DLR Magazin 147 - page 50-51

Das Werk der Raumfahrtarchitektin Galina Balaschowa in einer Ausstellung in Frankfurt
„Sie ist so ganz auf dem Boden geblieben“, schwärmt der Berliner Architekt Philipp Meuser und
kann es anscheinend immer noch nicht fassen, welchen Schatz er da gehoben hat. Jahrelang
forschte er in Russland über Plattenbauten und serielles Wohnen, bis er – eher zufällig – auf die
einzigartige Arbeit seiner inzwischen 83-jährigen Kollegin stieß: Galina Balaschowa. Fast drei
Jahrzehnte lang war sie die Architektin für die Schwerelosigkeit.
1963: Alles, was mit Raumfahrt zu tun hat, ist streng geheim. Die Vereinigten Staaten und die
Sowjetunion befinden sich im Kalten Krieg. Der Wettlauf könnte auch heißen: Wernher von
Braun gegen Sergej Koroljow. Der sowjetische Raketenkonstrukteur hat die Nase vorn. Juri
Gagarin war bereits im All. Jetzt soll das Sojus-Raumschiff optimiert werden. Die Ingenieure des
Konstruktionsbüros OKB-1 zeigen Koroljow ihr Holzmodell. Ohne Erfolg. Das will Koroljow
nicht der Sowjet-Führung präsentieren. Er trifft sich mit Galina Balaschowa im Treppenhaus. Bis
dahin war die Architektin für die Werkswohnungen der Projektmitarbeiter zuständig. Jetzt
zeichnet sie übers Wochenende den Entwurf für ein Sojus-Wohnmodul. Das ist es. Koroljow will
es detaillierter. Das Sofa rechts von der Einstiegsluke bekommt Klettbänder, damit die Kosmo-
nauten bequem sitzen, besser gesagt haften. Im Schrank stecken drei Bücher. An der Wand sind
ein Kalender und ein Gemälde mit heimatlicher Landschaft an Stangen festgeschraubt. Den
Boden färbt die Architektin grün wie Gras, die Wände hellgelb. Die Weltraumfahrer sollen sich
einfach orientieren können und es außerdem gemütlich haben.
Mit diesen ersten Skizzen und Aquarellen hat es angefangen. Es folgten Aufträge für die Raum-
stationen Saljut und Mir: Arbeiten an Klapptischen, Schlafen festgebunden an der Wand. Auch
eine Dusche ist vorgesehen. Ein Entwurf zeigt Kosmonauten kartenspielend am Tisch. Vieles
wird wieder verworfen. Denn nach jedem Raumflug will Balaschowa von den Kosmonauten
wissen, ob ihre Ideen in der Schwerelosigkeit auch praktikabel waren. Die studierte Malerin und
Architektin arbeitet auch für das Mondprogramm und für die Raumfähre Buran. Ihre Pläne
nimmt sie mit nach Hause, im Projektbüro werden nur Ingenieursarbeiten archiviert.
Philipp Meuser besucht die Rentnerin in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung bei Moskau („so breit wie
das Innere der Mir“, weiß er zu berichten). Auch in der Datscha finden sich signierte Zeichnun-
gen. Hier lässt sich auch die amerikanisch-sowjetische Sojus-Apollo-Kopplung von 1975 nach-
vollziehen. Galina Balaschowa kreierte das gemeinsame Logo für die Mission. Es wurde für
Souvenirs, Anstecknadeln und Briefmarken in 35 Ländern verwendet.
Die Ausstellung gewährt einen Blick in das Wohnzimmer der Architektin. Besucher des Deut-
schen Architekturmuseums können die Größenverhältnisse auf der Mir ermessen und die Künst-
lerin im Video erleben. Wandzeichnungen vergleichen die Höhe der Sojus-Rakete mit dem
Frankfurter Rathaus „Römer“ und das Buran-Raumschiff mit der Paulskirche.
Unwillkürlich stellen sich Museumsbesucher die Frage: Warum ist diese Frau nicht längst weltbe-
rühmt? Ein Grund liegt sicher in der extremen Geheimhaltung während der Zeit des Kalten
Krieges. Außerdem sind viele ihrer Malereien an den Wänden der Raumkapseln beim Wiederein-
tritt in die Erdatmosphäre verglüht. Architekt und Ausstellungskurator Meuser führt das jedoch
auf Balaschowas grenzenlose Bescheidenheit zurück. Sie sagt, sie habe selbst nicht gewusst,
dass sie stolz auf ihre Arbeit sein kann. Und sie wollte nie ins Universum aufbrechen: „Das Welt-
all hat mich nie so gereizt wie die Architektur.“
Raumfahrtfans und auch Freunde der Architektur sollten die Ausstellung nicht verpassen!
Sylvia Kuck,
Redakteurin beim Hessischen Rundfunk
Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum
Skizzen und Aquarelle der Raumfahrtarchitektin
GELBER RAUM MIT GRÜNEM GRUND
Entwurf der Kabine für die Raumstation Mir,
finale Variante der Innenausstattung (1980)
Bild: Archiv Galina Balaschowa
Bild: Uwe Dettmar
Bild: Uwe Dettmar
Kurator Philipp Meuser mit Galina Balaschowa
Bild: Uwe Dettmar
IN MUSEEN GESEHEN
DLRma
G
azin
147
51
1...,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,48-49 52-53,54-55,56
Powered by FlippingBook