DLR Magazin 139 - page 24-25

Besonders stolz ist der Forscher auf das integrierte Faser-Bragg-
Gitter: „Bei diesem Experiment schicken wir Licht verschiedener
Wellenlängen durch die Struktur des neuen Forschungsseglers,
das je nach Dehnung reflektiert wird.“ Er zeigt auf die fast neun
Meter langen Tragflächen, die markant mit angehobenen Flügel-
spitzen, den sogenannten Winglets, abschließen. „Gemeinsam
mit dem DLR-Institut für Flugsystemtechnik wollen wir mit dem
Discus bald die Möglichkeiten von elastischen Flugzeugen er-
forschen.“
Neuland zu betreten, war für den gebürtigen Braun-
schweiger noch nie ein Problem: Man spürt, der Mann hat Er-
fahrung in seinem Metier, und so berichtet er auch schon ein-
mal von der Verantwortung, die Flüge in einem Prototypen mit
sich bringen: „Hin und wieder üben wir beim Sommertreffen
auch das Abspringen mit dem Notfallschirm aus dem Cockpit“,
sagt er und zeigt auf die blauen schmalen Rucksäcke, die jeder
Segelpilot wie ein dünnes Rückenpolster mit sich trägt. „Aber
keine Sorge, das Ganze ist eine Trockenübung am Boden, bei
der es vor allem um die richtige Technik beim Aussteigen geht.“
Jeden Abend kommen die etwa 50 Teilnehmer des Som-
mertreffens in der Gaststätte direkt am Flugplatz zusammen. Von
der Terrasse genießt man einen Blick über die grünen Wiesen des
Flugfelds, dahinter die Sonne am Horizont. Vor dem Essen gibt
es das tägliche Debriefing, das von Anton Dilcher, dem Vorsitzen-
den der Idaflieg, geleitet wird. In der Manier einer studentischen
Zusammenkunft geht es locker zu, aber nicht weniger bestimmt.
Dilcher, mit kurzem Haar, Bart und Flieger-Sonnenbrille, ist in die-
sen Kreisen nur als „Mr. Bean“ bekannt. Sein leichter englischer
Akzent hat dem 24-Jährigen, der auch gern scherzt, den Spitz­
namen des englischen Komikers eingebracht. Ursprünglich stammt
Anton Dilcher, alias Mr. Bean, aus Halifax in Kanada. Vor fünf
Jahren kam er zum Studium nach Deutschland und zur Akaflieg
Braunschweig.
„Gerade haben wir die Flüge des Tages besprochen“, er-
klärt der Student anschließend bei Pommes und Hähnchenkeule.
„Viele Nachwuchsflieger waren diesmal mit Zachern beschäftigt.“
Bei diesem Verfahren, das auf den Luftfahrtpionier Hans Zacher
zurückgeht, werden mit einfachen Hilfsmitteln die Flugeigen-
schaften von Segelflugzeugen vermessen, die über das reine
Gleiten hinausgehen. Stoppuhr, Maßband, Handkraftmesser
und ein etwas ungewöhnlich klingendes Gerät namens Phipsi-
theta füllen den Werkzeugkasten der experimentierenden Stu-
denten. „Mit dem Phipsitheta werden die Winkellagen relativ
zum Horizont bestimmt“, erklärt der gebürtige Kanadier, wäh-
rend gerade Pommes für die Gruppe nachgereicht werden. „Dazu
genügt eine etwa handgroße rechteckige transparente Kunst-
stoffscheibe, auf der wir verschiedene Winkellagen mit Strichen
markieren.“ Die kleine Scheibe wird im Sichtfeld des Piloten
ins Cockpit gehängt: Bei einer Schräglage im Flug kann der Pilot
dann einfach den Winkel zum Horizont ablesen. Für den kurio-
sen Namen des Geräts hat Dilcher eine erstaunlich einfache
Erklärung parat: „Phi, Psi und Theta sind die drei Winkel im
