Post ISS

Für Jahrzehnte hat die Internationale Raumstation (ISS) nicht nur langfristige internationale Zusammenarbeit zwischen 14 Partner Ländern demonstriert, sondern ist auch eine signifikante ingenieurtechnische und programmatische Errungenschaft, stets als Kompromiss aus finanziellem Budget, Politik, Verwaltung und technischer Machbarkeit.

Alle ISS Partner haben zugestimmt, die Forschungseinrichtung mindestens bis 2030 zu nutzen. Darüber hinaus gibt es einen Konsens, dass eine Plattform im niedrigen Erdorbit (LEO) eine zentrale Bedeutung für die Weiterführung von Forschung, Technologiedemonstration, Erdbeobachtung, kommerzielle Anwendungen sowie als Vorbereitung der nächsten Schritte auf dem Weg zum Mond und Mars hat.

Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass ein Übergang zu einem neuen Konzept ohne kritischen Verlust von Know-How etwa 10 bis 15 Jahre benötigt. Aus diesem Grund ist die Konzeption hinsichtlich eines technischen Entwurfs, die Erstellung von Strategieplänen und der Entwicklung eines Nachfolge-Außenpostens im LEO wichtig und zeitkritisch.

Die Systemanalyse-Studie „Post ISS“ des DLR Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen ist eine nationale Vorbereitungsarbeit zur Schaffung von zukünftigen Programmen im Rahmen der astronautischen Raumfahrt und zur Bewahrung der langfristigen Forschung und astronautischen Aktivitäten im LEO. Die technische Konzeptstudie wurde von einem Team bestehend aus DLR internen und externen Experten, Industrie (z.B. Airbus, Bigelow Aerospace) sowie ESA und NASA Astronauten durchgeführt. Die zugrundeliegende Frage war dabei:

Wie könnten wir die Weltraumforschung und Technologieentwicklung nach der Nutzungsperiode der ISS fortführen?

Um dies zu beantworten, wurden für die Studie unter anderem folgende Ziele definiert:

  • Analyse von Vor- und Nachteilen der ISS und Empfehlungen basierend aus den gewonnenen Erkenntnissen
  • Marktanalyse zu existierenden Technologien und deren Verwendbarkeit
  • Analyse der Nutzeranforderungen und möglicher Anwendungsfälle
  • Entwurf der Konzeptinfrastruktur basierend auf realistischen Deutschen / Europäischen Budgets
  • Untersuchung hinsichtlich Wiederverwendbarkeit der bestehenden Architektur

Nutzeranforderungen an LEO Plattformen

Die Anforderungen an eine zukünftige Mini-Plattform im LEO wurden von deutschen Wissenschaftlern und Ingenieuren gesammelt. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Disziplinen nahm an dem Nutzerworkshop teil und gab Empfehlungen für die Definition möglicher zukünftiger Nutzlasten. Zusätzlich zu der traditionellen µg-Forschung wurde ein besonderer Fokus auf Erdbeobachtung, Atmosphärenphysik und Technologiedemonstrationen für astronautische Plattformen gelegt. Die  wichtigsten wissenschaftsgetriebenen Erwartungen basierend auf detaillierten quantitativen Anforderungen können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Echtzeitbeobachtungen von Prozessen (z.B. Materialwissenschaften)
  • Möglichkeit zur On-Orbit Analyse, zur signifikanten Reduzierung von Rückführgütern
  • Niedrige Vibrationslevel (wie z.B. verursacht durch die Astronauten oder bewegliche Strukturen)
  • Hohe Modularität: einfacher Zugang und Austausch von Proben und Instrumenten
  • Hohe Datenübertragungsrate und –speicherkapazität
  • Langzeitnutzungsdauer (mindesten 10 Jahre)
  • Robotischer Austausch von Proben und Instrumenten
  • Wartbarkeit der Infrastruktur
  • Kurzfristiger Austausch der Besatzung zur Fortführung terrestrischer Forschung
  • Langzeitmissionen zur Vorbereitung von Explorationsaktivitäten

Ingenieurstechnische Konzepte für modulare LEO Plattform

Das Studienteam hat insgesamt 13 Optionen inklusive Unteroptionen identifiziert, welche die zuvor skizierten Rahmenbedingungen erfüllen. Vier dieser Optionen wurden zur detaillierten Bewertung hinsichtlich politischer, sozialer, technischer und wirtschaftlicher Kriterien ausgewählt. Eine vereinfachte Mehrzweck Plattform mit andockbarem Modul wurde als vielversprechendste Option aus Europäischer und Deutscher Sicht identifiziert. Es trägt den Namen „Orbital Hub“ und steht für die Basis oder Kernelement einer „Weltraumstadt“-Idee: Raumfahrtzeuge können an das Hub andocken und versorgt werden oder Güter (z.B. Treibstoff oder Experimente) können verteilt werden.

Das ausgewählte Konzept hat den Anspruch, nur jene minimalen Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen, welche für eine wissenschaftliche astronautische Plattform im LEO mit einer permanenten Crew von 3 Mitgliedern notwendig sind. Das Orbital Hub besteht aus zwei Hauptteilen: die bemannte Basis und das freifliegende Modul (genannt „Free Flyer“).

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Modulare Orbital Hub Architektur bestehend aus bemannter Mehrzweckplattform mit andockbarem freifliegenden Modul.

