DLR Magazin 139 - page 36-37

Fahrerassistenzsysteme können mehr als informieren, warnen oder eingreifen – sie können auch mit anderen Autos
kooperieren. Im neuen MoSAIC-Labor im Braunschweiger Institut für Verkehrssystemtechnik werden solche koopera-
tiven Assistenzsysteme erforscht.
MoSAIC – eine modulare und skalierbare Anwendungsplattform
für Assistenzsysteme
Von Julia Förster
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Im MoSAIC-Labor des DLR in Braunschweig
fahren mehrere Testfahrer ihre Autos durch
eine gemeinsame virtuelle Landschaft
Im ersten Moment wirkt es wie ein Arcade-Rennspiel: In
den Fahrsimulatoren des MoSAIC-Labors sitzen Testfahrer und
fahren ihre Autos durch eine gemeinsame virtuelle Landschaft.
Das Feeling, sagt Gerald Temme, sei fast wie in vernetzten Video-
spielen, der Zweck des Labors aber natürlich ein vollkommen
anderer: In den Fahrsimulatoren des Labors wird kein übermäßi-
ger Wert auf brillante Grafik gelegt, eher auf einen zum Szena-
rio passenden Stau und realistisches Fahrerverhalten. Auch das
Rennfieber hält sich in Grenzen, denn die Testfahrer sitzen im
Auftrag der Verkehrsforschung am Steuer. Ihr Verhalten fließt
ein in die Entwicklung künftiger Fahrerassistenzsysteme.
Nicht „Wer ist am schnellsten?“, sondern „Wie und wann
kooperieren Autofahrer?“, heißt die zentrale Frage, die sich Labor-
entwickler und -betreuer Gerald Temme gemeinsam mit seinen
Kollegen aus Technik, Informatik, Psychologie und Ergonomie
stellt. Temme beschreibt eine Situation, die den meisten Men-
schen bekannt sein dürfte: „Man fährt auf der Autobahn ent-
spannt auf der rechten Spur, bis man weit vor sich einen LKW
sieht. Die linke Spur ist voll“. In der Simulation meldet sich jetzt
das Assistenzsystem, das die Situation erkennt. Es fragt, ob es
eine Lücke schaffen soll, und sucht, wenn man zustimmt, je-
manden in der linken Spur, der nur kurz vom Gas gehen müsste,
damit man – ohne den Verkehrsfluss zu beeinträchtigen – ein­
fädeln kann. „Das Assistenzsystem des anderen Fahrzeugs be-
kommt diese Anfrage und vergrößert mit Zustimmung seines
Fahrers die Lücke. Das eigene Assistenzsystem teilt uns darauf-
hin mit: „Hier klappt’s, bitte jetzt Spur wechseln“. Dieses Szena-
rio wird im europäischen Forschungsprojekt D3CoS betrachtet,
in dessen Rahmen die Braunschweiger den „kooperativen Spur-
wechselassistenten“ erforschen.
Seit 2012 bietet das MoSAIC-Labor diese Möglichkeit. Es
steht mit seinen drei gekoppelten Fahrsimulatoren insbesondere
für Studien zur Verfügung, die sozialpsychologische Aspekte oder
Aspekte der Interaktionsgestaltung berühren, die also etwa der
Frage nachgehen, ob Fahrer eher bereit sind, anderen den Spur-
wechsel zu ermöglichen, wenn sie konkret angesprochen werden.
„Da eröffnen wir mit unserer MoSAIC-Software vollkommen neue
Möglichkeiten. Ohne MoSAIC hätte man erst das Verhalten der
einen Seite simuliert, anschließend das der anderen. Weil sie
wissen, dass da echte Menschen sind, mit denen sie agieren,
verhalten sich unsere Probanden jetzt realistischer. Sie benutzen
sogar die Lichthupe.“
Ein weiteres Projekt, an dem die Braunschweiger beteiligt
sind, heißt UR:BAN. Es beschäftigt sich unter anderem mit Assis-
tenzsystemen im Stadtverkehr. Angenommen, intelligente Am-
peln informieren Fahrzeuge, die noch weit entfernt sind und ein
entsprechendes Assistenzsystem haben, dass sie mit Tempo 30
bei Grün ankommen werden; angenommen, diese Fahrzeuge
geben dann kein Gas mehr: Was passiert mit dem Verkehrs-
fluss? Wird er sich zum Positiven oder möglicherweise zum
Negativen verändern? Solche Situationen werden im MoSAIC-
Labor simuliert, bevor die Forschung mit realen Fahrzeugen fort-
gesetzt wird; in Braunschweig etwa bietet die Anwen­dungs­
plattform Intelligente Mobilität (AIM) die Gelegenheit dazu.
Der Verkehr der Zukunft soll sicher, emissionsarm, energie-
effizient, komfortabel und stets „im Fluss“ sein. Assistenzsysteme
können zu jedem dieser Ziele beitragen. Der Mensch muss sie
aber wollen und manchmal sind es Kleinigkeiten, die die Akzep-
tanz erleichtern, „etwa die Möglichkeit, eine Funktion auch ab-
stellen zu können“, sagt Temme. Auf lange Sicht sorgt er sich
nicht um die Kooperation von Mensch und Maschine: „Das Auto
wird die Fahrer entlasten, indem es sie – je nach individuellen
Bedürfnissen – beim Fahren unterstützt oder das Fahren sogar
übernimmt“ erläutert er und fügt hinzu: „Wichtig ist, dass Fahrer
und Fahrzeug sich verstehen und vertrauen.“
Autorin:
Julia Förster, studierte Physikerin und Journalistin, arbeitet seit
15 Jahren als freie Wissenschaftsjournalistin in Hannover.
Weitere Informationen:
DLR.de/TS
FAHRERASSISTENZSYSTEME
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