verwendeten Koordinatensystem. Diese Winkel messen wir
mit dem Phipsitheta.“
Zudem untersuchen die Studenten die Ruderwirkung und
Wendigkeit beim Zachern. „Dafür reicht ein Handkraftmesser
am Steuerknüppel“, sagt der Segelfluglehrer. Am Ende werden
die Flugeigenschaften eines Segelfliegers penibel in einem Zacher-
Protokoll von den Studenten dokumentiert. Immer wieder gibt
es auch Sondermessprojekte für die ambitionierten Nachwuchs-
forscher. „Zum Beispiel montieren wir auf die Tragfläche eines
Segelflugzeugs eine Sonde, die den Anströmwinkel misst. Oder
wir untersuchen mit Hilfe von aufgeklebten Fädchen und Kame-
ras Strömungsablösungen.“
Auch nach dem Abendessen hat jeder Teilnehmer noch
seine Aufgaben: Das Flugbuch muss geführt werden, die Schlepp-
flugzeuge sind in den Hangar zu schieben. Es gibt Einweisungen
zu neuen Segelflugzeugen, die erst kurzfristig zum Treffen ge-
bracht wurden. „Die Gemeinschaft und das gemeinschaftliche
Handeln ist uns beim Idaflieg-Sommertreffen besonders wichtig“,
betont der Vorsitzende auf dem Weg zu den Flugzeughallen.
„Jeder leistet hier auf dem Flugplatz und im Zeltlager seinen
Beitrag für das große Ganze.“ Einige der jungen Flugenthusi-
asten werden sicher zur nächsten Generation in der Luftfahrt-
forschung gehören. Und – wer weiß – manche vielleicht auch
bald zum DLR.
Weitere Informationen:
s.DLR.de/lj1t
idaflieg.wordpress.com/
DLR-Testpilot Georg Mitscher im Cockpit der DLR-Schleppmaschine
„Victor Eco“. Normalerweise fliegt Mitscher das DLR-Forschungsflug-
zeug Do228-101. Im August ist er für drei Wochen als Schlepppilot in
Aalen-Elchingen dabei.
Acht Fragen rund um
Die Segelfliegerei
1. Ab wann kann man ein Segelflugzeug fliegen?
Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr darf man die Ausbildung
zum Segelflugzeugführer beginnen, mit einer Ausnahme­
regelung sogar schon ab dem 13. Den Flugschein bekommt
man dann frühestens zum 16. Geburtstag ausgehändigt.
2. Welche Höhen/Geschwindigkeiten erreicht ein
Segelflugzeug?
Der übliche Bereich im Überlandflug liegt bei Höhen nahe
3.000 Meter und Geschwindigkeiten bis 180 Kilometer pro
Stunde. In Mitteleuropa liegen die Rekordstrecken je nach
Kategorie zwischen 1.500 und 2.000 zurückgelegten
Kilometern im Segelflug. Der Höhenweltrekord liegt bei
15.447 Metern, aufgestellt von Steve Fossett und Einwar
Enevoldson am 30. August 2006 bei einem Flug über den
argentinischen Anden entlang der chilenischen Grenze.
3. Wie viele Segelflugvereine gibt es in Deutschland?
Es gibt rund 900 Segelflugvereine in Deutschland, diese
sind im Deutschen Aero Club organisiert. Darunter sind
15 akademische Fliegergruppen, die sogenannten Akafliegs.
4. Wann gab es das erste Segelflugzeug?
Das erste Segelflugzeug war gleichzeitig das erste Flugzeug
überhaupt: Die ersten Gleitflüge gehen auf Otto Lilienthal
und das Jahr 1891 zurück, allerdings soll Albrecht Ludwig
Berblinger schon im Jahr 1811 erste Hüpfer und Flugversu-
che durchgeführt haben.
5. Wie verbreitet ist das Segelfliegen?
Es gibt weltweit knapp 120.000 aktive Segelflieger, davon
lebt knapp ein Drittel in Deutschland (Quelle: DAeC).