Die Basis Plattform besteht aus drei Hauptmodulen: der Andockknoten, das Service Modul und das expandierbare Habitat. Der Andockknoten ist der Anflugpunkt für jegliche Crew- und Frachtfahrzeuge mit vier verfügbaren Dockingports. Zusätzlich beherbergt dieses Modul eine Cupola, Crew Trainingsgeräte und Subsysteme für die Kommunikation, Datenspeicher und ein Notfall-Antriebssysteme. Angeschlossen an den Andockknoten befindet sich das Service Modul, als zentrales Modul der Basis Plattform. Dort sind die grundlegenden Funktionalitäten (hauptsächlich Energieversorgung und Thermalkontrolle), eine Toilette und die extern angebrachten Drallräder (CMGs) zur Ausrichtung der Plattform untergebracht. Das expandierbare Habitat basiert auf dem BA330 von Bigelow Aerospace. Es stellt eine komfortable Lebens- und Arbeitsumgebung sicher. Es bietet drei Mannschaftsquartiere, Nahrungsversorgung, Arbeitsplätze, Fertigungseinheiten, Laborschränke zur Humanphysiologie sowie allgemeine Lagerkapazitäten. Eine kleine Luftschleuse ist enthalten um, falls unvermeidbar, im Notfall EVAs durchführen zu können.

Der Free Flyer hat drei funktionelle Elemente: das bedruckte Labor, die externe Plattform und das Service Modul. Das bedruckte Labor ist der einzige Bereich des Free Flyers, der durch die Crew im angedockten Zustand mit der Basis Plattform betreten werden kann. Es stellt ausreichend Volumen zur Unterbringung von Nutzlasten zur Verfügung, welche bedruckt sein müssen (z.B. Materialwissenschaften), Arbeitsplätze zur Vorbereitung und Wartung von Experimenten und eine Luftschleuse zur Bestückung der angeschlossenen externen Plattform. Diese externe Plattform ist eine Rahmenstruktur mit standardisierten Nutzlastschnittstellen, welche mechanische Verbindung, Energie, Datenverbindung und thermische Konditionierung bereitstellen. Die externe Plattform wird durch einen robotischen Manipulator versorgt. Das Service Modul ist eine direkte Erweiterung der Rahmenstruktur der externen Plattform und beherbergt, ähnlich wie bei der Basis Plattform, hauptsächlich die Energie-, Thermal-, Daten- und Antriebssysteme des Free Flyers. Der Free Flyer ist das aktive Element des Orbital Hubs während der Zusammenbauphase und der Rendezvous- und Dockingmanöver, weshalb impulsiver Schub notwendig ist. Da die Nutzlasten während der Freiflugphasen möglichst ungestörte Bedingungen und eine hohe Qualität der Schwerelosigkeit fordern, muss der Free Flyer darüber hinaus in diesen Phasen einen kontinuierlichen Schub bereitstellen. Aus diesen Gründen wird der Free Flyer mit einem hybriden Antriebssystem, bestehend aus sowohl chemischen als auch elektrischen Triebwerken, ausgestattet, um die unterschiedlichen Schubanforderungen der Anwendungsfälle erfüllen zu können.

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Free Flyer dockt an die Basis Plattform an, um durch die Besatzung versorgt, gewartet und neu konfiguriert zu werden; entkoppelter Formationsflug zur ungestörten Beobachtung und µg Betrieb.

Nächste Schritte

Das Feedback von vielen Wissenschaftlern und Ingenieuren hat ein ungebrochenes Interesse an der Nutzung des niedrigen Erdorbits durch eine Mehrzweck-Mini-Plattform gezeigt. Als gemeinsame Auffassung steht fest, dass ein Weltraumlabor einzigartige Möglichkeiten bietet und daher nicht ersetzbar ist. Europa und Deutschland haben eine technische Systemkompetenz durch die Entwicklung, den Bau und den Betrieb von Weltraumanlagen aufgebaut (z.B. Columbus, ATV und das Orion Service Module).

Das modulare Konzept Orbital Hub stellt die höchste Reife in Hinblick auf aktuelle Technologien, Betriebs- und Logistiksystemen, aktuelle kommerzielle Entwicklungen und finanzielle Aspekte dar. Das Orbital Hub ist eine realistische Möglichkeit, da es auf existierenden Europäischen Technologien aus der astronautischen Raumfahrt basiert und dank des einfachen Ansatzes mit moderaten finanziellen Budgets und Zeitrahmen realisiert werden kann. Durch eine schrittweise Umsetzung der Module, z.B. mit dem Free Flyer als erstes Element im Orbit im Zusammenspiel mit der noch existierenden ISS, kann ein fließender Übergang zwischen der ISS und zukünftigen Plattformen ermöglicht werden. Nichtsdestotrotz sind eine signifikante Beteiligung und ein starkes Bekenntnis von Europa und internationalen (kommerziellen) Partnern unbedingt notwendig. 

Im Allgemeinen wird erwartet, dass zukünftige LEO Architekturen kleiner, modularer und flexibler sind als die aktuelle ISS. Ergänzende Nutzlasten, wie Erdbeobachtung, Technologiedemonstration, kommerzielle Anwendungen sowie die Möglichkeit zur Vorbereitung von astronautischer Exploration werden zur konventionellen Wissenschaft hinzukommen. Das Interesse der Nutzergemeinschaft an einem Forschungslabor und einer Beobachtungsplattform im LEO dient als Grundlage für den Entwurf einer Architektur, welche zukünftig auch offen für kommerzielle Beteiligung ist. Das Orbital Hub würde eine bezahlbare Möglichkeit zur Fortführung von astronautischer Raumfahrt im LEO darstellen und wäre eine verlässliche Basis für die langfristige Erforschung des Weltraum durch den Menschen jenseits vom LEO.

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Kontakt

Dr. Oliver Romberg

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Raumfahrtsysteme
Systemanalyse Raumsegment
Robert-Hooke-Straße 7, 28359 Bremen