im täglichen Betrieb viele Vorteile bieten, insbesondere an kleineren Flughäfen:
- Zeitzonen-Vorteile nutzen: Ein Lotse in Genf kann nachts den Flugverkehr in Melbourne übernehmen – und umgekehrt – ohne unangenehme Nachtschichten.
- Nachteinsätze von zu Hause: Ein Lotse kann den einzigen Nachtflug seines Flughafens aus dem Homeoffice überwachen, statt mitten in der Nacht ins Kontrollzentrum zu fahren.
- Flexibilität im Notfall: Ein Lotse kann sich virtuell Unterstützung holen, indem ein Kollege sich aus der Ferne zuschaltet.
- Bedarfsgerechter ATC-Service: Flughäfen mit Flugplatz-Informationsdiensten ohne Flugsicherungsdienste können bei einzelnem oder kurzfristigem Bedarf Flugsicherungsdienste aus einem RTC anfragen.
- Erweiterte Öffnungszeiten: zwei oder mehrere kleine Flughäfen können sich remote verbinden und ihre Betriebszeiten durch den flexibleren Einsatz ihres Personals verlängern.
Minimale Infrastruktur notwendig
Flughafenbetreiber müssen sich nicht mehr um die Wartung eines Tower-Gebäudes oder gar der Lotsenarbeitsplätze kümmern, da es außer der VR-Brille keine umfangreiche Hardware vor Ort braucht. Dadurch lässt sich die Benutzeroberfläche leicht über alle Geräte hinweg harmonisieren. Schnittstellenanpassungen oder Software-Updates können auf allen VR-Brillen gleichzeitig installiert werden. Außerdem haben die Lotsen immer dieselbe Benutzeroberfläche, unabhängig davon, an welchem Flughafen sie sich befinden.
Die Anforderungen an Hardware und Infrastruktur sind äußerst gering: Das Virtual-Tower-Konzept besteht aus einem einfachen Videopanorama mit kostengünstigen Kamerasensoren, einer Standard-PTZ-Kamera (Pan-Tilt-Zoom), einem Server und einer Virtual-Reality-Umgebung (VR-Headset). Das VR-Headset dient zur Anzeige des Videopanoramas und der PTZ-Streams, zur Steuerung der PTZ-Kamera über eine Kopfverfolgungsfunktion und zur Bereitstellung von Funkkommunikation, Flughafengeräuschen und allen notwendigen Interaktionen mit dem elektronischen Flugverarbeitungssystem, Wetter-, Kommunikations- oder Lichtsysteme. Und das alles bei sehr geringen Hardwarekosten (weniger als 15.000 Euro) und sehr geringen Bandbreitenanforderungen, die über Mobilfunknetze bedient werden können.
Das Virtual Tower Konzept könnte somit insbesondere kleine und regionale Flughäfen wirtschaftlich stärken und ihren Betrieb nachhaltiger gestalten.

DLR als Vorreiter der Remote Tower Technologie
Die Idee des Remote Towers wurde bereits 2002 vom DLR entwickelt und erhielt eine Innovationsauszeichnung. 2005 testete das DLR den weltweit ersten Remote-Tower-Prototyp am Flughafen Braunschweig-Wolfsburg. Die Technologie wurde in den Folgejahren weiterentwickelt und schließlich 2014 an die Industrie lizenziert.
2015 nahm in Schweden die erste Remote-Tower-Installation in Örnsköldsvik ihren Betrieb auf. 2018 folgte die Deutsche Flugsicherung (DFS) mit dem Flughafen Saarbrücken, der aus dem Remote Tower Center in Leipzig gesteuert wird.
Das DLR hat seit der ersten Idee maßgeblich zur Realisierung von Remote Towers beigetragen und setzt sich innerhalb der EUROCAE-Arbeitsgruppe 100 für die Standardisierung der Technologie ein. Zudem leitete das DLR die größten Remote-Tower-Projekte im europäischen Luftfahrtprogramm SESAR 2020.