6. Aus welchem Material besteht ein Segelflugzeug?
Moderne Segelflugzeuge bestehen fast ausschließlich aus
kohlefaserverstärktem Kunststoff, kurz CFK. Das Material
erlaubt geringe Strukturmassen und weist hohe aerodyna-
mische Güte in der Formgebung auf.
7. Was ist eigentlich Zachern?
Unter Zachern versteht man die Flugeigenschaftsuntersu-
chung von Segelflugzeugen, benannt nach Hans Zacher,
der während seiner Zeit bei der DFS (Deutsche Forschungs-
anstalt Segelflug, später aufgegangen in der DFVLR)
wegweisende Verfahren etablierte.
8. Wie lange kann ein Segelflug dauern?
Solange die Sonne scheint und Thermik produziert oder der
Wind so stark weht, dass an einem Berg Hangaufwind
entsteht. Geflogen werden darf im Segelflug nur tagsüber,
also maximal von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Die zwei neuen Gesichter
der Kleinflugzeugforschung
Johannes Anton, DLR-
Forschungsflug­abteilung
Braunschweig
Mit 14 stieg Johannes Anton
das erste Mal in ein Segel­
flugzeug. Sein Vater, selbst
Segelflieger, hatte ihn zum
heimischen Flugverein in
Erlangen mitgenommen. Einige
Monate später durfte er bereits
selbst das Steuer in der Hand
halten, allein über den Wolken.
Der jugendlichen Segelfliegerei
und dem Abitur folgte ein Studium der Mechatronik an der
Hochschule München, wo er bald Mitglied der ansässigen
akademischen Fliegergruppe wurde. Er beteiligte sich an
zahlreichen Projekten der Gruppe, unter anderem an der
Erprobung des Münchner Motorkunstflugzeugs Schlacro-
Mü30. Zunehmend engagierte sich der Enthusiast für die
kleine Fliegerei in der Interessengemeinschaft deutscher
akademischer Fliegergruppen (Idaflieg). Seit August 2012
ist Johannes Anton in der Forschungsflugabteilung des DLR
in Braunschweig für die Segel- und Kleinflugzeugforschung
verantwortlich und koordiniert die Zusammenarbeit
zwischen DLR und Idaflieg.
Kai Rohde-Brandenburger,
DLR-Institut für Aerodyna-
mik und Strömungstechnik
Eigentlich wollte Kai Rohde-
Brandenburger mit seinem
Maschinenbaustudium an
der TU Braunschweig in die
Fußstapfen des Vaters treten
und direkt nach seinem
Abschluss in die Automobilin-
dustrie gehen. Doch an der Uni
hatte er einen Kommilitonen,
dem er bald voller Neugier
in die Braunschweiger Akaflieg-Werkstatt folgte. Fortan
konnte er nicht mehr von der Fliegerei lassen und absolvier-
te sein Ingenieur-Diplom schließlich im Bereich Luft- und
Raumfahrttechnik. Für sein Studium und darüber hinaus
leistete er Entwicklungsarbeiten für das Braunschweiger
Segelflugzeug SB 14, das insbesondere nach seinen
Berechnungen neue gekrümmte Tragflächenspitzen,
sogenannte Winglets, erhielt. Seit Juli 2013 ist Kai Rohde-
Brandenburger im DLR-Institut für Aerodynamik und
Strömungstechnik für die wissenschaftliche Begleitung der
Segel- und Kleinflugzeugforschung verantwortlich und hält
dabei engen Kontakt zu den Verantwortlichen der Idaflieg
und den darin zusammengeschlossenen akademischen
Fliegergruppen.
Gemeinschaft wird unter den Studenten großgeschrieben: Nach der
Landung packen alle mit an, um das Segelflugzeug zum Startpunkt
zurückzuschieben
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SEGELFLUGFORSCHUNG
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