In der traditionellen Werkstoffprüfung wird das mechanische
Verhalten der Werkstoffe meist unter einachsiger Belastung un-
tersucht. Häufig entspricht das aber nicht der Realität. Beispiels-
weise werden viele Teile eines Flugzeugrumpfs in zwei Richtungen
gleichzeitig belastet. Im Werkstoff liegt dann ein sogenannter
biaxialer Spannungszustand vor. Um neue metallische Werkstoffe
hinsichtlich ihrer Eignung für den Flugzeugrumpf von morgen
zu bewerten, werden am DLR-Institut für Werkstoff-Forschung
in Köln daher biaxiale Versuche durchgeführt.
Ein Flugzeugrumpf ist vielfältigen Belastungen ausgesetzt.
Einige davon sind eher zufälliger Natur, beispielsweise Windböen.
Andere hingegen sind planbar oder regel­mäßig, wie das Ein-
wirken des relativ hohen Kabineninnendrucks im Reiseflug. Um
den Einfluss solcher Lasten auf moderne Rumpfwerk­stoffe sys-
tematisch zu untersuchen, nutzen die Kölner Wissenschaftler
und Techniker eine biaxiale Prüfeinrichtung. Diese besteht aus
vier Hydraulikzylindern, wobei zwei davon jeweils über vier
Stahlsäulen gegeneinander abgestützt sind. Der Lasteinleitungs­
aufbau ist über Kreuz angelegt, sodass die im Zentrum der
Anlage eingespannte, meist kreuzförmige Probe in zwei Rich-
tungen belastet wird.
Mit Hilfe modernster Mess- und Regelungstechnik lassen
sich die benötigten Prüflasten (Kräfte und Verschiebungen) sehr
genau einstellen. Die Anlage kann sowohl in Zug- wie auch
in Druckrichtung bis zu 1.000 Kilonewton aufbringen – das
entspricht ungefähr dem Gewicht von 75 VW Golf. Um das
Phänomen der Ermüdung experimentell untersuchen zu können,
lassen sich die Lasten mit bis zu 20 Hertz variieren, das heißt bis
zu 20-mal pro Sekunde kann die Last angehoben und wieder
abgesenkt werden.
Neben der Frage, ob der Rumpf hält oder nicht, geht es bei
allen Untersuchungen immer auch darum, festzustellen, wo und
warum die Risse auftreten, und mit welcher Geschwindigkeit sie
sich ausbreiten. Erst dieses Detailwissen ermöglicht es, Werkstoffe
und Konstruktionen zu optimieren sowie sinnvolle Inspektions-
und Wartungsintervalle zu definieren. Bereits bei Versuchsbeginn
liefert die optische Dehnungsmesstechnik Hinweise darauf, wo
die Risse später im Versuch erwartet werden. Die im Bild rechts
gezeigte Kreuzprobe hat in ihrer Mitte einen Fensterausschnitt,
wie er in modernen Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen üblich
ist. Auch die Belastungen werden so gewählt, dass sie die charak-
teristischen Verhältnisse in einem Rumpf unter Innendruck wider-
spiegeln. Früher oder später kommt es zur Rissinitiierung in den
roten Bereichen. Bei der anschließenden Rissausbreitung erlaubt
Irgendwann ist es zu viel: Fünf-, zehn- oder auch 20-mal lässt sich die Büroklammer biegen. Beim 21. Mal ist sie es
leid und bricht scheinbar plötzlich. Ein typischer Fall von Werkstoffermüdung. Zunächst, mit bloßem Auge meist nicht
erkennbar, laufen in der Mikrostruktur Prozesse ab, die zu lokalen Schädigungen im Werkstoff führen. Bei wiederholter
Belastung bildet sich schließlich ein erkennbarer Riss. Dieser breitet sich unter der zyklischen Lasteinwirkung aus und
führt letztendlich zum Versagen des Werkstoffs. Katastrophal, wenn es ein Werkstoff ist, aus dem Wichtigeres als eine
Büroklammer gefertigt ist. Ein Flugzeugrumpf zum Beispiel. Da hat Werkstoffermüdung noch ganz andere Dimensionen.
Im DLR-Institut für Werkstoff-Forschung befassen sich Wissenschaftler und Ingenieure mit biaxialen Belastungstests.
Rissausbreitung unter biaxialer Belastung
Von Dr.-Ing. Michael Besel
Zum Zerreißen gespannt
Belastungstests in zwei Richtungen erlaubt diese moderne
Prüfeinrichtung im DLR-Institut für Werkstoff-Forschung
Zerreißprobe: In vertikaler
Richtung ist die Last doppelt
so hoch wie in horizontaler
Richtung. Blaue Bereiche sind
in der gewählten Darstellung
schwach und rote Bereiche
stark gedehnt, das heißt bean-
sprucht. Folglich wird die Riss-
initiierung mit zunehmender
Anzahl an Lastzyklen in den
roten Bereichen erwartet.
die optische Dehnungsmessung eine quantitative Beschreibung
der Wechselwirkungen zwischen Rissspitze und anderen Struktur­
elementen, wie Stringer oder Spant.
Während die gewählten Prüflasten die Realität möglichst
genau nachbilden, ist das Experiment deutlich „schneller“ als die
Wirklichkeit. Im Falle des Flugzeugrumpfs bedeutet dies, dass
der Einfluss des Kabineninnendrucks während einer angenom­
menen 40-jährigen Lebensdauer eines Langstreckenflugzeugs im
Experiment innerhalb weniger Stunden abgebildet werden kann.
Solche Untersuchungen werden derzeit im Rahmen des Luftfahrt-
forschungsprogramms LuFo IV-4 des Bundeswirtschaftsministe­
riums gefördert. Dabei geht es primär um die Frage, wie sich
biaxiale Beanspruchungen auf das Ermüdungsverhalten inno­
vativer reibrührgeschweißter Strukturen auswirken. Das Fügen
mittels Reibrührschweißen (engl. Friction Stir Welding, FSW) wird
dabei auf seine Einsatztauglichkeit für metallische Rumpfstruk-
turen aus neuartigen Aluminiumlegierungen geprüft.
Autor:
Dr.-Ing. Michael Besel leitet im Institut für Werkstoff-Forschung des
DLR in Köln die Gruppe Metallische Werkstoffe und Strukturen.
Weitere Informationen:
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